Angelika Nickel

Cemetery Car®


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konnte, bestrafte sie den Jungen, oder gab ihn, aus nichtssagenden Gründen heraus, zum Küchenpersonal, das wiederum auf Richelieu aufzupassen hatte.

      Duval du Noir beobachtete dies mit Missfallen, dennoch ließ es seine Zeit nicht zu, sich mehr um den Jungen zu kümmern, als er es ohnehin schon tat. Jede freie Minute versuchte Duval mit Richelieu zu verbringen.

      Die Situation wurde fast unerträglich, als ein Zimmermädchen, Mariélle, schwanger wurde. Dieser hatte eine alte Zigeunerin weisgesagt, dass sie ein gesundes Mädchen zur Welt bringen würde. Überglücklich erzählte sie dies im Le Petite, so dass auch Madame du Noir davon erfuhr. Mit einem falschen Lächeln sah sie das Zimmermädchen an, versprach sich in Bälde um sie zu kümmern und verabschiedete sich unter einem fadenscheinigen Vorwand.

      Von Neid zerfressen zog sie sich auf ihr Zimmer zurück.

      Am Abend des gleichen Tages stieg Philippe Lafaiette im Le Petite ab.

      Ohne es zu wissen, oder gar zu ahnen, sollte Philippe Lafaiette zu Riviera du Noirs Schicksal werden.

      Sie sich gegenseitig ihr Schicksal sein sollten.

      Während einer kurzen Unterhaltung mit dem neuen Gast, erfuhr die Du Noir, dass der Mann ein Maler, ein vielseitiger Künstler war. Doch Philippe Lafaiette war kein gewöhnlicher Maler. Er war ein Künstler auf seinem, einem ganz speziellen Gebiet: dem Gebiet des Tarotkartenmalens.

      Tarotkarten, mit deren Hilfe den Menschen ihre Zukunft geweissagt werden konnte.

      Als Riviera du Noir davon hörte, sah sie die Chance für sich. Sie beschloss, sich Philippe Lafaiette anzunehmen, und so mehr über Tarotkarten zu erfahren. Darüber, wie sie zu deuten waren, und inwieweit der Maler des Kartendecks Einfluss auf das Schicksal der Frager hatte.

      Vor allem aber, inwieweit der Kartendeuter in der Lage war, das Leben der Fragenden zu beeinflussen.

      In Philippe Lafaiette erhoffte sich Riviera du Noir den Mann kennen gelernt zu haben, mit dessen Hilfe sich ihr Leben so verändern würde, wie sie es sich wünschte. Schon immer ersehnt hatte. Der ihr dabei behilflich sein sollte, bei ihrem irrwitzigen Streben nach Macht. Den sie benutzen wollte, um ihre wahnwitzige Gier zu stillen.

      Sein Tarot, Philippe Lafaiettes Tarot, er würde sie zu ihrem Ziel führen. Mit ihm würde sie die Macht besitzen, nach der sie schon ihr Leben lang strebte. Und sie würde sich rächen. Rächen an all den Menschen, für das, was man ihr als Kind, als sie noch in armseligen Verhältnissen lebte, angetan hatte. Sie würde herrschen und beherrschen, sie wäre die mächtigste Frau auf der Welt. Sie, und nur sie alleine: Riviera du Noir!

      Der Tarot, er wies ihr Wege, von denen sie im Traum nicht gewagt hatte, daran zu glauben, dass ihr diese jemals vergönnt sein würden. Alles würde sie mit dem Tarot tun können, wäre er erst einmal zu Ende gemalt, und in ihren Besitz gelangt. Vor ihren Augen wurden ihre bösartigsten und durchtriebensten Wünsche wahr. Sie erkannte, wozu sie mithilfe des Tarots in der Lage sein würde.

      Sah, wie sie gleichzeitig andere würde bestrafen können, wäre sie erst einmal in die Kunst der Tarotkartenwahrsagekunde eingeweiht. Und wenn dieser Tag gekommen sein würde, dann wäre sie, Riviera du Noir, als Einzige in der Lage das Leben der Menschen zu bestimmen. Sie lächelte böse, dachte an das Zimmermädchen Mariélle. Mit ihr würde sie beginnen. Ihr würde sie Krankheit und Tod ihres ungeborenen Babys vorhersagen. Und in Gedanken sah Riviera du Noir, wie Mariélle, am Boden zerstört, ihr totgeborenes Mädchen in den Armen wiegte. Tränenüberströmt und mit gebrochenem Herzen.

      Ein durchtriebener, bösartiger Ausdruck machte sich auf Riviera du Noirs Gesicht breit. Ja, sie würde mit diesen Karten Macht besitzen. Eine Macht, die es ihr ermöglichen würde, die Pläne der Menschen zu durchkreuzen. Sie würde mit ihnen das Böse in die Welt bringen. Es würde nur einen Menschen geben, der mit dem Tarot die Herrschaft besitzen würde, und dieser Mensch würde sie, Riviera du Noir, sein.

      Macht! In der Welt ging es immer nur um Macht, und diese würde sie haben. Sie alleine. Riviera du Noir!

      …

      Gräulich schlug die Augen auf. Mit fieberglühendem Leuchten sah er Salvatore Amore an. Leise flüsterte er: »Der Tarot … Die Karten … Die Geschichte des Le Petites …, mehr … herausfinden …« Bereits im nächsten Augenblick verfiel der Professor in Fieberphantastereien, von denen Salvatore kein einziges Wort verstand. Nur undeutliches Nuscheln kam über Gräulichs Lippen.

      14 – Chantal, die Schwester des Paters

      Chantal sah ihren Bruder mit großen Augen an. Sie konnte nicht glauben, dass er es war, der ihr von solch einer Geschichte erzählte. Nicht er, Pater Pascal, dem gelehrt worden war, dass es Okkultismus nur im Bereich des Dämonischen gab.

      »Pascal, bist du dir ganz sicher, dass sich die Aura des Bösen als Schatten an die junge Frau geheftet hat?« Chantal betrachtete ihren Bruder skeptisch.

      »Ich bin mir völlig sicher.« Pater Pascal überlegte, dabei lag sein Blick nachdenklich auf seiner Schwester. »Was wäre, wenn du einmal mit ihr reden würdest?«

      »Und was, bitte, soll ich ihr sagen? Etwa: Entschuldigen Sie, aber wissen Sie, dass Sie von einem bösen Schatten der Vergangenheit verfolgt werden? Pascal, du musst selbst zugeben, dass das so nicht gehen kann. Zudem, ich kenne sie noch nicht einmal. Und du auch nicht. Woher willst du denn wissen, dass sie wieder den Weg nach St. Claire finden wird?«

      »Weil die meisten der Verfolgten, immer irgendwann den Weg zu St. Claire finden, Chantal.«

      »Ach, Pascal, wenn ich doch nur wüsste, wie ich dir helfen könnte. Wo sagtest du, ist sie abgestiegen?«

      »Im Le Petite.«

      »Das Le Petite. Das geheimnisumwobene Le Petite und der Vergangenheitsschatten, das würde schon Sinn machen. Aber wieso ausgerechnet eine Touristin?«

      »Weshalb nicht?«

      »Wir müssten herausfinden, wie viel von den Gerüchten um das Le Petite tatsächlich wahr ist. Was davon sich tatsächlich zugetragen hat«, überlegte Chantal. »Warum gehst du nicht einmal Madame Le Blanc einen Besuch abstatten? Vielleicht triffst du dabei auch auf die fremde Frau. Pascal, wenn du Recht haben solltest, und sie nicht grundlos den Weg ins Le Petite und zu St. Claire gefunden haben sollte, dann musst du ohnehin einschreiten und kannst nicht tatenlos zusehen. Nur ich, ich kann derzeit nichts tun, denn, um handeln zu können, müsste ich sie erst einmal kennen lernen, und das zu arrangieren, wird so einfach nicht sein.«

      »Du könntest zum Gottesdienst kommen«, schlug Pater Pascal vor.

      »Und woher willst du wissen, dass auch sie zum Gottesdienst kommen wird?«

      »Weil ich mir sicher bin, dass unsere Wege miteinander auf spirituelle Art und Weise verflochten sind.«

      »Pascal, lass das nur nicht deinen Boss hören«, mahnte Chantal lachend.

      »Wen meinst du, Chantal? Den Papst, oder die noch höhere Stelle?«, gab er lachend zurück.

      »Wenn uns jemand zuhören würde, er würde uns glatt für Ketzer halten.«

      »So schlimm würde es doch wohl eher nicht kommen. Aber nun Scherz beiseite. Ich werde morgen einmal dem Le Petite einen Besuch abstatten, und auf Gott vertrauen, dass ich der jungen Frau dabei begegnen werde.« Pater Pascal stand auf, zog sich seinen Rock zurecht. Er umarmte seine Schwester. Leise sagte er: »Ich bin froh, Chantal, dass ich so offen mit dir reden kann.«

      »Und deine Kirche kann froh sein, dass sie einen solch weltoffenen Menschen wie dich, bekommen hat. Auch wenn ich es immer noch nicht verstehen kann, warum du ausgerechnet hast Pater werden müssen. Hätte es nicht auch etwas anderes getan? Religionslehrer zum Beispiel? Immerhin, die haben kein Zölibat.« Sie schwieg einen Augenblick, sah ihren Bruder nachdenklich an. »Du wärst solch ein guter Vater geworden, Pascal.«

      »Schwester, ich bin der Vater von vielen. Sieh doch nur all die Schafe des Herrn, die immer wieder den Weg