denn darin? Ein Zentner Schweinshaxen?«
Der Reiter musste beobachtet haben, mit welcher Anstrengung er die Tasche unter dem Pferd hervorgezogen hatte. Fochs Herz begann schneller zu schlagen. Er fühlte wie Panik ihn zu übermannen drohte. »Seht doch selbst nach!«, forderte er den jungen Mann auf, in der Hoffnung ihn am Boden überwältigen zu können. Zu Fochs Unmut machte der Reiter keine Anstalten vom Pferd herabzusteigen.
»Euer Ton gefällt mir nicht, Soldat, ganz und gar nicht. Habt Ihr überhaupt einen Passierschein?«
Foch spürte, dass die Situation immer bedrohlicher wurde. Hielt er diesen Reiter vor wenigen Minuten noch für einen arglosen Reisenden, so war er sich jetzt nicht mehr so sicher. In seiner Not fiel ihm nichts besseres ein als zu fragen: »Von wem soll denn dieser Passierschein ausgestellt sein?«
Der Reiter verfiel in ein schallendes Gelächter, bevor er Foch antwortete. »Ich bin überrascht dass Ihr fragt, angesichts des Ortes an dem Ihr Euch befindet?«
Foch sah sich irritiert um.
»Ihr seit im Soonwald und hier stellt die Passierscheine Johannes durch den Wald aus.«
Fochs Knie wurden weich. Jetzt war er sich im Klaren mit wem er es zu tun hatte. Er war hier nicht auf einen kleinen Wegelagerer gestoßen, sondern auf den Räuberhauptmann Johannes Bückler, den alle nur den Schinderhannes nannten. Jeder französische Soldat kannte diesen Namen und seinen Steckbrief. Mit Johannes durch den Wald unterzeichnete der Schinderhannes für gewöhnlich seine Erpresserbriefe und Passierscheine. Foch wurde sich bewusst, dass sein Leben an einem seidenen Faden hing. Dieser Räuber würde ihn unter keinen Umständen laufen lassen und das hieß für Foch, er musste diesen Mann überwältigen.
»Also, Soldat, was ist in den Taschen?« In Bücklers Stimme lag Nachdruck.
Fochs Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Wenn er den Inhalt der Taschen zeigte, würde Bückler ihn auf der Stelle töten und das Gold an sich nehmen. Besser war es, wenn Foch den Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte. Ohne weiter darüber nachzudenken, sprang er nach vorn und versuchte an Bückler heranzukommen, um ihn vom Pferd zu ziehen. Der Rappe scheute leicht und eh sich Foch versah spürte er Bücklers Fußtritt in seinem Gesicht. Von der Wucht nach hinten gestoßen schlug er hart auf dem Waldboden, in der Nähe des Berghangs, auf. Blut spritze aus seiner gebrochenen Nase und er drückte instinktiv seine Hand auf sie.
Er sah hinauf zum Schinderhannes. Nur verschwommen nahm er diesen war. Als sein Blick wieder klarer wurde, sah er dass dieser eine Pistole in der Hand hielt, die er vermutlich unter seiner Jacke versteckt hatte. Foch erkannte deutlich den Hass im Gesicht des Räubers. Langsam rappelte er sich wieder hoch und hielt sich immer noch die schmerzende Nase. Sein Überlebenstrieb veranlasste ihn dazu durch einen schnellen Sprung zur Seite Bücklers Schussbahn zu entkommen, mit dem Versuch am Berghang zwischen den Bäumen Deckung zu finden. Foch hörte den Schuss krachen während er den Berghang hinunter rannte. Er spürte wie die Kugel ihn traf, stolperte und rollte noch einige Meter den Berghang hinab, bevor er mit dem Kopf an einen Stein schlug und regungslos liegen blieb.
Bückler drehte sein Pferd so, dass er eine gute Sicht auf den zwanzig Meter entfernt im Hang liegenden Soldaten hatte. Eine ganze Weile beobachtete er ihn von oben, achtete darauf, ob dieser irgendeine Regung zeigte. Erst als das nicht der Fall war und er ihn für tot hielt, steckte er die Pistole weg und wandte sich den Satteltaschen zu. Da Colbert, oder wie der Soldat auch immer geheißen hatte, die Taschen so vehement verteidigt hatte, war Bückler überzeugt auf etwas Kostbares zu stoßen. Dieser Narr, dachte er. Hätte er ihm die Taschen überlassen, hätte er dessen Leben vielleicht verschont. Bückler merkte dass es nicht leicht war auf dem Pfad der Tugend zu wandeln. Es hatte nicht allzu lange gedauert, bis er seinem Vorsatz ein neues Leben zu beginnen untreu geworden war. Aber es war auch zu verlockend gewesen einem allein umherziehenden französischen Soldaten das Fürchten zu lehren.
Als er eine der Taschen öffnete und dann die Dukaten zum Vorschein kamen, zitterten vor Aufregung seine Hände. Soviel Gold hatte er noch nie auf einem Haufen gesehen. Diese Dukaten würden ihm ein sorgloses Leben bereiten können, wie geschaffen für den Neuanfang, den er sich vorgenommen hatte.
Aber dann fragte er sich wo dieses Gold wohl herstammen möge. Dass es nicht dem Soldaten gehörte, war klar. Dieser schien es gestohlen zu haben. Aber von wem? Die hohe Summe um die es sich hier drehte ließ einen einfachen Diebstahl nicht wahrscheinlich sein. Da der Dieb Soldat war, sprach vieles dafür, dass das Gold auch aus Militär- oder aber Regierungsbeständen stammte. Dem Schinderhannes gefiel dieser Umstand ganz und gar nicht. Denn er konnte sich lebhaft vorstellen, dass eine ganze Kompanie in Aufruhr war, um das gestohlene Gold wiederzubeschaffen und den dreisten Dieb zur Strecke zu bringen. Bückler wusste um die heißen Kohlen auf denen er da saß. Es war sehr gefährlich mit diesem Gold unterwegs zu sein. Er würde es verstecken müssen, bis Gras über die Sache gewachsen war. Vielleicht ein paar Monate, vielleicht auch ein paar Jahre. Wichtig war nur, dass er mit diesem Gold nicht in Verbindung gebracht wurde. Er könnte, wie geplant als fahrender Händler Jakob Ofenloch im Taunus leben. Wenn die Zeit reif war, könnte er den Rhein wieder überschreiten und die Beute an sich bringen. Dieses Gold würde für ihn und seine Frau Julia reichen und sogar für ihr noch ungeborenes zweites Kind. Schmerzlich dachte er zurück an seine Erstgeborene, die bereits kurz nach der Geburt vor einem Jahr gestorben war. Dieses mal sollte alles gut gehen. Er freute sich schon jetzt auf das Lachen seines Kindes und wollte ihm ein unbeschwertes Leben bereiten. Das Kind sollte nicht unter solch schwierigen Bedingungen aufwachsen müssen wie er. Nein, dass wollte er ihm ersparen. Und da reifte in Johannes Bückler ein Plan, der seinen Nachkommen mitbedachte, wenn es denn das Schicksal wollte und er als Vater nicht mehr für ihn da sein konnte.
Er wusste, dass das was er vorhatte, einige Wochen in Anspruch nehmen würde und sich seine Flucht somit verzögerte. Aber in diesem Augenblick sah er ganz deutlich eine Zukunft vor sich die ihm gefiel und im hier und jetzt wollte er diese begründen. Zuerst musste er das Gold verstecken. Er durfte keine Zeit verlieren.
Bückler wuchtete die schweren Satteltaschen auf sein Pferd, stieg auf und ritt los. Er warf noch einmal einen Blick hinunter zu dem im Hang liegenden Soldaten. Dann verschwand er auf geheimem Pfad zwischen den unzähligen Bäumen des Soonwaldes.
Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten. Fliegen und andere Insekten machten sich mittlerweile über den Pferdekadaver her und es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, bis größere Tiere sich seiner annahmen.
Ein leichte Brise war aufgekommen und entlockte Millionen von Blättern ein sattes Rauschen. Foch lag immer noch am Berghang zwischen den Bäumen. Aber er war nicht tot, wie Bückler vermutet hatte, sondern durch den Aufschlag auf den Stein bewusstlos.
Erst jetzt kam er langsam wieder zu sich. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm. Vorsichtig bewegte er den Kopf. Foch verspürte solche Kopfschmerzen, dass er glaubte, sein Schädel müsste zerbersten. Er setzte sich langsam auf und hielt sich den pochenden Schädel. Erst als er sich so eine Weile erholt hatte, konnte er sich wieder auf die Geschehnisse konzentrieren. Anhand des Sonnenstandes erkannte er, dass seit der Konfrontation mit Bückler einige Zeit verstrichen sein musste. Er hatte unheimliches Glück gehabt. Auch wenn ihn sämtliche Knochen schmerzten, so hatte er sich bei dem Sturz doch nichts gebrochen. Noch mehr Glück hatte er, dass ihn Bücklers Kugel nur gestreift hatte. Er zog Jacke und Hemd aus und begutachtete seine linke Schulter. Direkt unterhalb seiner Tätowierung hatte die Kugel einen Fetzen Fleisch fortgerissen. Aber wichtige Strukturen schienen unverletzt, denn er konnte den Arm bewegen. Dennoch brannte es, als ob man ihm heißes Öl über den Arm geschüttet hätte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht riss er einen Streifen seines Hemdes ab und verband die Wunde. Er würde sie später, sobald er Wasser fand, reinigen müssen. Dann stemmte sich Foch in die Höhe und kletterte den Hang nach oben. Als er sich wieder auf der Anhöhe befand schweifte sein Blick in die Ferne. Seine Gedanken waren beim Schinderhannes und dem Gold. Bei seinem Gold. Und er hatte nicht vor, dieses aufzugeben. Er würde Bückler finden und es ihm wieder abjagen, dass schwor er sich. So leicht gab Frederic Foch nicht auf.
Mainz 1803
Mainz, von den Franzosen Mayence genannt, war die Hauptstadt des Départements du Mont-Tonnerre,