Annah Fehlauer

Worte wie wir


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sprechen. Es gibt Schwingungen, die schneller schwingen und Schwingun­gen, die langsamer schwingen. Wenn wir sie Frequen­zen nennen, sprechen wir eher von höheren und niedri­geren Frequenzen. Hören können wir als Menschen aller­dings nur einen winzigen Ausschnitt all der Frequenzen, die es gibt. Hunde können mehr Frequenzen hören als wir und auch Delfine, und Blauwale hören noch viel mehr. Eine Maus hört hingegen verglichen mit uns viel weniger: Wenn man neben einer Maus auf eine Pauke schlägt, stört sie das gar nicht, weil sie es nicht hören kann.“

      „Ich hab mit so einem komischen Pusteding nach dem Hund von meinem Vater gepfiffen, und da habe ich auch nichts gehört. Aber der Hund schon, jedenfalls kam er angerannt.“

      „Genau. Das war wahrscheinlich eine Hundepfeife, deren Fre­quenz wir nicht, Hunde aber doch, hören können. Jedenfalls ist es so, dass alles, was es auf der Erde gibt, ja wahr­scheinlich sogar im Universum gibt, schwingt, also in Bewegung ist.“

      Marie lachte ungläubig. „Aber ein Tisch schwingt doch nicht! Der steht ja ganz still.“

      „Doch Marie, auch ein Tisch schwingt. Nur nehmen wir das nicht wahr, weil wir nicht sensibel genug sind. Aber innen drin schwingt der Tisch sehr wohl. Denn er besteht, wie alles, was es gibt, aus winzigen Teilchen, den Atomen. Und in diesen Atomen befinden sich noch winzigere Teilchen, so genannte Protonen, Elektronen und Neutronen. Und diese winzigsten aller Teilchen sind unentwegt in Bewegung. Im aller innersten Kern besteht alles, was es gibt, aus dem Gleichen, nämlich aus diesen winzigsten Teilchen. Dass das eine ein Mensch ist und das andere ein Tannenbaum, liegt lediglich daran, dass die Teilchen unter­schied­lich stark schwingen.“

      Maries Augen schienen mit jedem Wort Catharinas größer und größer zu werden.

      „Du willst doch nicht sagen, dass ich das gleiche bin wie ein Tannen­baum oder ein Auto?“

      „Doch Marie, im Grunde genommen schon. Oder ein Stein oder Wasser. Oder eben sogar ein Wort.“

      Plötzlich brach Marie in lautes Lachen aus. „Jetzt verstehe ich’s!“

      Sie lachte lauter. „Du machst dich über mich lustig!“

      „Nein Marie, ganz und gar nicht. Ich weiß, das alles klingt ziem­lich seltsam, wenn man es das erste Mal hört. Aber es ist wirklich so, nur dass es für uns als Menschen ziemlich schwer zu begreifen ist, weil wir so darauf trainiert sind, die Unter­schiede wahr­zu­nehmen statt der Gemeinsamkeiten.“

      „Aber ein Wort kann doch nicht das gleiche sein wie ich! Ich kann tanzen und rennen und meine Anziehsachen anziehen und Schlitt­schuhlaufen, und man kann mich sehen und anfassen. Und all das kann ein Wort überhaupt nicht.“

      „Einerseits hast du natürlich recht, meine Süße. Du und ein Wort scheint auf den ersten Blick ziemlich unterschiedlich zu sein. Und ich gebe zu, ich bin sehr froh, dass du es bist, die mich hier zweim­al die Woche besuchen kommt, und nicht nur das Wort „Nachbarskind“.“

      „Na siehst du!“, Maries Blick schien zu triumphieren.

      „Und doch seid ihr euch ähnlicher als es auf den ersten Blick scheinen mag, du und das Wort „Nachbarskind“, liebe Marie.“

      „Wie meinst du das?“

      „Wenn man dich bis ins kleinste Detail untersuchen würde, meine Süße, würde man eben als kleinste Teile auch in dir diese Protonen, Neutronen und Elektronen finden. Und all diese Teil­chen schwin­gen in einem bestimmten Tempo, einer be­stimmten Frequenz also. Und ein Wort, das man ausspricht, ist nichts anderes als eine Schallwelle. Und eine Schallwelle wiederum ist Schwingung, eine sich wellenförmig ausbreitende Schwingung. Des­halb sage ich, dass alles, was es auf der Welt gibt, Energie ist, Schwin­gung – auch wenn wir die wenigsten Schwingungen als Men­schen mit unseren wirklich groben Sinnen wahrnehmen können.“

      „Erklärst du mir jetzt nochmal dein Lexikon der positiven Bot­schaften? Das andere ist mir zu kompliziert und macht meinen Kopf ganz schwindelig.“ Marie lehnte sich seitwärts gegen Catha­rina, die einen Arm um das Mädchen schlang.

      „Natürlich, meine Süße. Mir wird übrigens auch manchmal schwindlig, wenn ich zu viel über so etwas nachdenke. Wie wäre es, wenn ich dir einfach zeige, welche Beispiele ich mir für Botschaften und ihre Übersetzungen bisher ausgedacht habe?“

      „Gute Idee. Und gibt’s auch einen Kakao dazu? Dann ist uns bestimmt gleich nicht mehr so schwindlig.“ Marie konnte ein schel­misches Lächeln nicht unterdrücken, als sie den Vor­schlag äußerte.

      „Warum nicht? Machst du schon mal die Milch warm? Ich schau mir meine Notizen kurz an und gebe dir dann das Kakao­pulver herunter.“

      Keine fünf Minuten später saßen beide eng aneinander ge­schmiegt auf der Küchenbank und warfen einen Blick in Catha­ri­nas Notizbuch.

       Ich kann das nicht.

       Ich lerne das.

       Ich verstehe das nicht.

       Ich versuche, es zu verstehen.

       Ich will das nicht.

       Ich möchte folgendes:...

       Ich teile deine Meinung nicht.

       Ich habe eine andere Meinung.

       Du hast unrecht.

       Ich sehe es anders als du.

       Ich will nicht wütend sein.

       Ich bin innerlich friedlich.

       Ich bin so furchtbar wütend auf dich.

       Ich wünsche mir, mich friedlich mit dir zu fühlen.

      ...7...

      „Manchmal kann ich mich selbst nicht leiden.“ Marie nagte an ihrer Unterlippe und baumelte unruhig mit den Beinen, kaum dass sie auf ihrem Lieblingsplatz auf Catharinas Küchenbank Platz genommen hatte. „Dann finde ich mich richtig doof und kann mich nicht ausstehen. Und am liebsten würde ich dann jemand ganz anders sein.“

      „So? Was sind das denn für Situationen, in denen du dich nicht leiden kannst, meine Süße?“

      „Ich weiß nicht genau.“ Marie überlegte. „Manchmal fühle ich mich so komisch. So, als würde ich gleich anfangen zu weinen, aber dann weine ich doch nicht. Und manchmal ist mir so langweilig und Spielen macht überhaupt keinen Spaß.“

      Catharina nickte bedächtig. „Das kann ich verstehen. Ich kann mich auch manchmal nicht gut leiden.“

      „Und manchmal bin ich so wütend, dass ich irgendwas kaputt­machen will. Dann reiße ich manchmal alle meine Bücher aus dem Regal und schmeiße meine Spielsachen auf den Fußboden.“

      „Und fühlst du dich dann besser?“

      „Ja!“ Die Antwort kam schnell.

      Doch dann besann sich Marie eines Besseren.

      „Nein, eigentlich nicht. Wenn, dann nur ganz kurz. Aber wenn ich dann alles wieder aufräumen muss, bin ich wieder wütend, weil ich Aufräumen nicht mag. Manchmal geht dabei auch was kaputt, wenn ich so wütend bin, und dann bin ich hinterher noch traurig dazu.“

      „Und wie wäre es, wenn du versuchst, deine Wut anders los­zuwerden?“

      „Wie denn?“

      „Ich weiß nicht. Lass mich mal überlegen.“ Catharina erhob sich von der Küchenbank und trat ans Fenster.

      „Zum Beispiel, indem du in ein großes Kissen boxt. Da kannst du doll draufhauen, aber es geht nichts kaputt, und du tust dir auch nicht weh.“

      „Machst