dazu, an eine solche erinnerte. Am rechten Handgelenk trug sie einen breiten silberfarbenen Armreif mit schwarzen Glitzersteinen.
Sie setzte sich an den Tisch, befahl Nickel darunter Platz, und bereits im nächsten Augenblick lag der Hund unter dem Tisch. Sie zog sich den Aschenbecher heran. »Wie gut, dass Madame Le Blanc selbst raucht, und wir hier die einzigen Gäste sind, so dass ich freudig diesem Laster frönen kann«, stellte Zink fest, während das Klicken ihres Feuerzeugs verriet, dass sie sich soeben ihre Zigarette anzündete. Gleich danach nahm sie sich eine Schale und füllte ihren Kaffee mit Milch hinein.
»Ist Ihnen kalt, Madame Zink?« Kim saß da, nur mit einem dünnen T-Shirt und einer leichten Baumwollhose bekleidet.
»Kalt, Kim? Ach, Sie meinen wegen der Weste.« Sie zog fröstelnd die Schultern zusammen. »Mich fröstelt schon den ganzen Morgen. Wenn mir zu warm wird, kann ich sie auch gleich wieder ausziehen.«
Gräulich betrachtete sie. Besorgt fragte er sie: »Was ist passiert, Madame? Sie sehen heute Morgen gar nicht gut aus, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.«
»Fragen Sie nicht, Gräulich. Fragen Sie nicht«, wehrte sie mit abweisender Handbewegung ab, und blickte von ihrer Kaffeeschale zu ihm auf. Gleich danach stellte sie die Schale auf den Tisch, und strich sich erschöpft mit beiden Händen übers Gesicht. Dabei öffnete sie den Mund, und bewegte ihren Kiefer hin und her.
»Haben Sie schlecht geschlafen? Ist nicht immer einfach, in einem fremden Bett zu schlafen.«
»Nichts dergleichen, Gräulich. Im Gegenteil, ich habe geschlafen wie Phil.« Als sie die unverstehenden Augen der anderen sah, lachte sie. »Na ja, ich habe geschlafen wie Phil. Immer noch nicht verstanden? Eben wie Phil, das Murmeltier aus Und täglich grüßt das Murmeltier. Mein absoluter Lieblingsfilm«, erwähnte sie zum Verständnis der anderen. »Das hieß doch Phil. Und es gibt doch auch die Redewendung, geschlafen wie ein Murmeltier. Also, ich habe geschlafen wie ein Murmeltier, eben wie Phil.« Neuerlich lachte sie, als hätte sie selbst einen guten Witz gemacht, wobei sie eigentlich gar kein Freund von Witzen war, zumindest nicht von den gewöhnlichen. Wenn, dann schon eher von den ausgefalleneren. »Wie gesagt, ich habe geschlafen, und wie ich geschlafen habe. Fest, tief und traumlos. Aber, als ich heute Morgen aufgestanden bin, habe ich mich gefühlt, als wäre ich durchgeknetet worden. Mein Gesicht fühlt sich an, als wäre es durch ein Mühlrad gedreht oder von einer Dampfwalze geplättet worden.«
Der Professor schaute sie erschrocken an. Dabei vermied er es dennoch, ihrem Blick zu begegnen. Er dachte an sein Erlebnis der letzten Nacht, als sich das Bildnis Madames vor seinen Augen verändert hatte. Besorgt sah er Madame an. Ob ihr Unwohlsein an diesem Morgen damit womöglich zusammenhing? Doch wie konnte das sein? Was für einen Zusammenhang konnte es hierbei geben? Da er Zink nicht beunruhigen wollte, behielt er das nächtliche Erlebnis für sich. Sollte sich das Portrait noch einmal verändern, dann wäre immer noch Zeit, ihr davon zu berichten. Wozu sollte er sie jetzt, möglicherweise völlig grundlos, beunruhigen. Womöglich hatten ihm heute Nacht auch seine Augen einen Streich gespielt, und er hatte sich die Veränderungen des Portraits auch nur eingebildet. Wogegen allerdings der Umstand von Madames morgendlichem Befinden sprach.
Gräulich nahm sich vor, später und alleine, noch einmal dorthin zu gehen, wo gestern der Straßenmaler Zink gezeichnet hatte. Vielleicht war ja er in der Lage, ihn schlauer zu machen.
Möglicherweise war es gar kein Zufall, dass der junge Mann sich von ihnen allen, ausgerechnet Zink zum Portraitieren ausgesucht hatte.
Madame wandte sich an Quentin. »Wo ist eigentlich Evelyn? Sagen Sie nicht, dass die alte Dame immer noch beleidigt ist.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Madame. Ich habe sie heute Morgen noch nicht gesehen. Und auch nichts von ihrem Lavendelduft wahrgenommen. Keine Ahnung, was sie die ganze Nacht gemacht hat. Ich hoffe nicht, dass sie bereits schon wieder dabei ist, uns noch zusätzliche Gesellschaft zu besorgen.« Er dachte daran, wie seine Großtante auf Shadowisland Syra von Burgen nach einem ihrer Alleingänge mitgebracht hatte.
Sie verfielen in Schweigen. Sich Zeit nehmend, tranken sie ihren Kaffee und aßen ihre Croissants.
Danach brachen sie auf, denn den Besuch des Louvre wollte sich Zink, trotz ihres Unwohlseins, nicht entgehen lassen, zumal ihr Morgenschmerz, im Laufe des Frühstücks, so nach und nach nachgelassen hatte.
12 – Radiogeflüster
Evelyn saß auf der Rückbank Cemetery Cars.
Nachdem sie stundenlang ziellos durch die alten Gassen Paris’ gestreift war, war sie am Ende auf dem Parkplatz des Le Petites angelangt.
Die Vögel erwachten und ihr leises Gezwitscher verkündete den Bewohnern von Paris den neuen Tag.
Auch die Glocken St. Claires läuteten in stündlichen Intervallen das Voranschreiten des neuen Tages ein.
Evelyn hatte ihre Beine weit von sich gestreckt. Ihr Gesicht wirkte nachdenklich. Bisher war es ihr immer noch nicht gelungen, herauszufinden, welche Gefahren in Paris auf Quentin und Kim lauerten. Auch hatte Gräulich keine neuerliche Vision diesbezüglich gehabt; was die Geisterlady aufs Tiefste bedauerte.
Ein Stöhnen wand sich auf ihrer Brust und kroch über ihre Lippen hinaus. Wozu war sie ein Geist, wenn sie solche Dinge nicht vorhersehen konnte? Wenn sie doch wenigstens einen Anhaltspunkt hätte, wüsste, von woher die Gefahr ausging, dann hätte sie die Möglichkeit gehabt, den Dingen vorzugreifen, vielleicht sogar einen Weg gefunden, die Gefahr zu bannen. Doch so? So konnte sie nichts, rein gar nichts tun.
Mit der Hand schlug entnervt auf die Rückbank Cemetery Cars. »Sag du es mir. Sag du mir, was für eine Gefahr in Frankreich auf die Kinder wartet!« Sie sah zwischen ihren Beinen hindurch auf den Sitz der Rückbank, geradeso, als erwartete sie jeden Augenblick eine Antwort von dieser.
Evelyn lehnte sich zurück. Sie schloss die Augen, doch alles, was sie sah, war Dunkelheit. Nichts und niemand war da, der ihr auf ihre Fragen hätte antworten wollen, oder gar geantwortet hätte.
Das Radio schaltete sich ein. Knistern und Knacken drang daraus hervor. Erstaunt wanderte Evelyns Blick zu dem Radio des ehemaligen Leichenwagens. Sie neigte den Kopf und ließ den Blick aufs Radio gehaftet. »Willst du mir etwas sagen?«
Erneutes Knistern. Dann, wie von ganz weit weg, unterbrochen von vielen Knack- und Knistergeräuschen, vernahm die Geisterlady eine Stimme.
»Es sind … die … Karten …« Wieder wurde die Stimme unterbrochen, als wollte jemand anders verhindern, dass Evelyn die Wahrheit erfuhr.
Ihr wurde heiß und kalt, obwohl sie ein Geist war, fühlte sie es. Diese Stimme, sie kam ihr bekannt vor. Sehr bekannt und sehr vertraut. Wie lange mochte es zurückliegen, seit sie ihr geholfen hatte, den Weg ins Licht zu finden?
»Evelyn li Nola, du musst verhindern, dass …«, versuchte die Stimme, sie zu warnen, wurde jedoch von Rauschen unterbrochen.
Erneut wurde die warnende Stimme von anderen, lauten, Ohrschmerz verursachenden Geräuschen verdrängt.
Das Knistern und Rauschen, das aus dem Radio drang, war jenen ähnlich, wie sie noch vor einigen Jahren aus Radiosendern erklangen, die auf Mittelwelle geschaltet waren. Geräusche, von denen einige Menschen behaupteten, dass es die Stimmen der Toten waren, die einen Weg suchten, um zu den Lebenden zu sprechen.
Evelyn setzte sich auf den Beifahrersitz. Auf diese Art war sie dem Radio näher, und hoffte, dadurch die Stimme besser verstehen zu können. Die Stimme, von der sie nach wie vor glaubte, sie zu kennen.
Ihr Gesicht ganz dicht am Radio, fragte sie: »Booker? Booker bist du das?«
Erneutes Knistern. Dann ein leises, sympathisches Lachen. »Evelyn, du hast mich erkannt?« Die Frage der Stimme war klar und deutlich, und ohne jedes Rauschen zu verstehen.
Erleichtert lehnte Evelyn sich zurück.
Booker!
Booker hatte einen