Johannes Michels

Bücklers Vermächtnis


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Kommis-Greffiers, teilte mir mit, dass ich dich während des Prozesses nicht sehen dürfe. Heute wäre auf Richters Gnaden hin, die letzte Gelegenheit.« Verstohlen sah sie hinüber zur Wache, die aufmerksam das Gespräch verfolgte.

      Dann hat der Herr Brellinger Wort gehalten und beim Richter diesen Besuch noch erwirkt, dachte Bückler. Er strich seinem Sohn durchs Haar, der ungeachtet dessen das Gesicht seines Vater abtastete. Augen, Nase, Mund. Bückler begann zu lächeln. »Ganz schön vorwitzig, mein Kleiner.«

      »Sollen wir deinem Vater einmal zeigen, was du gelernt hast?«, schaltete sich Julchen ein. Sie nahm Franz-Wilhelm, ging mit ihm ans andere Ende der Zelle und stellte ihn auf den Boden. »Na, Franz dann geh zu deinem Papa.« Der Junge begann sich in Bewegung zu setzen. Noch waren seine Schritte ungelenk und es fiel ihm schwer Balance zu halten, aber er schaffte es ohne Fallen, den Weg bis in die ausgebreiteten Arme seines Vaters zurückzulegen. In Bücklers Gesicht lag große Freude. Stolz drückte er Franz-Wilhelm an sich, dann wandte er sich wieder an Julchen. »Komm Frau setz dich zu mir. Ich habe euch beiden etwas zu sagen.«

      Julchen nahm wieder neben ihrem Mann platz und dieser ergriff ihre Hand. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er den Wächter. Dieser ließ die drei nicht aus den Augen. Wie schon bei den Besuchen zuvor, achtete er ganz genau auf das was sie taten und noch mehr auf das was sie sprachen. Es stand außer Frage, dass der Wächter Anweisung hatte, jegliche verdächtige Unterredung zu melden. Und plötzlich kam es Bückler in den Sinn, dass dieses Besuchsverbot, bewusst so kurzfristig anberaumt worden war. Vielleicht sollte es dazu dienen ihn unter Druck zu setzen, um so eventuell noch etwas zu erfahren. Umso wichtiger war es jetzt auf der Hut zu sein mit dem was er sagte. »Ich wäre so gerne die ganze Zeit bei euch, aber wie es scheint, bleibt mir dies verwehrt.«

      Julchen drückte seine Hand. »Es werden bessere Zeiten kommen, ganz bestimmt. Auch die Jahre im Gefängnis werden wir überstehen.«

      Der Schinderhannes wirkte nachdenklich, sein Blick ging in die Leere des Raums. »Ich glaube nicht, dass ich eine Gefängnisstrafe erhalte.«

      Seine Frau sah ihn entsetzt an. »Was soll das heißen, Johannes?«

      Bückler blickte ihr in die Augen. »Ich glaube nicht, dass mir ein Leben mit euch vergönnt ist. Hier in dieser Stadt wird es enden.«

      Julchen griff sich mit der freien Hand an die Brust. Tränen schossen ihr in die Augen. »Wie kannst Du so etwas nur sagen«, schluchzte sie hervor.

      »Sehen wir der Wahrheit ins Gesicht.« Bückler strich seiner Frau durchs Haar.

      Tränen liefen ihr über die Wangen. »Sag das nicht. Du bist nicht der Richter, du weißt nicht wie er entscheidet.«

      Der Schinderhannes wischte ihr sanft die Tränen aus dem Gesicht. »Wir müssen auch für diesen Fall gewappnet sein.«

      Julchen sah den dringlichen Blick ihres Mannes. Auch den nur leicht veränderten Tonfall seiner Stimme, bemerkte sie sofort.

      »Wichtig ist mir, Julia, dass du und unser Sohn von nun an ein redliches und glückliches Leben führen. In den letzten Tagen wurde mir bewusst, dass Gott uns dabei helfen kann.«

      Julchen war sich nun ganz sicher, dass Johannes ihr etwas wichtiges mitzuteilen hatte. Denn er verwendete sonst nie ihren vollständigen Namen. Ihr war aber auch klar, dass er ihr, wegen der großen Ohren des Wächters, nur versteckt etwas mitteilen konnte.

      Bückler griff hinter sich und zog die alte Bibel hervor.

      Innerlich war er gänzlich aufgewühlt. Er hoffte, dass der Wächter nicht die wahre Bedeutung der Situation erkannte.

      »Ich habe viel in dieser Bibel gelesen, sie gab mir Trost und Hoffnung. Ich möchte, dass du meine geliebte Frau und besonders unser Sohn, diese Bibel immer wieder studiert, damit ihr begreift, was wirklich wichtig ist im Leben.«

      Mit diesen Worten drückte der Schinderhannes seiner Frau die Heilige Schrift in die Hand und er hoffte inständig, dass der Wächter nicht einschritt und die Übergabe verbieten würde.

      Etwas verstört blickte ihn Julchen an. War ihr Mann auf einmal doch noch gläubig geworden? War das es, was er versuchte ihr mitzuteilen? Den Glauben an Gott?

      Der Wächter machte zwei Schritte auf die beiden zu. »Das genügt jetzt, die Zeit ist um! Gebt mir die Bibel!«

      Der Schinderhannes schreckte auf, war denn alles um sonst gewesen? Er beobachtete den Wächter ganz genau, ohne es sich anmerken zu lassen.

      Dieser streckte die Hand nach der Bibel aus, die Julchen festhielt. Zögerlich stand Julchen auf und reichte sie dem Wachmann. Dieser nahm sie an sich und blätterte sie oberflächlich durch. Er suchte nach Schriftstücken oder Mitteilungen die hinein geschrieben waren. Als er aber nichts dergleichen fand gab er Julchen die Bibel zurück.

      Bückler atmete erleichtert auf. Wie in Trance nahm Julchen die Bibel wieder entgegen, nahm Franz-Wilhelm auf den Arm und sah zu ihrem Mann. Wortlos sahen sie sich in die Augen und nahmen Abschied voneinander. Der Wächter ergriff Julchens Arm und zog sie zum Ausgang, ihr Blick ruhte weiter auf ihrem Mann.

      »In der Bibel liegt die Zukunft, vergiss das nicht«, rief Bückler ihr nach.

      Sie drückte ihren Sohn noch fester an sich. Dann schloss sich die Zellentür zwischen ihnen.

      Unwirsch befahl der Wächter, sie möge voran zu ihrer Zelle gehen. Widerstandslos kam sie der Aufforderung nach, mit ihren Gedanken bei den Worten ihres Mannes. In der Bibel liegt die Zukunft. Unbewusst verstärkte sich ihr Griff um das Buch.

      Am 24. Oktober 1803 begann die Verhandlung im Akademiesaal des ehemaligen kurfürstlichen Schlosses zu Mainz. Den Vorsitz hatte der Präsident des Mainzer Kriminalgerichts, Andreas Georg Friedrich Rebmann. 68 Angeklagten wurde der Prozess gemacht. 173 Zeugen lud der Staatsanwalt vor, neun Verteidiger nochmals 260 Zeugen. Allein das Verlesen der 72-seitigen Anklageschrift, in deutsch und französisch, dauerte anderthalb Tage. Tausende Gäste strömten aus ganz Europa nach Mainz, um dem Gericht beizuwohnen. Dazu wurden 500 Eintrittskarten verkauft, deren Preis täglich stieg.

      Am 19. November 1803 zog sich das Tribunal zur Beratung zurück und verkündete einen Tag später das Urteil. Zwanzig Angeklagte wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen, weitere achtundzwanzig erwarteten Kerkerketten oder Zuchthaus. Die Todesstrafe erhielten nochmals zwanzig Angeklagte, darunter Johannes Bückler, genannt der Schinderhannes.

      Am 21. November 1803, an einem trüben, nebligen Herbsttag, fuhren fünf Leiterwagen mit den Delinquenten zum Richtplatz vor den Toren Mainz. Bewacht wurden die Todgeweihten von einem Kommando Gendarmen und einer Infanterieabteilung. 15000 Zuschauer waren zu dem grausamen Schauspiel erschienen und als nun die Gruppe auf dem Richtplatz eintraf, begleitet von einem Trommelwirbel, hörte man die Rufe: »Sie kommen, sie kommen!« Dann wurde es still.

      Der Schinderhannes sprang als Erster von dem Wagen und betrat das leicht erhöhte Schafott auf dem eine rot angestrichene Guillotine thronte. Dann schnallte man Bückler aufs Brett, schob ihn unter das Beil, dieses sauste hernieder und trennte seinen Kopf vom Rumpf. Ein dumpfes Raunen unterbrach die gespenstische Stille auf dem Platz. Dann richtete man die anderen, wobei nach einigen Köpfungen das blutige, achtzig Pfund schwere Fallbeil zu dampfen begann.

      Teils erschrocken, teils belustigt wohnten die Leute der Hinrichtung bei. Besonders ein Schaulustiger beobachtete aufmerksam das blutige Treiben: Frederic Foch.

      Mainz 1805

      Julia Blasius hatte auf dem Marktplatz eingekauft und war auf dem Rückweg zum Haus ihres Herrn. Es war ein sonniger Samstagmorgen und die Stadt zeigte sich sehr betriebsam. Menschen säumten die Gassen, Fuhrwerke und Kutschen quälten sich über die mit Pflastersteinen ausgelegten Straßen.

      Händler hatten ihre Stände aufgestellt und priesen ihre Ware an. Die Luft war angereichert mit angenehmen Gerüchen von Kräutern, Früchten, gebratenem Fleisch und geräuchertem Fisch, aber auch mit dem Gestank von Schweinen und Ziegen und anderem Getier, das zum Verkauf feil geboten wurde. Zusammen mit den Exkrementen die die Zugpferde und Ochsen auf die Straßen fallen ließen ergab sich eine herbe