Gunther Dederichs

Die Therapeutin und er


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Be­griffen jongliert man nicht. Er erinnerte sich, von einer Frau gelesen zu haben, die ihrem Mann freiwillig in die Verbannung gefolgt war, und dass sich Menschen aus Liebeskummer das Leben nehmen, ist auch ihm nicht unbekannt – einige wenige Beispiele nur, die ihn davon abhielten, solch ein hehres Wort zu verwenden. Liebe – eigentlich kaum auszusprechen, schon wegen des Klanges, des penetranten, dominierenden, spitzeligen, ins Schrille tendierenden I. Die Lautfolge ist nur einigermaßen erträglich, wenn das I etwas nachlässig und kurz, gleichzeitig ein wenig zurückgenommen gesprochen wird. Lamour dagegen klingt abgerundeter, harmonischer, fürsorglicher, auch substanzieller. Ihm als jemandem, der die Frankophilie hinter sich gelassen hat, fällt es nicht gerade leicht, das einzugestehen. Wie schnell bekommt man damit unversehens den Beifall von der falschen Seite. Aber Gerechtigkeit muss sein, auch auf die Gefahr hin, die falschen Divisionen mit Munition zu versorgen. Einer bestimmten Art frankophiler deutscher Frauen etwa, mit deutlichem Einschlag ins forciert Bourgeoise, die offenkundig alles daran setzen, französischer als Französinnen zu sein und sich – ganz im Gegensatz zu ihren durch die Gnade der Geburt in der richtigen Nation natürlich unerreichbaren Idolen – nicht selten schamlos, charmelos überschminkt der Öffentlichkeit präsentieren, mit dem Ergebnis, dass der Schuss auf peinliche Weise nach hinten losgeht und sie statt wie Französinnen wie Engländerinnen aussehen, beziehungsweise so, wie sich deutsche Bauarbeiter (er hat übrigens nichts gegen Bauarbeiter) Französinnen vorstellen – vielleicht gut genug als Dekoration für Bauwagen und Spinttüren, keinesfalls aber, um auf dem Boulevard bestehen, den Heimvorteil derer mit dem attraktiveren Stammbaum egalisieren zu können. Wer jemals offenen Auges in Frankreich herumgekommen ist, wird ohne Wenn und Aber bestätigen, dass übermäßiges Schminken dort deutlich weniger verbreitet ist als hierzulande. Das im wortwörtlichen Sinn zu dicke Auftragen ist weit mehr eine deut­sche, insbesondere aber eine angelsächsische Geschmack­lo­sig­keit. Eine anglophile Entsprechungen zu diesem Phänomen ist ihm in England in einem deutschen Anglistikstudenten begegnet, der mit teutonischer Gründlichkeit alles daran setzte, englisch zu erscheinen, sich einen englischen Habitus zuzulegen, das Englische englischer als die Engländer selbst zu sprechen. He actually tried to out-british the British. The most British German ever. Stets ist da ein falscher Zungenschlag, ein künstlicher Geschmacksverstärker, eine unechte Färbung, das Odium einer misslungenen Geschlechtsumwandlung, eines kulturellen Transvestinismus. Bei ihrem Disput über seine vermeintlich unzulänglichen Gefühle musste er an die Bemerkungen seines ehemaligen Kommilitonen Rainer denken, der in Bezug auf ihn des Öfteren von geringen Gefühlsamplituden, seiner flacher als üblichen Sinuskurve der Gefühlsschwankungen, der mangelnden Fähigkeit sowohl zum Glücklich- als auch zum Unglücklichsein sprach. Auch nehme er die Wirklichkeit nur ausschnittweise wahr, sehe die Welt quasi durch eine Milchglasscheibe. Angesichts dessen praktisch unersättlichem Verlangen nach intensiver Emotionalität hatte er solchen Argumenten nichts Überzeugendes entgegenzusetzen. In derselben Mail attestierte sie ihm, depressiv zu sein. Auf ihren Vorschlag, zu versuchen, gemeinsam glücklich zu sein, habe er nur etwas genickt und sie dabei so traurig angelächelt, als habe er sagen wollen, »wir können es ja versuchen, aber es wird sowieso nichts daraus, so wie ich mich kenne«. Aus dieser Depression, die zu Resignation und Lethar­gie führe, müsse er weitgehend herausfinden und sich dafür entsprechende Hilfe suchen, da das niemand allein schaffe. Sie könne das auf Dauer nicht ertragen, zumal sie tagtäglich mit Menschen zu tun habe, deren Neigung zur Resignation sie entgegenwirken müsse. Resignation sei das Schlimmste. Sie hoffe, sie habe ihn nicht zusätzlich deprimiert. Er möge es lieber so sehen, dass sie mit ihm, wenn, dann etwas Ernsthaftes im Sinn habe. Warum kommen ihr Tränen, wenn sie an ihn denke? Sie habe Sehnsucht nach ihm. Auch wenn ihre Argumente nicht ganz von der Hand zu weisen waren, so fand er ihre Analyse doch stark übertrieben, kaum weniger über sie selbst aussagend als über ihn. Er hat nun einmal Schwierigkeiten mit Menschen, die in vielem extrem und essentiell empfinden, die sich bereits bei geringfügigen Anlässen unverhältnismäßig echauffieren und keinerlei Abstand zu den Dingen haben. Sie kommen ihm vor wie gewisse Autofahrer, die, die Finger um das Lenkrad verkrampft, mit der Nase fast an der Windschutzscheibe kleben und dabei diesen geradezu überaufmerksamen Adlerblick haben. Besser und sicherer als andere fahren sie auch nicht. Und schon gar nicht entspannter oder gar mit mehr Spaß an der Sache. Zudem scheint eine Mentalität wie die ihre einherzugehen mit einer letztendlichen Humorlosigkeit. Es ist nicht so, dass solche Menschen nicht auch hin und wieder ausgelassen lachen können, im Grunde aber sehen sie doch vieles ziemlich verbissen. Sie vermitteln ihm stets das Gefühl der Unversöhnlichkeit, der Unzufriedenheit im Letzten. Natürlich können auch sie sich freuen und dankbar für etwas sein, ihre Grundstimmung aber scheint dominiert vom Hadern mit dem eigenen Schicksal, der Überzeugung, grundsätzlich etwas Besseres verdient zu haben. Sie habe Sehnsucht nach ihm – der Satz ging ihm nahe. Auch das hatte ihm noch niemand so unumwunden gesagt. Er musste sich eingestehen, dass von seiner Seite, gegenüber wem auch immer, Entsprechendes nie zu hören war. Sehnsucht bezieht sich bei ihm eher auf ein Verlangen nach dem ganz anderen, einem gänzlich anderen Lebensgefühl, frei von allen Grauschleiern und den alltäglichen Verknotungen, nach einer nicht näher spezifizierbaren großen Hoffnung, Zuversicht, Leichtigkeit, Heilsgewissheit, irgendetwas über allen Niederungen Erhabenem, nach dem letztendlichen gro­ßen, alles umschließenden und relativierenden befreienden Lachen. Sie sei gestern etwas erschrocken über seine Entferntheit gewesen und habe dadurch F. ein wenig verstehen können, denn diese Entferntheit hing ja offensichtlich mit dem Besuch bei seiner Mutter zusammen. Bewusst wünsche seine Mutter ihm sicher alles erdenklich Gute in einer Partnerschaft, aber unbewusst okkupiere sie ihn, noch ein wenig so wie in seiner Kindheit. Nur gut, dass sie sie andererseits auch verstehen kann, denn sie kenne diese liebevolle Vertrautheit zu einem Sohn, der das einzige männliche Wesen ist, dem frau wirklich vertrauen kann. So sei es lange Zeit zwischen ihr und ihrem Sohn ja auch gewesen. Insofern nehme sie ihm das nicht übel, aber es sei schon sehr auffällig gewesen, der Unterschied in seinem Kontakt zu ihr: Beim Abschied habe er sich kaum lösen können. Als er wiederkam Stunden später als angekündigt habe es über eine Stunde gedauert, bis er anrief und er hätte sie von sich aus gestern nicht mehr gesehen, wenn sie nicht lautstark protestiert hätte. Als sie dann da war, war er völlig abgeschottet, kaum Blickkontakt, kaum Körperkontakt. Sie sei trotzdem froh, dass sie zu ihm kam, denn es wäre ihr zu Hause allein schlecht gegangen, weil sie wieder Angst bekommen hätte, dass er sich völlig von ihr entfernt. Und es wurde ja auch wieder immer schöner und näher. Sie habe insgesamt ein sehr gutes Gefühl mit ihnen beiden, und sie hoffe, dass er sich wieder erholen wird von dem Schock ihrer »Bedenklichkeitsmail«, denn seitdem habe er sich doch emotional etwas zurückgezogen und geschützt, was sie gut verstehen könne. Er möge die Gefühle wieder ein bisschen mehr zulassen, wenn es geht. Sie freue sich auf das nächste Treffen mit ihm. Sie habe vorhin einen »Gipfel der Romantik« erklommen, sie hoffe, er falle nicht in Ohnmacht davon, aber ihr sei bei ihrem Telefonat vorhin so warm ums Herz gewesen.Er möge ihr bitte schreiben, was los sei (möglichst gleich, sie sei etwas unruhig).Warum hat er sich heute Morgen nicht von ihr verabschiedet? Worauf hat er mit seiner Sensibilität reagiert? Auf ihr Erschrecken?

      2

      Einige Wochen vor seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung hatten die Verhaltensauffälligkeiten seiner Frau begonnen und sich nach und nach verstärkt, was zunächst weder er noch die ältere Tochter als problematische Entwicklung erkannte, da seine Frau – wie ein Verwandter es ausdrückte –schon immer ein bisschen crazy [war]. Erst als sie sich – die Tochter war inzwischen wieder zum Studieren ans andere Ende der Welt zurückgeflogen, er wohnte aber noch in der gemeinsamen Wohnung, saß gerade am Computer und dachte an nichts Böses – in einer recht ungewöhnlichen Aufmachung vor ihm hinstellte und meinte, vor ihm stehe eine Göttin und er benehme sich wie ein kleiner Junge, hatte er endlich begriffen, dass da eine Grenze überschritten war und sie sich in einem Zustand befand, bei dem unverzügliche professionelle Hilfe notwendig geworden und er gefordert war, auf schnellstem Wege entsprechende Schritte zu erwirken. Er hatte bei seinen Bemühungen in der Richtung jedoch sehr bald die Erfahrung machen müssen, dass ohne die Kooperation seiner Frau oder einen Nachweis ihres psychisch bedenklichen Zustandes keine der infrage kommenden Stellen bereit war, etwas zu unternehmen. Nachdem sie mit einem kurz zuvor kennengelernten,