verabschiedete er sich und ging zurück zu St. Claire.
Bei dem Gedanken an Chantal musste er lächeln. Sie war schon immer dagegen gewesen, dass er sein Leben ganz der Kirche verschrieben hatte. Chantal, sie war eine Gegnerin des Zölibats und der Meinung, dass es in der heutigen Zeit unmöglich war, an diesem weiterhin festzuhalten. Zumal es der christlichen Auffassung von Wachset und vermehret euch im Widerspruch stand. Weshalb wurde den katholischen Pfarrern untersagt, was den evangelischen erlaubt war? Ob katholisch, evangelisch, Gott, Jehova, Manitu, oder sonst wie, letztendlich beteten alle zum gleichen Gott, nur dass jede Religion einen anderen Namen für ihn hatte. Und es war immer schon der Wille Gottes, dass die Erde bereichert sein sollte, bereichert mit Kindern der Erde, Kindern der Liebe. Weshalb also das Zölibat, und mit welcher Rechtfertigung, wurde auch heute noch, im 21. Jahrhundert, daran festgehalten?
Pascals Gedanken drehten sich. Fragen verschmolzen ineinander, um sich gleich danach, einer Amöbe gleich, zu teilen, um zu eigenständigen Fragen zu werden.
Er dachte über das Le Petite nach. An seinen Charme, dem Charme des Altertümlichen, dem Charme einer längst vergangenen Zeit.
Doch auch das Le Petite barg ein schwarzes Geheimnis in seinen Mauern. Zumindest dann, wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte.
Sollte dem so sein, war sich Pater Pascal sicher, dass er kurz davor war, das Geheimnis um das Le Petite zu lüften. Vielleicht musste auch alles so kommen, wie es gekommen ist.
Vielleicht hatte er genau aus diesem Grund Pater werden müssen, um der fremden jungen Frau im Angesicht des schwarzen Schattens, dem Angesicht des Bösen, beistehen zu können.
Vielleicht war nun der Zeitpunkt gekommen, an dem das Le Petite sein Geheimnis preisgeben musste, … wollte.
Wie immer die Antwort auch lauten würde, Pater Pascal war sich sicher, dass alles Fügung, Gottes Wille war, und, dass das Le Petite niemals an seiner Ausstrahlungskraft verlieren würde. Dazu war die schreckliche Vergangenheit des Le Petites nicht in der Lage gewesen, dazu würde auch die Zukunft nicht fähig sein.
Das Le Petite war einzigartig in seiner Ausstrahlungskraft und würde es auch immer bleiben. Nur der traurige Schatten der Vergangenheit, das Böse, das durch die Mauern zog, davon musste die kleine Pension endgültig für immer befreit werden.
Und vielleicht brauchten er und das Le Petite dazu die Hilfe der Touristin.
Denn Pater Pascal wusste: Gottes Wege waren wundersam.
Vielleicht musste er, Pater Pascal, die junge Frau von der Aura des schwarzen Schattens befreien, während sie ihm behilflich sein konnte, die tatsächliche Wahrheit über das Le Petite herauszufinden, und somit den Makel des Bösen, von dem die Gerüchte erzählen, aus dessen Mauern für immer zu entfernen.
15 – Besorgnis
Madame Le Blanc wartete einen Moment und lauschte. Als sie auf ihr Klopfen keine Antwort bekam, drehte sie vorsichtig den Türknauf, in der Hoffnung, dass Madame Zink das Zimmer nicht verschlossen hatte.
Langsam und leise öffnete sich die Tür. Schwanzwedelnd rannte Nickel ihr entgegen, durch die geöffnete Tür an ihr vorbei, hin zu Sorbonne, während Madame Le Blanc das Zimmer betrat. »Madame Zink, hören Sie mich? Bitte nicht erschrecken, ich wollte nur nach Ihnen sehen.« Voller Besorgnis trat sie auf Zinks Bett zu.
Madame Zink lag auf ihrem Bett. Ihr Kopf glühte und ihr rechtes Auge war dick angeschwollen. Langsam drehte sie sich zu Madame Le Blanc. Wie unter Schmerzen, antwortete sie: »Madame Le Blanc, danke, dass Sie nach mir sehen. Es gibt keinen Grund, sich um mich Sorgen zu machen. Ich werde irgendetwas gegessen, oder etwas berührt haben, das ich nicht vertrage. Ist bestimmt nicht mehr als ein kurzweiliges Unwohlsein. Ich nehme an, dass diese leidige Unpässlichkeit bis morgen früh wieder verschwunden sein wird.« Sie mühte sich, der Frau verschwörerisch zuzublinzeln. »Zumindest hoffe ich es. Immerhin will ich auch von Paris noch etwas sehen. Im Bett liegen, kann ich auch bei mir zuhause, dafür musste ich nicht nach Frankreich reisen.« Sie seufzte. »Dennoch wollen wir die Hoffnung nicht aufgeben und guter Dinge sein, dass es mir bis morgen wieder besser geht.« Sie rang sich ein Lächeln ab.
»Madame, bitte nehmen Sie es mir nicht übel, aber so wie Sie aussehen, wäre es besser, ich würde einen Arzt für Sie rufen.«
»Danke, das ist lieb von Ihnen, doch ich brauche bestimmt keinen Arzt.«
Ein vorsichtiges Klopfen am Türrahmen unterbrach das Gespräch der beiden. Pater Pascal stand in der Tür. Er wirkte etwas unbeholfen und leicht verlegen. »Entschuldigen Sie, dass ich hier einfach so anklopfe, aber ich war auf der Suche nach Madame Le Blanc, und dabei konnte ich nicht umhin, einen Teil von Ihrem Gespräch mit anzuhören.« Er machte einen Schritt ins Zimmer. »Ich bin Pater Pascal von der Kathedrale St. Claire. Vor einigen Jahren war ich als Missionar in Afrika. Damals musste ich mir so einiges an Wissen, hinsichtlich der Medizin aneignen. Von daher, wenn Sie möchten, Madames, würde ich mir sehr gerne die Patientin einmal ansehen. Wer weiß, vielleicht kann ich sogar auf irgendeine Art, behilflich sein.«
Madame Le Blanc blickte von Pater Pascal zu Madame Zink. Mit fragendem Blick sah sie sie an. »Madame Zink, darf der Pater Sie untersuchen?«
Zink blickte an Madame Le Blanc vorbei, hin zu Pater Pascal. Sie sah einen jungen Mann vor sich, mit einem freundlichen, offenen Lächeln.
Kraftlos streckte sie dem Pater ihre Hand entgegen. »Wenn Sie schon einmal hier sind, Pater. Aber ich sage Ihnen gleich, es ist mit Sicherheit nur eine kurzfristige Unpässlichkeit.«
Pater Pascal zog sich einen Stuhl an ihr Bett heran. Er schenkte der Frau im Bett ein zuversichtliches Lächeln, dennoch konnte er die Sorge, die sich in seinen Augen spiegelte, nicht verborgen halten.
»Möchten Sie, dass ich das Zimmer verlasse, Pater Pascal?« Madame Le Blanc trat vom Bett Madames zurück.
Der Pater lächelte, während er mit der Untersuchung Madame Zinks begann. »Nein, das müssen Sie nicht. Bleiben Sie hier, wenn Sie möchten.«
»Nein, ich werde nach unten gehen und eine gute Hühnersuppe für den Professor und Madame kochen. Hühnersuppe, sie tut immer gut. Wenn Sie möchten, Pater, es reicht auch für Sie.«
»Hühnersuppe? Nein danke, Madame Le Blanc. Hühnersuppe esse ich gar nicht. Aber danke für Ihr nett gemeintes Angebot. Gräulich jedoch, er isst Hühnersuppe immer sehr gerne«, lehnte Zink dankend ab, der bereits der Gedanke an Hühnersuppe, Übelkeit verursachte.
»Professor Gräulich, ja, nach ihm habe ich auch noch sehen wollen. Vielleicht geht es ihm unterdessen besser.«
Pater Pascal neigte den Kopf in Richtung Madame Le Blanc. »Professor Gräulich? Ein weiterer erkrankter Gast?«, fragte er; dabei zog sich eine Augenbraue besorgt in die Höhe.
»Oui. Leider.« Madame Le Blanc blickte den Pater verlegen an. Es war ihr anzusehen, dass ihr das Thema sichtlich peinlich war. Dass ausgerechnet sie kranke Gäste beherbergte. Hoffentlich fand sich die Ursache dafür nicht womöglich auch noch in ihrem Essen. Nicht auszudenken, wäre das! Wenn sich das herumsprechen würde, würde an ihrer Pension ein Makel haften bleiben, den es in all den Jahren zuvor, noch niemals gegeben hatte. Sie hoffte inständig, dass ihr das erspart und die Krankheit der beiden, eine andere Ursache haben würde.
Pater Pascal, dem dies nicht entgangen war, sagte tröstend: »Kein Grund zur Sorge, Madame Le Blanc. Das hat mit Sicherheit nichts mit dem Le Petite zu tun. Wer weiß, möglicherweise ist es eine Viruserkrankung. Oder tatsächlich einfach nur ein kurzweiliges Unwohlsein.«
»Wie auch immer, Pater. Ich gehe jetzt nach dem Professor sehen, danach werde ich mich der Hühnersuppe widmen.«
»Warten Sie, Madame Le Blanc. Ich werde gehen und nach dem Professor sehen. Gehen Sie schon in die Küche hinunter. Wenn ich die beiden Gäste untersucht habe, werde ich zu Ihnen hinunter kommen.«
»Meinen Sie?«
»Sicher, Madame Le Blanc.«