Annah Fehlauer

Worte wie wir


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ein vages Gefühl der Traurigkeit. Doch sie musste sich eingestehen, dass sich diese Traurigkeit ironischerweise weniger auf den Tod ihres Vaters bezog als auf das Gefühl, im Grunde nie einen wirklichen Vater gehabt zu haben, zumindest keinen, der seiner Tochter ein Gefühl von Liebe vermittelt hätte.

      „Ich bin euer Erzeuger und Ernährer.“ Mehr als einmal hatte sie diesen Satz aus seinem Munde gehört.

      Er hatte dabei nicht gelogen. Er war ihr Erzeuger und lange Zeit Ernährer. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

      Catharina hatte sich später eine Zeit lang gefragt, ob sie wohl leichter gelernt hätte, die Nähe anderer Menschen auszuhalten, wenn die in ihrem Elternhaus gängige Währung nicht Geld, sondern Liebe gewesen wäre.

      Doch irgendwann hatte ihr lebensbejahender Optimismus die Ober­hand gewonnen. Es war es war. Es nutzte ja nichts, zurück­zuschauen und sich zu fragen es anders hätte sein können. Letztlich hatte sie es ja doch gelernt, Nähe zuzulassen und Liebe zu empfinden, und dafür war sie zutiefst dankbar. Denn genauso gut hätte ihre Kindheit und Jugend dazu führen können, sie ebenso gefühlskalt werden zu lassen ihre Eltern es waren.

      Prof. Dr. Düsterweg hinterließ eine äußerst gut betuchte Witwe und Tochter. Bei dem kleineren Teil des Erbes, das an Catharina ging, handelte es sich um eine Eigen­tums­wohnung. Etwas befremdlich kam es Catharina schon vor, dass es die Miet­einkünfte dieser Immobilie waren, die bislang dafür verwendet worden waren, die wechselnden Gespielinnen ihres Vaters zu unter­halten, womit er selbst einige Jahre zuvor regelrecht geprahlt hatte. Andererseits wäre es ihrem pietät­losen Vater auch zu­zutrauen gewesen, diese Wohnung seiner Ehegattin zu über­schreiben, die sicherlich mit noch ambi­valenteren Gefühlen darauf reagiert hätte als Catharina.

      Einen Teil des verbleibenden, größeren Teils des Erbes investierte Catharina, um die Wohnung zu kaufen, die sie bis dahin gemietet hatte. Der Zufall wollte es, dass sie keine zwei Monate nach dem Ableben ihres Vaters ein Schreiben ihres Vermieters erhielt, der ihr mitteilte, aus Altersgründen wolle er die Wohnung verkaufen. Als langjährige Mieterin gewähre er ihr bei Interesse gerne das Erst­kaufsrecht. Andernfalls über­gebe er die Angelegenheit einem Makler zum Verkauf.

      Catharina hatte nur einen Nachmittag lang gezögert und eine Nacht die Entscheidung überschlafen. In diesen Stunden hatte sie mit dem Gedanken gespielt, die Zelte in Deutschland ab­zu­brechen und irgendwo, vorzugsweise im Süden und am Meerder aufzubauen. Doch diesen Gedanken hatte sie einst­weilen wieder verworfen. Sie fühlte sich wohl in Berlin, so gut wie zuhause. Und wenn sie nun tatsächlich aufhören würde, in einer staat­lichen Schule zu arbeiten, könnte sie beliebig häufig dennoch ans Meer und in den Süden fahren.

      Die Wohnung zu kaufen ging sehr schnell. Bedeutend länger dauerte es, aus dem Beamtenwesen wieder auszutreten.

      Freunde hatten den Kopf geschüttelt, Kollegen die Nase gerümpft, als sie davon erzählte, mit dem Gedanken zu spielen, aus dem Schuldienst auszutreten, allen voran ihr Lieblingskollege Andreas, der zugleich Personalrat an ihrer Schule war.

      „Mensch Catharina, dit kannste doch nich machen. Jetz überleg’ doch mal. Die janze Sicherheit jeht doch flöten, die janzen Privi­lejien futsch. Sicher, verbeamteter Lehrer zu sein is’ nich immer n’ Zuckerschlecken. Aber denk doch och ma an deine Ver­sor­jungsbezüje, dit is doch denn allet futsch.“ Der einzige, der ihr Vor­haben gutgeheißen hatte, war Martin gewesen. Martin, der treu zu ihr hielt, ihr den Rücken stärkte und Mut zusprach, wenn sie ihn brauchte.

      Catharina hatte sich schließlich dazu durchgerungen, sich vorerst als Beamtin für drei Jahre beurlauben zu lassen. Andreas hatte sie bekniet, es doch bei einem Jahr zu belassen, doch darauf ließ Catharina sich nicht ein. „Drei Jahre. Und wenn das gut geht, gebe ich meinen Beamtenstatus auf.“

      Die drei Jahre waren gut gegangen. Natürlich hatte Andreas recht, auf die Privilegien, die sie als Beamtin genossen hatte, musste sie verzichten. Doch ihr großzügiges Erbe machte diesen Verzicht schmerzfrei.

      Sie gab mehr Nachhilfe als zuvor, konnte mehr Zeit in ihre Kunst und ihr Schreiben investieren und hatte insgesamt das Gefühl, mehr Lebensqualität gewonnen zu haben.

      ...6...

      „Was schreibst du da eigentlich?“ Marie beugte sich neugierig über das Notizbuch, in dem Catharina gerade ihre Gedanken fest­hielt.

      „Ich habe angefangen, ein Lexikon der positiven Botschaften zu schreiben“, gab Catharina bereitwillig Auskunft.

      „Ein Lexikon der positiven Botschaften? Was ist das?“

      „Ganz genau weiß ich es auch noch nicht, aber meine Idee ist, dass ich für Botschaften, die wir häufig wenig positiv aus­drücken, Übersetzungen finde, die positiver sind.“

      „Zum Beispiel?“ Maries Augen schauten sie fragend an.

      „Zum Beispiel macht es einen Unterschied, denke ich, ob ich zu jemandem sage „Ich verstehe dich nicht“ oder ob ich sage: „Ich versuche, dich zu verstehen“.“

      „Warum macht das einen Unterschied?“

      „Nun, zum einen, weil ich mit allem, was ich sage, eine Bot­schaft in die Welt schicke. Wenn ich zu einem anderen Men­schen sage „Ich verstehe dich nicht“, dann steckt darin irgend­wie etwas Endgül­tiges, vielleicht auch ein Nicht­verstehen­wollen. So könnte es zu­mindest beim anderen ankommen, und wahr­scheinlich schicke ich damit die gleiche Nachricht auch an mich selbst, an mein Unter­bewusstsein.“

      „Was ist ein Unterbewusstsein?“

      „Das Unterbewusstsein ist das in uns, was die Welt sozusagen durch einen Schleier wahrnimmt. Wir nehmen etwas ein biss­chen wahr, aber nicht richtig. Das Unterbewusstsein ist besonders aktiv, wenn wir schlafen. Es ist vor allem dafür ver­antwortlich, unsere Träume zu erschaffen.“

      „Und was ist das Überbewusstsein?“

      Catharina lachte kurz auf. „Das wäre nur logisch, meine Süße, wenn es neben dem Unterbewusstsein auch das Über­bewusst­sein gäbe. Seltsamerweise nennen wir es allerdings einfach nur Be­wusst­sein. Das sind zum Beispiel die Gedanken, von denen wir genau merken wir sie denken. Wir hören sie so­zusagen in unserem Kopf. Daneben gibt es aber eben auch die Gedanken und vor allem auch Gefühle in uns, die wir gar nicht so richtig hören oder fühlen.“

      „So wie beim Zahnarzt, wenn wir eine Spritze bekommen und dann alles ein bisschen taub ist?“

      „Ja, so könnte man es wohl beschreiben.“ Catharina nickte.

      „Und zum anderen?“ Marie zupfte an ihrer Unterlippe.

      „Zum anderen was?“

      Marie runzelte leicht die Augenbrauen und erklärte: „Du sagst doch immer, wenn wir „zum einen“ sagen, dann gehört dazu auch ein „zum anderen“, sonst gibt es kein Gleichgewicht. Und eben hast du gesagt „Zum einen schicken wir eine Nachricht an die Welt und an das Unterbewusstsein.“ Und was machen wir zum anderen?“

      „Ja, richtig, das „zum anderen“ fehlte noch. Nun, zum anderen ist es so, dass alles, was wir sagen, eine Form von Energie ist, beziehungsweise Energie transportiert. Es ist sogar eigentlich so, dass alles, was es gibt, Energie ist. Es gibt gar nichts anderes außer Energie, sie hat bloß völlig unterschiedliche Formen.“

      „Energie? So wie der Strom aus der Steckdose?“

      „Der Strom aus der Steckdose ist nur eine einzige, bestimmte Sorte von Energie. Die ist in der Tat sehr praktisch und hilft uns bei vielen Dingen im Alltag. Für viele Menschen hört die Vor­stellung von Energie daneben allerdings auch schon bald wieder auf.“

      „Für meine Mama aber nicht. Die sagt oft „Ich habe gar keine Energie mehr“, selbst wenn bei uns immer noch Strom aus der Steckdose kommt.“

      „Ja, stimmt, das ist die zweite Vorstellung von Energie, die noch recht vielen Menschen geläufig ist.“

      „Aber