Thomas Plörer

Ein Sommer in Nirgendwo


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anders, unbewusst oder bewusst. Die Zeit würde es zeigen.

      „Willst du schwimmen gehen?“

      „Nein!“, antwortete Mike, eine Spur zu schnell und heftig, als dass es Beverly nicht aufgefallen wäre. „Ich kann … also ich meine, meine Badesachen … die sind noch …“, stotterte er weiter, aber Beverly unterbrach ihn.

      „Heute ist sowieso kein guter Tag. Mein Dad kommt früher nach Hause und ich muss ihm noch etwas zu Essen machen. Wenn ich jetzt heimgehe und meine Sachen hole dann ist es schon fast Abend, bis wir am See sind.“

      Das war natürlich gelogen, aber in diesem Falle war es Beverly lieber, zu einer kleinen Notlüge zu greifen, die keinem weh tat, als Mike in dieser peinlichen Situation zu lassen. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er sich in seiner Haut nicht wohl fühlte, vor allem dann nicht, wenn er keine weiten Sachen tragen konnte, die ihn vor den Blicken der anderen schützten.

      Mike nickte. „Okay. Vielleicht ein anderes Mal.“ Wenn sich Dankbarkeit jemals auf einem Gesicht widergespiegelt hatte, dann in diesem Moment.

      „Gerne.“ Sie schwiegen und ließen die Blicke in die Ferne schweifen.

      Dann: „Wollen wir vielleicht runter an den Fluss gehen? Ich möchte dir gerne etwas zeigen.“

      Ein wenig überrascht legte Beverly den Kopf schräg. „Klar. Was denn?“

      „Wirst du schon sehen“, antwortete er lächelnd. „Wenn du das Klettergerüst magst, dann wird dir das auch gefallen.“

      „Hast du das alles alleine gebaut?“

      „Nein. Ein Großteil von dem Zeug war schon da oben, als ich es entdeckt habe. Aber einige der Bretter waren schon morsch und hätten mich nicht mehr getragen, also hab ich sie ersetzt und danach ein bisschen weitergemacht, wenn ich Zeit hatte. Es ist noch nicht fertig, aber für zwei Personen groß genug.“

      Sie standen in der Nähe des Flussufers. Der Fluss floss an der Stadt vorbei, etwa eine halbe Meile, und flankierte später über viele weitere Meilen den Wald, ehe er in den nächsten, größeren Fluss mündete. Sie waren jetzt an einer Stelle, die gut zwei Meilen vor der Stadtgrenze lag und gar nicht allzu weit weg war von Beverly’s Haus. Belle schnüffelte am Baumstamm, entschied sich dann aber dagegen, das Bein zu heben.

      Aber nicht der Fluss war das Interessante, wegen dem sie gekommen waren, sondern das, was Mike in einer großen Eiche, keine hundert Meter vom Flussufer entfernt, zunächst gefunden und dann ausgebaut hatte: ein Baumhaus.

      Man musste direkt unter dem Baum stehen, um es zu erkennen, und selbst dann fiel es einem schwer, weil es in etwa fünf Metern Höhe gebaut war, in einer Gabelung des Stammes, und von einigen kleineren Ästen und Zweigen gut versteckt war. Es bestand aus einer Bodenplatte aus dunklem Holz, jedoch keinem Dach, um vor Regen geschützt zu sein. Es hatte auch keine Seitenwände, aber Beverly war sich ziemlich sicher, dass der nächste Bauabschnitt welche mit sich bringen würde.

      „Wie hast du die Bretter da hochbekommen?“, fragte sie staunend, während sie langsam einmal um den dicken Stamm der Eiche herumging. Sie zweifelte nicht daran, dass sie hinauf klettern konnte, auch wenn ihr bei der Höhe im ersten Augenblick etwas flau im Magen wurde, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie dabei auch noch ein Brett tragen sollte. Wie Mike überhaupt hinauf kam war eine Frage, die sie brennend interessierte.

      Mike lächelte. „Ein Zauberer verrät nie seine Tricks!“

      „Du bist kein Zauberer, Mike! Sonst hättest du dich gestern auch alleine gegen diese Typen durchsetzen können. Hättest Flammen aus deinen Ärmeln schießen lassen oder so etwas in der Art.“

      Mike senkte den Blick und errötete.

      „Tut mir leid, das war gemein von mir.“

      „Wohl wahr.“

      Beverly seufzte. „Schmollst du jetzt?“

      Am liebsten hätte sie das Gesagte ungeschehen gemacht und biss sich dafür selbst zur Strafe einmal auf die Zunge. Manchmal dachte sie einfach nicht nach, was sie sagte, und zu wem sie es sagte.

      Er schaute sie traurig an, doch binnen weniger Sekunden konnte er ein Lächeln nicht mehr unterdrücken. „Nee, Schwamm drüber. Ich kann es mir nicht leisten auf alles und jeden immer gleich böse zu sein, nur weil man etwas Gemeines zu mir sagt. Dann hätte ich bald gar keinen mehr, mit dem ich meine Zeit verbringen kann.“

      „Also, großer Magier: zeigst du mir jetzt, wie du die Bretter da hochbekommst?“

      „Es wundert mich ein bisschen, dass du noch gar nicht gefragt hast, wie ich dort überhaupt hinaufkomme!“

      „Du wirst klettern nehme ich an?“

      Mike lachte laut auf. „Klar, ungefähr so geschickt wie ich das Klettergerüst hinaufgesprungen bin, oder?“

      Beverly zuckte mit den Schultern.

      „Nein“, meinte Mike und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. Beverly konnte nicht sehen, ob er da wirklich eine Träne hatte, oder ob er einfach nur so tat, um ihr zu zeigen, wie unendlich witzig sie doch war, verwarf den Gedanken dann aber wieder, weil es im Grunde genommen ja auch vollkommen egal war.

      „Jetzt pass mal auf!“

      Er ging ein paar Meter weiter in ein Gebüsch und verschwand, als sich die Äste hinter ihm wieder schlossen. Für Beverly schaute es so aus, als wäre er von einem Mund aus Pflanzen verschluckt worden. Einzig die Geräusche, die er von sich gab, zeugten noch von seiner Anwesenheit. Er brabbelte etwas vor sich hin, was Beverly aber nicht verstand. Auch Belle, der neben ihr im Gras lag, schaute ihm zunächst noch hinterher, entschied sich aber dann dafür, dass es interessanter war, wenn man einfach die Augen schloss und ein bisschen vor sich hindöste.

      Als Mike zurückkam, hatte er einen ziemlich langen Ast in den Händen. Die Rinde war abgezogen worden und an der Spitze erkannte Beverly, als er näherkam, dass ein Haken hineingedreht worden war. Er war etwas größer als ein Angelhaken.

      „Hast du den etwa versteckt?“

      Mike schaute sie verblüfft an. „Natürlich! Wenn ihn jemand hier neben dem Baum stehen sieht, wäre es doch für jeden ein Leichtes, das zu tun, was ich jetzt vorhabe.“

      Er stellte sich unter das Baumhaus und fing an, den Ast nach oben zu strecken. Er schwankte dabei, weil es für ihn offensichtlich schwierig war, das Gleichgewicht zu halten, während der große Ast hin und her schwang, aber Beverly merkte bald, dass er das nicht zum ersten Mal tat. Und so dauerte es nur wenige Augenblicke, bis der Haken auf Höhe des Baumhauses war und an etwas hängen blieb. Mike lächelte, zog einmal kräftig an, und in der nächsten Sekunde fiel eine irre Konstruktion aus Schnüren und Stöcken von oben herab.

      „Eine Strickleiter?“, fragte Beverly verwundert.

      „Klar.“

      „Hast du die selbst gebaut?“

      Mike nickte. „Das ist gar nicht so schwer, wenn man den Dreh mal raushat. Man muss nur aufpassen, dass man ein kräftiges Seil nimmt und die Knoten groß genug sind, damit die Sprossen nicht durchrutschen. Das kann nämlich ein Problem werden, wenn man in vier oder fünf Metern Höhe steht, weißt du?“

      „Das ist … unglaublich!“, staunte Beverly. „Und ist sie sicher?“

      „Sie trägt mich“, antwortete Mike schulterzuckend. „Und wenn sie mich trägt, dann trägt sich dich leicht, oder? Ich hab sie gleich gebaut, nachdem ich das Baumhaus hier entdeckt hatte. Hatte ziemliches Glück, weil es so gut versteckt war, aber ich dachte mir schon, dass hier irgendwo ein Baumhaus sein müsste. In der Stadt, wo ich früher gelebt habe, gab es auch immer welche, und dieser Baum schreit schon aus der Ferne danach, dass man ein Haus rein baut. “

      „Wie bist du das erste Mal hochgekommen?“

      „Was meinst du?“

      Beverly runzelte die Stirn. „Naja, du hast die Leiter