Annah Fehlauer

Worte wie wir


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stark für uns.“

      „Würden wir dann verbrennen?“

      „Naja, vollständig verbrennen wahrscheinlich nicht. Aber unsere Haut würde verbrennen, so, wie wenn wir einen schlimmen Sonnen­brand haben. Und nach einer Weile würden wir richtig krank werden. Deshalb ist es wichtig, dass das Schutz­schild aus Ozon unsere Erde umgibt.“

      „Aber das Ozonschild hat ein Loch?“

      „Sozusagen. Das Ozon ist so eine Art Schleier aus Gas. Und an einigen Stellen ist es so dünn geworden, dass es nicht mehr richtig als Schutzschild wirken kann. Dann sprechen wir vom …“ „So wie meine Jeans am Knie?“, wurde sie von Marie unter­brochen, die nun ihre Hose untersuchte und an der Stelle herum­pfriemelte, an der die Jeans nur noch aus einzelnen Fäden bestand.

      „So kann man es sich vorstellen.“ Catharina bewunderte einmal mehr, wie Marie immer wieder imstande war, Dinge rasch zu be­grei­fen und in ihrer kindlichen Art so herrlich treffende Ver­gleiche zu finden.

      „Und stimmt es, dass das Ozonloch wieder gestopft werden kann?“

      „Ich hoffe das und glaube ganz fest daran. Und immer mal wieder gibt es auch Wissenschaftler, die sagen, dass es dazu Grund zur Hoffnung gibt.“

      Marie begann nun, die Ordnung der nach ihrer Größe sor­tierten Holzmalstifte wieder aufzubrechen und stattdessen jeweils zwei Stifte unterschiedlicher Farben einander zu­zuordnen. Erneut dachte Catharina, das Thema sei für ihre kleine Freundin beendet, als Marie nach mehreren Minuten des Schweigens fortfuhr: „Und wenn du keine Nachrichten über das Ozonloch schreibst, was schreibst du dann für Nach­richten?“

      Catharina dachte kurz nach, bevor sie antwortete: „Zum Beispiel, dass alle Menschen genug zu essen haben, solche Dinge.“

      „Stimmt das denn? Meine Klassenlehrerin sagt immer, dass es viele Menschen gibt, die nicht genug zu essen haben, und dass wir deswegen unsere Pausenbrote unbedingt aufessen sollen.“

      „Manchmal ist es so, dass mehrere Dinge wahr sein können, die sich auf den ersten Blick scheinbar ausschließen. Mit dem Hunger auf der Welt ist es so. Was du in der Schule lernst, nämlich dass viele Menschen heutzutage hungern, ist schon wahr. Aber es müss­te nicht so sein. Nicht, wenn man das Essen und auch manches andere anders verteilt.“

      Marie schien nicht unbedingt über hungernde Menschen sprechen zu wollen, jedenfalls ging sie auf die Bemerkung nicht weiter ein, sondern wendete sich einer anderen Frage zu.

      „Und warum schneidest du dazu die Wörter aus der Zeitung aus und schreibst nicht so?“ Sie deutete mit einer Hand­bewegung an, dass sie meinte, weshalb Catharina die Nach­richten nicht hand­schrift­lich schrieb. „Das würde doch viel schneller gehen.“

      „Da hast du völlig recht, Marie. Das würde auf jeden Fall schneller gehen. Aber irgendwie bilde ich mir ein, dass so die Wirkung größer ist.“

      „Wie meinst du das? Welche Wirkung?“

      „Dass das, was ich als Glücksnachrichten formuliere, wirklich wahr wird.“

      „Glaubst du denn wirklich daran?“

      „Nun ja, wir haben ja schon viel über die Macht der Gedanken und Worte gesprochen, meine Süße, und ja, ich glaube daran, dass beides eine große Wirkung hat. Früher habe ich viel Zeitung gelesen. Aber irgendwann wurde ich immer trauriger, weil ich das Gefühl hatte, dass das allermeiste, was in der Zeitung steht, schlimme Nachrichten sind. Natürlich gibt es auch ein paar Aus­nahmen. Zum Beispiel, wenn sich Politiker in einer wichtigen Sache einigen.“

      „Oder wenn es ein neues Kind gibt?“

      „Auch das natürlich.“

      Catharina dachte daran, wie sie irgendwann beschlossen hatte, Nachrichten zu fasten, weil sie es schier nicht mehr ertragen konnte, so viel Negatives zu hören und zu lesen. Das hatte sie einige Monate lang versucht, doch auch das empfand sie nicht als befriedigend. Sie wollte ja durchaus etwas von der Welt mit­bekommen. So hatte sie angefangen, auf die Jagd nach positiven Nach­richten zu gehen. Es hatte damit begonnen, dass sie in der Tages­zeitung die wenigen Nachrichten mit einem Leuchtstift markierte, in denen tatsächlich Gutes verbreitet wurde. Bald darauf hatte sie diese Art von Nachrichten ausgeschnitten und in einem Notizbuch gesammelt, ihrem persönlichen Glückskalender des laufenden Jahres. Und daraus hatte sich nach und nach ihr Glücks-Kunst-Projekt ergeben.

      Neben den Originalnachrichten, die sie am Stück aus­geschnitten und aufgeklebt hatte, hatte sie angefangen, Collagen zu erstellen, indem sie einzelne Worte aus der Zeitung ausschnitt und daraus Über­schriften und Nachrichten zusammenstellte, die so nicht in der Zeitung zu lesen waren. Aus diesen Wortschnipseln stellte sie eine Art Wandzeitung her. Auf einer großen Leinwand klebte sie die einzelnen Worte zu neuen, positiven Botschaften zusammen. Anfangs waren das recht realitätsnahe Nachrichten gewesen, zunehmend hatten ihre Botschaften allerdings einen poetischeren Ton an­genommen. Mittlerweile war daraus eine Art „Tageslyrik“ ge­worden. Sie mochte auch den Ausdruck „Gebrauchslyrik“, wie ihn Mascha Kaléko, eine ihrer Lieblingsdichterinnen, geprägt hatte.

      „Ausbildung zum Helfer.

       Experten berichten: Gespräche mit Sternen

      schenken friedvolle Momente

      konnte man beispielsweise dort lesen, oder:

      „Durchbruch bei Glückskonferenz:

       Delegierte für eine Friedwelt der Liebe

      Antrag einstimmig angenommen.“

      Lange Zeit hatte sie diese Glücksnachrichten vornehmlich für sich selbst geschrieben, doch eine Freundin, der sie davon erzählt hatte, hatte sie mehrfach ermuntert, sie zu ver­öffent­lichen.

      „Mach doch ein Buch daraus!“

      „Ich weiß nicht, mal sehen“, Catharina hatte zunächst ihre Zweifel gehabt, diese dann jedoch über Bord geworfen. „Ach, warum eigentlich nicht? Ich habe dabei ja nichts zu verlieren.“

      Ein Jahr später hatte sie genügend Material für einen kleinen Glücks­band zusammengestellt. Bei zwei Verlagen hatte sie erfolg­los angefragt, ein dritter, ganz kleiner Verlag hatte einer Ver­öffent­lichung schließlich zugestimmt. Geld verdienen ließ sich damit nicht, aber darauf kam es ihr ja auch nicht an.

      Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass es sie durchaus mit Stolz erfüllte, wenn ihr Blick beim Schweifen über die Bücher­wände im Wohnzimmer zufälligerweise an ihrem eigenen Bänd­chen hängenblieb. „Das Glück von morgen in den Nach­richten von heute“ hatte der Verlag das Bändchen tituliert. Catha­rina hätte es umgekehrt sinnvoller gefunden, hatte sich damit jedoch nicht durchsetzen können. Für ihre eigenen Ansichts­exemplare hatte sie deshalb einen zweiten Schutzumschlag selbst gestaltet, auf dem der Titel hieß: „Das Glück von heute in den Nachrichten von morgen“.

      „Catharina Freudenberg entwirft eine bessere Welt. Wohl­fühl­gedanken zum Schmunzeln und Schnurren“ hatte die Lektorin als Klappentext verfasst, was Catharina als passionierte Katzen­lieb­haberin im Grunde recht gut gefiel. Einmal hatte sie das Bänd­chen auch tatsächlich in einer Buchhandlung ent­deckt und sich sehr gefreut. Sie war sich durchaus bewusst, dass auch eine solche Freude oder das Gefühl des leisen Stolzes ein Produkt des eigenen Egos waren. Die Tatsache, dass sie einen kleinen Lyrikband ver­öffentlicht hatte, machte sie nicht zu einem besseren Menschen. Andererseits wollte sie damit ja tatsächlich etwas mehr Licht in die Welt tragen – und das an sich war doch nicht verwerflich?

      „Soll ich dir was verraten?“ Maries Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

      „Gerne, meine Süße, was denn?“

      „Heute war auch so ein Tag.“

      „Was für ein Tag war heute?“

      „So einer, an dem ich mich selbst nicht ausstehen kann.“ Marie runzelte noch einmal kurz die Stirn bei dem Gedanken daran, welch