Johannes Michels

Bücklers Vermächtnis


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gegenüber, ohne dass etwas passierte. Foch begann allmählich zu glauben, dass die Sache glimpflich ausging, als das Pferd ohne Vorwarnung in den Beinen einknickte und zu Boden fiel. Schnaubend riss der Fuchs den Kopf nach hinten, bevor der Körper zur Seite auf den mit Reif bedeckten Waldboden fiel. Sekunden später war das Tier tot.

      Foch sah entsetzt auf den leblosen Körper hinab. Panik und Wut schwollen in ihm an und entluden sich in einem Schrei, der die Vögel in den Bäumen aufschrecken ließ. Dann schmiss er die Zügel, die er die ganze Zeit festgehalten hatte, voller Wucht auf den Kadaver. Er ließ sich auf die Knie fallen und spürte, wie die Verzweiflung seinen Zorn verdrängen wollte. Ohne Pferd kam er nicht weit. Und schon gar nicht mit den schweren Satteltaschen voller Gold.

      Es war ein sonniger Frühlingsmorgen. Keine Wolke war am Himmel zu sehen. Die Bäume des Soonwaldes leuchteten in prächtigen Farben. Eine einzigartige Vielfalt zeigte sich in ihm. Birken, Kiefern, Erlen, Eichen, Hasel, Hainbuchen, Linden, Ulmen und Eiben. Dazu kamen in den wasserreichen Schluchten und Seitentälern Eschen und Ahorn. Unzählige Farnarten und Gräsersorten waren hier beheimatet und sind es auch heute noch. Auch die Fauna zeigte sich vielfältig. Rehwild, Schwarzwild, Rotwild und Hasen. Aber auch Wölfe, Füchse und Marder und viele Vogelarten. Unter diesen auch Raubvögel wie Steinadler, Habicht, Falken und Milane. Aber an jenem Morgen waren dies nicht die einzigen Räuber im unendlich erscheinenden Soonwald. Noch einer war in ihm unterwegs und er schien es noch nicht einmal eilig zu haben, obwohl er wusste, dass eine hohe Belohnung auf seine Ergreifung ausgesetzt war. Aber dieser Wald war für ihn wie ein schützendes Heim, er gab ihm Deckung und Nahrung. Und so ritt er im Schritt auf einem geheimen Pfad, den nur er und ein paar seiner Spießgesellen kannten. Johannes Bückler war unterwegs in den Taunus, wo er hoffte ein neues Leben beginnen zu können, denn er wollte dem Verbrechen entsagen. Er würde sich einen anderen Namen zulegen, Jakob Ofenloch, und hoffte so seinen Häschern zu entkommen. Er glaubte sich dort in Sicherheit weil die rechtsrheinischen Gebiete nicht von den französischen Behörden kontrolliert wurden. Schon öfter hatte er sich dort versteckt, wenn es hier zu brenzlig für ihn wurde und die Gendarmerie ihm zu nah an den Fersen hing.

      Der Räuberhauptmann Bückler hatte eine eindrucksvolle, wenn auch zweifelhafte Karriere hinter sich. Geboren war er, als Kind armer Eltern, 1778 in Miehlen im Taunus. Sein Vater war Abdecker, wie auch dessen Vater. Und so erlernte auch Johannes Bückler diese scheußliche Tätigkeit. Die Abdecker, auch Schinder genannt, schlachteten Tiere aus, zogen ihnen das Fell oder die Haut ab und beseitigten die Tierkadaver. Bückler erinnerte sich nicht gern an diese Zeit zurück. Damals wurde der Grundstein für seine kriminelle Laufbahn gelegt. Von seinem damaligen Lehrmeister berechtigt wegen Diebstahls angezeigt, erhielt der junge Bückler auf dem Kirner Marktplatz eine öffentliche Prügelstrafe. Diese überaus harte Bestrafung, setzte dem damals sechzehnjährigen so zu, dass dadurch sein ganzes weiteres Leben beeinflusst wurde. Anstatt geläutert sein Dasein in eine anständige Bahn zu lenken, obsiegte der Trotz gegenüber der Obrigkeit. Dazu kamen die kostspieligen Ausschweifungen seines jungen Lebens, die finanziert werden wollten. Diebstahl, Raub und Erpressung wurden sein Handwerk. Auch vor Gewalt schreckte Bückler nicht zurück.

      Für seine kriminelle Machenschaften waren ihm auch seine Intelligenz und seine Redegewandtheit von Nutzen. So schaffte er es ohne große Mühe zwielichtige Gestalten um sich zu scharren und eine schlagkräftige Räuberbande zu gründen. Sie überfielen Höfe und Mühlen. Auch reiche Kaufleute und die verhassten Franzosen blieben von Überfällen nicht verschont. Im Gegenteil, letztere erfuhren den ganzen Hass, den Bückler für sie übrig hatte. Er machte sie verantwortlich für das Leid, das die Bevölkerung hinnehmen musste. Arbeitslosigkeit, Hunger und Plünderungen. Aber auch ganz persönliche Ereignisse trugen dazu bei, dass sich sein Groll gegen die französische Besatzungsarmee richtete. So beging er auch Verbrechen gegen die französische Obrigkeit, was die Suche nach ihm nur noch verstärkte. Einige male schon war der Schinderhannes, so wie ihn das Volk mittlerweile nannte, in die Fänge der Justiz geraten. Aber immer wieder gelang es ihm aus seinem Gefängnis zu flüchten. Es schien keine Mauern zu geben die den Freiheitsdrang des Schinderhannes einzudämmen vermochten.

      Aber nun zog sich die Schlinge der Gendarmerie immer enger zu. Dazu kam dass die anfängliche Sympathie und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung gegenüber ihm schwand. Zu oft hatte er auch redliche, unschuldige Bürger überfallen und das Volk nahm dies nicht mehr hin. Es war an der Zeit dem Räuberleben zu entsagen. Hier und jetzt wollte er einen Schlussstrich ziehen. Aber wieder einmal sollte es anders kommen.

      Bückler war gerade im Begriff den geheimen Pfad zu verlassen und auf eine Lichtung zu reiten, als er einen Schrei vernahm. Ohne Zweifel hatte kein Tier geschrien, sondern es war der Schrei eines Menschen. Bückler spähte zwischen den Bäumen hindurch in die Richtung aus welcher der Schrei gekommen war. Er gab seiner Neugier nach, wendete sein Pferd und ritt in diese Richtung weiter.

      Noch immer kniete Foch vor dem Pferdekadaver und starrte diesen unverwandt an. Sein Kopf war leer, kein klarer Gedanke vermochte sich in ihm zu bilden. Foch war überwältigt von der Ausweglosigkeit seiner Situation. Wie sollte es weiter gehen? Er hatte keine Ahnung. Eher automatisch als überlegt, rappelte er sich auf und schleppte sich zu den Satteltaschen. Der schwere Pferdekörper lag auf einer von ihnen. Foch nahm erst die obere Tasche und legte sie beiseite, dann begann er seine Hand zwischen Pferdekörper und Boden zu schieben. Mühevoll tastete er sich nach vorn, bis er das harte Leder der Satteltasche spürte. Dann begann er an ihr zu zerren. Das Gewicht des Goldes und des Pferdes verlangten ihm sein gesamtes Kraftreservoir ab. Nur mühsam, Zentimeter um Zentimeter, brachte er die Tasche näher an sich heran. Der Schweiß stand ihm vor Anstrengung auf der Stirn und sein Atem ging immer schneller. Als er die Tasche zur Hälfte heraus gezogen hatte, verschnaufte er kurz und zerrte dann noch einmal kräftig an ihr. Die Tasche glitt plötzlich unter dem Pferd heraus und Foch verlor sein Gleichgewicht. Rittlings fiel er auf den noch feuchten Boden. Schwer atmend, aber zufrieden mit dem Ergebnis, rappelte er sich wieder auf, als er erschrocken zur Seite blickte. Dort stand ein Reiter. Ein junger Mann, etwa in seinem Alter. Auf dem Kopf trug er einen grünen Hut mit breiter Krempe. Er hatte braunes, mittellanges Haar, das nach hinten zu einem Zopf zusammengebunden war. Sein ovales Gesicht zierte ein Backenbart. Funkelnde blaue Augen beobachteten Foch ganz genau. Er trug eine schwarze Jacke und blaue, mit Leder aufgeschlagene Pantalons, die in braunen Lederstiefeln steckten. Hoch aufgerichtet saß er auf einem Rappen mit weißer Blesse. Eine ganze Weile standen sich Foch und Bückler so gegenüber.

      Erst dann brach der Schinderhannes das Schweigen: »Was sucht Ihr auf dem nassen Waldboden, Soldat? Etwa Pilze?«

      Foch fiel die heisere Stimme seines Gegenübers auf und auch der Sarkasmus, welcher in dessen Worten lag, blieb ihm nicht verborgen. Aber dann erhellten sich plötzlich Fochs Gedanken, als er begriff, dass dieser Reiter die Rettung für ihn bedeuten konnte. Dort vor ihm war ein Pferd und die so dringend benötigte zivile Kleidung. Er schätzte schnell die Größe des Reiters ab und kam zu Schluss, dass sie seiner in etwa entsprach. Jetzt hieß es geschickt vorzugehen.

      »Mein Pferd ist, wie Ihr seht, verendet«, entgegnete Foch verbindlich und wies hinüber zu dem Kadaver. Er setzte eine traurige Mine auf um damit seine wahren Absichten zu kaschieren. Er bemerkte die Überraschung im Gesicht des Reiters, der wohl von einem französischen Soldaten keine in einem perfekten Deutsch gehaltene Antwort erwartet hatte.

      Bückler drückte die Fersen in die Flanken seines Pferdes und ritt um den Kadaver herum, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Danach richtete er seinen Blick wieder auf Foch. »Wie ist Euer Name, Soldat?«

      »Henri Colbert«, log Foch ihn an.

      »Was macht Ihr hier allein im Wald?«

      Foch gefiel die Neugier des Reiters in keiner Weise. Er wusste immer noch nicht was er von diesem halten sollte.

      »Ich wurde von meiner Einheit getrennt und irre seit vergangener Nacht durch diesen Wald. Könnt Ihr mir sagen wo ich mich befinde?« Foch beobachtete den Reiter ganz genau, doch in dessen Gesicht regte sich keine Miene. Es war schwer einzuschätzen, ob der Reiter den Ausführungen Fochs Glauben schenkte.

      Bückler ignorierte die Frage Fochs und schlug einen schärferen Ton an. »Was ist in den Taschen?«

      Foch setzte ein verlegenes Grinsen