von Maastricht orientierte Geldpolitik in Europa durchzusetzen39. Erneut an einem Mittwoch, dem 08.02.2011, genau neun Jahre nach dem vorzeitigen Rücktritt des ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank, informiert Herr Weber die Bundeskanzlerin, dass er sein Amt zum 30.04.2011 als Präsident der Deutschen Bundesbank niederlegt und damit auch der für ihn vorgesehene Posten als Präsident der Europäischen Zentralbank nicht mehr in Frage kommt40. Frankreichs Finanzministerin äußerte ihre Freude über den Rücktritt von Herrn Weber im Beisein von Herrn Schäuble in Berlin mit den Worten „Quelle surprise!“ (Welche Überraschung! Ich bin verblüfft!“41.
Mit seinem Rücktritt vom Amt des Präsidenten der Deutschen Bundesbank wird der Weg für einen Deutschen an der Spitze der Europäischen Zentralbank verbaut. Mit seinem Abgang wurde für die Bevölkerung Europas offensichtlich, dass die Vertragsgrundlage von Maastricht endgültig zerstört war. Als Ergebnis dieser Entwicklung erhält der italienische Notenbank-Chef, Mario Draghi, das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank und der Wirtschaftsberater der Bundeskanzlerin, Jens Weidmann, wird als Nachfolger von Herrn Weber zum Präsidenten der Deutschen Bundesbank berufen.
Das Graben des Tunnels
Vermögen kann auf verschiedenen Wegen transferiert werden. Entweder Realgüter werden von einem Besitzer zu einem anderen bewegt, ohne entsprechende Gegenleistungen dafür zu erbringen. Dies war der Fall beim Bankraub in Berlin-Schlachtensee. Dies ist ein Weg, der so offensichtlich ist, dass er nur in den übelsten Fällen, häufig unter Einsatz von Gewalt beschritten wird. Ein anderer Weg, der aufgrund des genutzten Instruments der Verschleierung viel mehr Erfolg verspricht, besteht darin, risikobehaftete Forderungen von einem Besitzer auf einen anderen zu verlagern.
Das Prinzip ist bei Kindern als Kartenspiel beliebt und heißt „Schwarzer Peter“. Das harmlose Kartenspiel lässt sich mit einem Gedankenexperiment auch auf die Finanzwelt übertragen. Ein Vermögensbesitzer tauscht seine nahezu wertlosen Forderungen gegen werthaltige Forderungen eines anderen Vermögensbesitzers aus, die er im zweiten Schritt sogar in Realgüter umtauscht, um weiteren Risiken auf den Finanzmärkten fortan aus dem Weg zu gehen. Das Nachsehen hat derjenige, der den „Schwarzen Peter“ dann noch in seiner Hand hält, wenn alle anderen Spieler ihre Karten bereits gespielt haben.
Um den „Schwarzen Peter“ zu erkennen, müssen wir im ersten Schritt risikobehaftete Forderungen suchen. Das ist in der aktuellen Schuldenkrise ziemlich einfach. Es bieten sich die Staatsschulden und die Bankenschulden in den Krisenländern an, die sich aus verschiedenen Gründen in den letzten Jahren in Europa aber auch in anderen Teilen der Welt aufgetürmt haben. Die Gründe für deren Existenz sind zunächst unbeachtlich. Wichtig ist im ersten Schritt nur die Feststellung, dass die Forderungen gegenüber den Staaten und Banken risikobehaftet sind und die Frage, wem diese Forderungen gehören.
Die Forderungen gehören den Investoren, die den Staaten und den Banken in den letzten Jahren Geld zur Verfügung gestellt haben. Mit zunehmender Höhe der Verschuldung werden die Investoren nervös und versuchen, ihr Geld zurückzubekommen. Aufgrund von Fehlinvestitionen der Banken oder aufgrund staatlich finanzierten Konsums stehen den Forderungen der Investoren keine Realwerte in ausreichender Höhe gegenüber. Die ersten, meist privaten Investoren ziehen ihre Gelder ab, in dem sie entweder Staatsanleihen oder Bankanleihen auf dem Sekundärmarkt verkaufen oder gar keine neuen Papiere auf dem Primärmarkt von den Staaten kaufen, wenn die alten Papiere ausgelaufen sind und somit die Rückzahlung seitens des Schuldnerstaates oder der Bank ansteht.
Durch die massiven Verkäufe von Staatsanleihen und Bankenanleihen seitens der bisherigen Investoren sinken die Kurse der Anleihen. Durch die sinkenden Kurse treten also Vermögensverluste bei den Investoren ein, die den Verlust aus den Fehlinvestitionen widerspiegeln. Da die Zinszahlungen der Anleihen in der Regel fixiert sind, ergibt sich durch die sinkenden Kurse eine steigende Verzinsung. Diese Reaktion ist in einer funktionierenden Marktwirtschaft ein erwünschter Effekt, da aufgrund der getätigten Fehlinvestitionen in den Schuldnerländern das Risiko eines Zahlungsausfalls der Forderung gestiegen ist. Die verbliebenen Investoren sind also nur bereit, Ihre Forderungen gegenüber dem Schuldnerland oder gegenüber der Bank in Form der Anleihen weiter zu behalten, wenn sie für das gestiegene Insolvenzrisiko mit erhöhter Verzinsung bezahlt werden.
Dies ist der Zeitpunkt, in dem eine neue Form des Finanzmarktakteurs auf den Plan tritt, der sich gern selbst als EURO-Retter bezeichnet. Gekennzeichnet ist der EURO-Retter dadurch, dass er das einfach verständliche Problem der Staats- und Bankenschulden zu einem komplexen EURO-Problem aufwertet und den Untergang des Abendlandes beschwört, falls der EURO nicht gerettet werden sollte. Häufig wird die lapidare Frage, wer die aufgetürmten Schulden später zurückzahlt, sogar mit der Frage von Krieg und Frieden in Europa vermischt und die Diskussion mit militärischen Begriffen angereichert, um den Ernst der Lage zu beschwören.
Die eifrigen EURO-Retter spannten also Rettungsschirme auf, d.h. es wurde Geld von den Steuerzahlern der wirtschaftlich starken Länder beschafft, um die bisherigen Investoren der wirtschaftlich schwachen Länder auszuzahlen und die Schulden dieser Staaten und deren Banken weiterhin zu günstigen Zinsen zu finanzieren. Dieser Ansatz funktionierte bis etwa Anfang 2011 für die Investoren recht gut, da die Mittel für die Unterstützung der kleineren Krisenländer Griechenland, Portugal und Irland ausreichten.
Den Menschen in den Krisenländern halfen die Rettungsschirme jedoch nicht. Die vorgebliche Rettung der Krisenländer wurde als Rettung für die Investoren umfunktioniert. Hier liegt der eigentliche Skandal. Eine ursprünglich als Solidarleistung gedachte und so auch in der Öffentlichkeit verkaufte Unterstützungsmaßnahme der Geberländer für die Krisenländer wurde als Tunnel missbraucht, durch den die Investoren ihr Geld aus den Krisenländern abziehen konnten. Wie wir später sehen werden, schadete die Kapitalflucht nicht nur den Krisenländern selbst, sondern führte auch in den Geberländern zu Ungerechtigkeiten.
Grenzen der Rettungsschirme
Der erste Rettungsschirm erhielt den Namen „European Financial Stability Facility“ (EFSF) und wurde für die Zeit von drei Jahren mit einem maximalen Ausleihevolumen von 440 Milliarden EURO ausgestattet. Der Bundestag hat den EFSF im Mai 2010 ratifiziert und damit das Beistandsverbot des EU-Vertrags auf eine demokratisch legitimierte Weise umgangen, um den Krisenländern kurzfristig helfen zu können. 60 Milliarden EURO stellte die Europäische Union zusätzlich über die EU-Kommission zur Verfügung, sowie 250 Milliarden EURO der Internationale Währungsfonds, zusammen also 750 Milliarden EURO42.
Der zweite Rettungsschirm wurde erst im Juni 2012 unter dem Namen European Stability Mechanism (ESM) als zeitlich unbegrenzte Unterstützung mit einem Ausleihevolumen von 500 Milliarden EURO vom Bundestag und Bundesrat beschlossen. Das Ausleihevolumen kann für den Ankauf von Staatsanleihen verwendet werden, nachdem vom betreffenden Krisenland ein Hilfegesuch gestellt wurde und gemäß Schuldentragfähigkeitsanalyse mit der Rückzahlung der gewährten Mittel gerechnet werden kann43.
Die beiden Rettungsschirme EFSF und ESM waren als Instrumente konstruiert, die Investoren von Staatsanleihen zu schützen und den betroffenen Schuldnerländern die sofortige Rückzahlung der fälligen Kredite zu ersparen, wie es nach Einschätzung der Märkte notwendig gewesen wäre, um wieder zu einer angemessenen Verschuldung zurückzukehren. Nahezu wertlose Forderungen der Investoren wurden in Form der Staatsanleihen mit Hilfe der Rettungsschirme von privaten Investoren zu öffentlichen Investoren verschoben. Der lokalen Bevölkerung in den Schuldnerlängern kamen diese Rettungspakete nicht zu Gute, da die Investoren das erhaltene Geld in aus ihrer Sicht sichere Anlagen außerhalb der von der Staatsschuldenkrise betroffenen Länder anlegten. Die risikobehafteten Staatsanleihen befinden sich seit den angeblichen Rettungsaktionen in den öffentlichen Händen der Geberländer oder in den von ihnen über Steuergelder finanzierten Rettungsfonds. Diese offensichtliche Wirkung der Rettungspakete im Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise ist in der Öffentlichkeit bekannt und wird vielfach kritisiert.
Bei aller berechtigten Kritik an den Rettungsschirmen ist positiv hervorzuheben, dass die dazugehörigen Finanzmittel auf Basis demokratischer Entscheidungsprozesse bereitgestellt