Johannes Michels

Bücklers Vermächtnis


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der Hocke. Die Dunkelheit im Zeltinnern ließ nichts erkennen und Foch wartete eine Weile, bis seine Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten. Langsam zeichneten sich Silhouetten ab und er erkannte genug um sich zurecht zu finden.

      Schräg vor ihm lag der Chef d’Escadron auf einer Pritsche und schlief. Foch vernahm den regelmäßigen Atem des Offiziers. Sein Blick wanderte durch das Zelt und suchte nach den Taschen. Seine Augen flogen hastig von einer Ecke in die andere, ohne dass sie fündig wurden. Doch da, endlich, unter der Pritsche zeichneten sich schemenhaft die gesuchten Satteltaschen ab. Foch stöhnte innerlich auf. Er würde die Taschen nie unter der Pritsche hervorziehen können, ohne dass La Fayette erwachte. Langsam ließ sich Foch auf alle Viere herab und kroch weiter nach vorn zur Pritsche um die Lage besser einschätzen zu können. Er spürte wie seine Hosen an den Knien von dem aufgeweichten Boden durchnässt wurden, aber das war bedeutungslos. Foch war jetzt nur noch wenige Zentimeter von dem Feldbett entfernt. Er senkte seinen Kopf und erkannte nun ganz deutlich die Satteltaschen. Seine Einschätzung von vorhin bestätigte sich. Die Chance diese dort herauszuziehen, ohne dass der Chef d´Escadron erwachte, war äußerst gering. Aber um aufzugeben war es in Fochs Augen zu spät. Er war zu nah an seinem Ziel. Foch löste die Hände vom Boden und richtete sich auf. Er befand sich nun unmittelbar vor dem schlafenden Offizier. Auch jetzt vernahm er die Stimmen in seinem Innern, der Kampf schien sich aufs Neue zu entfachen. Und abermals nahm Foch das Messer, doch diesmal waren es keine Lederriemen die er durchschneiden wollte, sondern La Fayettes Kehle. Der Offizier lag auf der Seite und hatte ihm den Rücken zugewandt. Foch ergriff das volle, dunkle Haar des Soldaten und riss dessen Kopf brutal nach hinten, so dass die Kehle ungeschützt war. Seine Hand, die das Messer hielt, schnellte nach vorn. Foch vollzog einen kräftigen, tiefen Schnitt der sich vom einen Ohr bis zum anderen erstreckte. Sofort spritzte Blut aus den durchtrennten Halsschlagadern und schoss in einer gewaltigen Fontäne an die Zeltwand. Ein Röcheln entfuhr dem Offizier und in seinem Todeskampf begann er mit den Armen um sich zu schlagen, was Foch jedoch nicht gefährdete. Der Mann aus Nancy fixierte nun mit beiden Händen den sich windenden Körper des Opfers und wartete. Das Röcheln schwang um in ein Gurgeln, bedingt dadurch, dass sich das Blut in die eröffnete Luftröhre und somit in die Lunge ergoss. Seines Blutes beraubt ließen die verzweifelten Befreiungsversuche La Fayettes immer mehr nach, bis sein Körper schließlich in sich zusammenfiel und regungslos auf dem Feldbett verharrte. Foch wartete noch einen Augenblick, dann drehte er den Offizier auf den Rücken, um sich zu vergewissern, dass dieser tot war. Der stattgefundene Todeskampf stand La Fayette noch im Gesicht geschrieben und er starrte Foch mit weit aufgerissenen Augen an, als ob er nicht glauben könne, was soeben geschehen war. Fochs Herz raste. Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Sein Atem ging schwer. Seine Augen flogen hinüber zum Zelteingang, in der Befürchtung die Wache könnte etwas bemerkt haben. Aber es schien nicht so. Draußen war alles still. Foch wischte sich das Blut von den Händen und den Schweiß aus dem Gesicht. Dann zog er leise die Satteltaschen unter der Pritsche hervor. Er musste einige Kraft aufwenden, denn wie vermutet, hatten sie ein großes Gewicht. Er öffnete eine und griff hinein. Es befanden sich Geldsäcke in ihnen. Foch griff nach einem und riss ihn auf. Zum Vorschein kamen Dukaten. Goldmünzen mit einem immens hohen Wert. Foch unterdrückte einen Freudenschrei und beförderte Münze und Sack wieder zurück in die Tasche. Dann schleppte er die Satteltaschen durch die aufgeschnittene Zeltplane nach draußen. Im Lager war es nach wie vor ruhig. Ohne weitere Zwischenfälle schleppte er die Taschen zur Pferdekoppel, sattelte ein Pferd und führte es erst an den Zügeln weit genug vom Lager fort, bevor er aufstieg und im Schutze der Nacht verschwand.

      Zwei Tage und zwei Nächte war er nun bereits auf der Flucht. Bis man die Leiche La Fayettes am nächsten Morgen entdeckt haben würde, dürften etwa sechs Stunden vergangen sein. Das war zwar kein großer Vorsprung, aber die Soldaten wussten auch nicht wo sie nach ihm suchen sollten. Seine Spuren wurden durch den kurz nach seiner Flucht einsetzenden Regen verwischt. Somit konnte Foch davon ausgehen, dass man ihm nicht direkt auf den Fersen war und er von Stunde zu Stunde seinen Vorsprung vergrößern konnte. Allerdings hatte er bei der überhasteten Planung seines Verbrechens eines übersehen und das war die Kleidung. Er trug immer noch die Uniform der Französischen Rheinarmee und damit würde er bei der hiesigen Bevölkerung Argwohn erregen. Er brauchte dringend zivile Kleidung. Aber er konnte schlecht, so wie er aussah, in einen Ort reiten und sich etwas kaufen. Dazu kam, dass er, bis auf die Golddukaten, kein Geld besaß und es war einfach unmöglich mit diesen zum jetzigen Zeitpunkt zu bezahlen, ohne Aufsehen zu erregen. Nein, es musste eine andere Lösung geben. Und jetzt wo er schon einen Raubmord begangen hatte, würde er keine Hemmung haben weiterhin Moral und Anstand beiseite zu schieben.

      Er könnte in ein einsam gelegenes Gehöft einbrechen und sich dort Kleidung stehlen, oder aber einen der vielen Landstreicher überwältigen und dessen Kleider an sich bringen.

      Vorerst war er hier im Soonwald sicher. Über zwanzig tausend Hektar Wald umfasste das Gebiet. Neblige Wälder die sich auf dem quarz- und schieferhaltigen Boden zwischen dem Hauptkamm des Hunsrücks und dem Nahetal befanden. Teilweise undurchdringliches Dickicht, Moor- und Sumpflandschaften. Ein ideales Gebiet um sich zu verstecken.

      Foch trieb sein Pferd weiter den schmalen Pfad entlang. Immer wieder schlugen ihm tiefhängende Äste ins Gesicht und zerschnitten ihm die Haut. Die Dämmerung hatte mittlerweile eingesetzt und die Lichtverhältnisse ließen ein Weiterreiten kaum noch zu. So suchte sich Foch eine große Eiche aus unter der er schlafen konnte. Nachdem er sein Pferd festgebunden hatte, legte er sich hin, doch sein knurrender Magen ließ ihn nur unruhig schlafen. Er hatte seit zwei Tagen nichts richtiges mehr gegessen, nur das was der Wald hergab. Beeren und Wurzeln.

      Im Morgengrauen saß er schon wieder auf dem Pferd und ritt weiter Richtung Westen. Sein Plan in ein einsames Gehöft einzubrechen hatte sich immer mehr gefestigt. Er würde dort nicht nur die benötigte Kleidung finden, sondern auch etwas zu essen und zu trinken. Aber dafür musste er aus diesem Wald heraus.

      Foch wollte sich einen Überblick verschaffen und trieb sein Pferd einen Berghang hinauf, um sich von dort oben zu orientieren. Der Weg ging steil nach oben und das Tier kämpfte mit dem Gewicht des Reiters und des Goldes. Das letzte Stück war so steil dass Foch abstieg und den Rest zu Fuß gehen musste. Oben angelangt band er das Pferd fest und sah sich um. Unter ihm lag der Soonwald. Und in jede Richtung in die er schaute erblickte er nichts anderes als Wald. In den Tälern stieg der Nebel auf, angezogen von der Sonne und eingerahmt von weiteren, geschwungenen Gebirgszügen.

      Zum ersten Mal seit seiner Flucht überkam Foch die Angst. Angst davor, hier in diesem hölzernen Labyrinth gefangen zu sein. Tage und Nächte umher zu irren und so den mühsam erkämpften Vorsprung gegenüber seinen Verfolgern wieder zu verlieren. Fochs Blick schweifte nochmals über die Baumwipfel des Waldes. Irgendwo dort unten war sein Weg. Er würde ihn finden müssen, wenn er sein Leben nicht verlieren wollte. Er drehte sich um und ging zu seinem Pferd, das sich genüsslich über die Nadeln eines Baumes hermachte. Foch spürte wie ihm siedend heiß wurde. Im ersten Augenblick blieb er wie erstarrt stehen, als könne er nicht fassen, was er da sah. Dann ergriff ihn die Panik und er rannte zu seinem Pferd und zerrte es wie von Sinnen von der Eibe fort, an der es zu fressen begonnen hatte. Foch spürte seinen Herzschlag bis hinauf zum Hals. Er öffnete dem Fuchs das Maul, griff hinein und erwischte noch ein paar zermahlene Zweige mit giftigen Eibennadeln, die er angeekelt auf den Boden warf. Er hielt das Pferd immer noch am Zügel, sah entsetzt in dessen Augen und wartete. Binnen Minuten würde sich das Schicksal seinen Pferdes und somit auch seines entscheiden. Sein Blick wanderte nochmals zur Eibe. Warum war ihm der Baum eben nicht aufgefallen, dann hätte er das Pferd nie in die Nähe dieser Pflanze gebracht. Aber jetzt war es zu spät für solche Überlegungen. Jetzt half nur noch zu hoffen, dass der Gaul noch nicht zu viele Nadeln gefressen hatte. Foch wusste genau um die Gefährlichkeit, die die Eibe besaß. Das Gift in ihren Nadeln konnte Pferde innerhalb von Minuten zusammenbrechen und sterben lassen.

      Foch fixierte mit den Augen wieder sein Pferd. Ärgerlich zerrte er etwas an den Zügeln, worauf das Tier begann den Kopf nach hinten zu werfen, um dem festen Griff zu entgehen.

      »Halt still du blöder Gaul«, entfuhr es Foch zornig und er hielt das Pferd noch kürzer am Zügel, worauf dieses ungeduldig begann auf der Stelle zu trampeln. Dann beruhigte sich der Fuchs jedoch wieder und hielt endlich still. Foch beobachtete die Reaktionen des Pferdes.