Johannes Michels

Bücklers Vermächtnis


Скачать книгу

Solch einen frühen Tod hatte sie einfach nicht verdient. Sophie wischte sich die Tränen aus den Augen. Vielleicht war ja etwas daran, dachte sie, dass die Guten immer zuerst sterben.

      Dann sah sie nochmals zu dem Foto das Jana und sie zeigte. Wiederum spürte sie die Liebe zu ihrer Schwester und das Loch, dass dieser Unfall in ihr Herz gerissen hatte.

      »Du fehlst mir,« sagte sie leise und Tränen stiegen wieder in ihr auf.

      Jana sah sie lächelnd vom Foto her an. Aufgeweckte, kraftvolle Augen, die von unbändigem Willen zeugten. Ein Wille der über den Tod hinaus zu gehen schien. Dann änderte sich die Atmosphäre im Zimmer. Sie bekam etwas seltsames, etwas mystisches. Und urplötzlich war es Sophie so, als wenn ihre Schwester anwesend sei. Nicht wirklich visuell, sondern viel mehr mit dem Gefühl der Verbundenheit. Ein Band welches zwischen den beiden vorhanden war, dass keiner Worte bedurfte und über den Tod hinaus bestand.

      Sie nahmen das Abendessen gemeinsam ein. Es gab einen Rindfleisch-Pfifferlingstopf in Rosmarinjus. Dazu selbstgemachte Spätzle. Thomas hatte eine Flasche Merlot aufgezogen, dessen trockenes Bouquet sich vorzüglich an den Geschmack des Fleisches anpasste.

      Die Unterhaltung am Tisch war eher belangloser Natur. Klara fragte Sophie wie es ihr denn in Heidelberg erging und Sophie erzählte auskunftswillig von ihrem Studium, ihren Mitstudenten und ihren Freizeitaktivitäten.

      Thomas Haller beteiligte sich kaum an dem Gespräch. Er schien mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein. Tiefe Falten zeichneten sich auf seiner Stirn ab, die auch den beiden Frauen nicht verborgen blieben. Aber sie sagten nichts. Als sie mit dem Essen dann fertig waren räumten sie den Tisch ab, schenkten sich noch Rotwein nach und begaben sich ins Wohnzimmer. Man spürte deutlich, dass etwas in der Luft lag. Klara und Sophie sahen schweigend hinüber zu Thomas, der gedankenversunken in sein Glas starrte. Dann, endlich brach er das Schweigen.

      »Ich muss euch etwas sagen«, begann er zögerlich.

      Sophie spürte wie sie sich innerlich anspannte. Sie hatte ihren Vater selten so ernst und voller Sorge gesehen.

      »Die Auftragslage in der Firma hat sich drastisch verschlechtert.«

      Klara stellte ihr Glas bei Seite. »Was heißt das?«

      »Das heißt, dass ich Leute entlassen muss.«

      Sophie konnte sich vorstellen, wie schwer das ihrem Vater fallen musste. Soweit sie wusste, war er ein sehr fürsorglicher Chef, dem seine Mitarbeiter am Herzen lagen. Er hatte noch letztes Jahr zwei neue Ausbildungsplätze geschaffen.

      »Wie viele wirst du entlassen müssen«, wollte ihr Mutter genau wissen.

      »Alle!«

      Thomas´ Antwort schlug wie ein Bombe ein. Sophie stockte der Atem. Klaras Gesicht wurde plötzlich aschfahl. Sie waren sprachlos.

      »Ich muss die Firma schließen«, fügte Thomas hinzu.

      Erst jetzt löste sich Klara aus der Starre. »Wie konnte es so plötzlich dazu kommen?«

      »Die Banken gewähren mir keinen neuen Kredit mehr.«

      »Von heute auf morgen?«

      »Nein. Schon seit längerem.«

      »Warum erfahre ich das erst jetzt?« Der Tonfall in Klaras Stimme hatte sich verschärft.

      »Ich wollte dich nicht damit belasten. Ich dachte ich bekomme das auch so in den Griff.«

      Sophie hörte Scham heraus. Dieses Geständnis fiel ihrem Vater nicht leicht. Aber sie konnte auch den Ärger ihrer Mutter sehr gut verstehen.

      Klara konnte nicht mehr ruhig sitzen bleiben, stand auf und ging unruhig durchs Zimmer. »Gibt es keine Möglichkeit die Firma zu retten?«

      »Nein, ich habe bereits alles versucht.«

      Klara stemmte ihre Hände in die Hüften. »Zwölf Menschen arbeiten in deiner Firma.«

      »Ich weiß, ich kündige ihnen bestimmt nicht gerne, aber es geht nicht mehr. Die Banken haben den Geldhahn zugedreht. Die Auftragslage ist miserabel. Es gibt keine Zukunft.«

      Klara sah zu ihrem Mann hinüber. Diese Endgültigkeit schien sie sprachlos zu machen.

      »Da gibt es noch etwas, was ich euch sagen muss.« Thomas´ Stimme hörte sich heiser an. »Um die Firma zu retten habe ich eine Hypothek auf unser Haus aufgenommen.«

      »Sag, dass das nicht wahr ist.«

      »Es ist leider so. Wir werden das Haus verlieren.«

      Sophie spürte wie das Blut plötzlich siedend heiß durch ihren Körper strömte.

      Ihre Mutter schlug die Hand vor den Mund und ließ sich zurück in den Sessel fallen. »Was hast du getan?«

      »Es tut mir leid. Was soll ich sagen. Es tut mir so unendlich leid.«

      Sophie sah wie sich die Augen ihres Vaters mit Tränen füllten.

      »Warum hast du nicht eher mit mir darüber gesprochen?«

      »Was hätte sich daran geändert, außer dass auch du dir noch Sorgen machst.«

      »Ich bin deine Frau, habe ich nicht das Recht so etwas zu erfahren?«

      »Ja, es war ein Fehler es dir solange vorzuenthalten.«

      »Nein Thomas, es war ein Fehler mich erst gar nicht in die Entscheidung mit einzubeziehen, was unser Haus betrifft.«

      Sophies Vater senkte den Kopf vor Scham. »Du hast Recht. Ich habe Mist gebaut.«

      »Das ist noch milde untertrieben. Ich erkenne dich nicht wieder, das ist doch nicht deine Art.«

      Dann setzte Schweigen ein. Jeder versuchte Ordnung in das Chaos seiner sich überschlagenen Gedanken zu bringen.

      »Ich werde mein Praktikum in Straßburg absagen«, stellte Sophie fest. Ihr Vater blickte sie fragend an.

      »Der Aufenthalt kostet nur unnötig Geld.«

      »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, entgegnete ihr Vater. »Du machst dein Praktikum und bringst dein Studium zu Ende. Das Geld dafür ist da, ich habe es nicht angerührt.«

      »Aber ich könnte statt dem Praktikum in meinen Semesterferien eine Stelle annehmen und Geld verdienen. So wie es andere auch machen. Das würde euch auch entlasten.«

      »Sophie du sollst nicht für die Fehler, die ich gemacht habe bezahlen.«

      »Aber das macht mir nichts aus.«

      »Nichts da, es bleibt so wie es ist, basta!«

      Die Schärfe in der Stimme ihres Vaters duldete kein weiteres Wort in dieser Angelegenheit und Sophie schwieg. Sie hatte ihren Vater nur selten so wütend erlebt.

      Sophies Mutter stand schweigend auf, durchschritt den Raum in Richtung Tür, wo sie sich nochmals umdrehte. »Wann müssen wir die Koffer packen?«, sagte sie teils resignierend, teils zynisch.

      »Wir haben noch drei Monate. Vielleicht geschieht ja noch ein Wunder.«

      »Ja, vielleicht«, sagte sie knapp und zog sich zurück ins Schlafzimmer.

      Auch Thomas stand auf um ihr zu folgen. Er schenkte seiner Tochter ein bitteres Lächeln. »Keine Angst, alles wird gut.«

      Sophie glaubte das nicht.

      Sophies Großmutter Mechthild wohnte in einer achtzig Quadratmeter großen Eigentumswohnung in der Altstadt von Wetzlar. Nachdem ihr Mann vor fünfzehn Jahren verstorben war, hatte sie ihr Haus am Rande der Stadt verkauft und sich etwas Übersichtlicheres gesucht. Sie hätte auch bei ihrem Sohn leben können. Das Angebot bestand, aber sie wollte es aus mehreren Gründen nicht annehmen. Zum einen war sie der Meinung, dass ihr Sohn und seine Familie eine Recht auf Eigenständigkeit hatten und nicht das Gefühl haben sollten auf eine alte Frau aufzupassen. Und zum anderen, ja sie musste es sich eingestehen, trieb sie auch ein wenig der Stolz, nicht zum alten Eisen gehören