Gunther Dederichs

Die Therapeutin und er


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– für sie beide. Nicht lange nachdem sie sich kennengelernt hatten, belegte sie einen Goldschmiedekurs, wofür sie sich neben dem nötigen Material auch das entsprechende Werkzeug beschaffte, sodass sie die Arbeiten auch zu Haus weiterführen konnte. Wenn sie von ihrem neuen Hobby erzählte, sprach sie zumeist davon, dass eine der Teilnehmerinnen ihr praktisch aus dem Weg gehe und es vorziehe, sich mit anderen zu unterhalten. Einmal aber berichtete sie ihm voller Freude, jene Frau sei auf sie zugekommen, um sie in irgendeiner Angelegenheit um Rat zu fragen, was sie als Vertrauensbeweis interpretierte und in ihr Hoffnungen auf ein zukünftig erfreulicheres Verhältnis weckte. Später erzählte sie ihm, dass sich ihre Erwartungen leider nicht erfüllt hatten. Weil sie noch immer eine starke emotionale Bindung zu Russland hatte, ihrer Heimat während der ersten Lebensjahre, als sie in einem Dorf nahe der Wolga aufwuchs, besuchte sie seit längerem einen Russischkurs und hatte bereits etliche Reisen in das Land unternommen. Ein Zeugnis ihrer Hinneigung zu ihrem Geburtsland waren auch die zahlreichen Ikonen in ihrer Wohnung. Es lag auf der Hand, dass ihre erste, schon bald nach ihrem Kennenlernen von ihr geplante, am Ende aber nicht zustande gekommene gemeinsame Reise sie in Richtung Osten führen sollte. Anvisiert waren als erste Etappe Bekannte von ihr in Sankt Petersburg, anschließend wollte sie mit ihm noch kurz in der Ukraine vorbeischauen. Da sie zudem eine begeisterte Tänzerin war, besuchte sie regelmäßig eine Diskothek, die sich seit längerem zu einem beliebten und über die Stadt hinaus bekannten Treffpunkt russischer Einwanderer entwickelt hatte. Dass der aus Russland immigrierte Schriftsteller Wladimir Kaminer zu den von ihr favorisierten Autoren gehörte, war nur eine logische Konsequenz. Zu ihrem Goldschmiedekurs kam einige Monate später noch Papierschöpfen hinzu, eine Sache, wovon er überhaupt erst durch sie erfuhr. Das Ergebnis ihrer neuen Leidenschaft war unter anderem eine Reihe hübscher Lesezeichen. Ihr Interesse für Malerei hatte sich bereits in ihrer ersten Unterhaltung offenbart. Sie hatte unter anderem den ihm unbekannten holländischen Maler Jan Vermeer erwähnt, wobei sie seine Ignoranz auf dem Gebiet sogleich als Bildungslücke diagnostizierte. So war dann auch ihr erstes Geschenk für ihn ein Poster des Gemäldes De keukenmeid, das von da an die ansonsten eher sterile Wand seiner Küche schmückte. Ihre Vorliebe für die Romane Maarten t’Harts schien ihm widersprüchlich, da sie aus ihrer starken Abneigung gegen düstere, melancholische Stimmungsbilder, gegen beengende, bedrückende Milieus, wie sie in dessen Texten vorherrschen, nie einen Hehl machte. Als sie noch mit ihrem Sohn in der Kleinstadt – oder war es eher ein größeres Dorf? – wohnte, hatte sie in einer be­nachbarten Stadt in einem Chor gesungen. Dass sie ihn mit ihrem Umzug aufgeben musste, bedauerte sie noch immer. Seitdem war sie auf der Suche nach einem neuen, fand aber lange Zeit keinen, der ihrer Meinung nach ihrem ehemaligen Chor gleichwertig war. In dem einzigen, der schließlich ihren Vorstellungen entsprach, wurde sie zu ihrer großen Enttäuschung nicht aufgenommen. Sie war jedoch nicht bereit, ihre Ambitionen, dort eines Tages doch noch akzeptiert zu werden, aufzugeben und nahm sich vor, zu gegebener Zeit einen neuen Versuch zu unternehmen. Vorerst aber ließ sie die Sache auf sich beruhen, äußerte nur hin und wieder einige Worte des Bedauerns über die Vergeblichkeit ihrer Bemühung. Darüber hinaus war sie eine passionierte Pilzesammlerin. Er hingegen fand daran keinen besonderen Gefallen, war jedoch bereit, seinen solidarischen Beitrag zu leisten, unter anderem auch, sogenannte Krause Glucken, so gut es eben ging, von Tannennadeln, Erde, kleinen Steinen, lebendem und totem Ungeziefer zu befreien. Auch von solchen Gewächsen, deren Entdeckung für sie jedes Mal ein Highlight, ein Anlass zu besonderer Freude war, hatte er zuvor noch nie gehört, geschweige denn gegessen. Zum Glück gehört Pilzesammeln nicht zu den ganzjährigen Beschäftigungen. Außerdem hatte er gegen ein wenig frische Luft nichts einzuwenden, wenn ihm andererseits auch flotte, zielstrebige Spaziergänge lieber waren, als verhaltenen Schrittes, leicht gebückt und gesenkten Blickes mäandernd über den Waldboden zu schlurfen wie ein streunender Hund im Zeitlupentempo. Auch ihre Begeisterung für das Kino konnte er so nicht teilen, obwohl auch er einige quasi persönliche Kultfilme hat, die er sich hin und wieder mit gleichbleibender Begeisterung anschaut. Letztlich aber profitierte er von ihren diversen Interessen. Das Leben mit ihr wurde zweifellos interessanter und ereignisreicher, wurde durch die raschere Abfolge äußerer Ereignisse in gewisser Weise verdichtet, entmonotonisiert. So planten sie unter anderem regelmäßig an den Wochenenden gemeinsame Unternehmungen, besuchten Kabaretts, Off-Theater, Lesungen, Museen – was er ausnahmslos als interessante und willkommene Abwechselung empfand, sofern ihn das nicht zu lange von eigenen Vorhaben abhielt. Ihr hingegen waren solche Unternehmungen offenbar weit wichtiger. Sie sei mehr als glücklich, ihn gefunden zu haben In der ersten Zeit schlossen sie sich drei miteinander befreundeten Leuten an, die jede Woche an ihrem jour fix gemeinsam ins Kino gingen und anschließend meistens noch in ein Restaurant. Sie blieben jedoch nicht lange dabei, zum einen weil er eben doch kein so begeisterter Kineast ist, zum anderen weil sie sich durch die Frau in der Gruppe abgelehnt fühlte, was ihm selbst zwar nicht aufgefallen war, andererseits wiederum nichts besagen muss. Offenbar gibt es vieles, was ihm nicht auffällt, und mit dieser Meinung steht er keineswegs allein da. Entsprechende Bemerkungen hat er des Öfteren zu hören bekommen, nicht nur von ihr. Diese Unternehmungen waren allerdings auch nicht ganz undelikat, da die Bekannte eine ehemalige, wenn auch nur kurz­zeitige, Freundin seiner Frau war. In der Hinsicht scheint er, im Gegensatz zu vielen, sich diesbezüglich offensichtlich schwerer tuenden, eher zur Betretenheit neigenden, nicht nur mit einer gewissen Unbedarftheit gesegnet zu sein, mehr noch, er findet an solchen Kon­stellationen, Grenzsituationen des gerade noch Akzeptablen, durchaus einen gewissen Gefallen. So mochte er es sich zum Beispiel auch nicht versagen, sich bei Helmut, einem ehemaligen Kommilitonen, im Beisein von dessen Frau und der Mutter beim gemütlichen Kaffeetrinken in der guten Stube nach dessen ehemaliger Freundin zu erkundigen. Er konnte – und wollte! – es einfach nicht lassen. (Man gönnt sich ja sonst nichts.) Schlingel, er! Als sie eines Abends an einem Wochenende – sie kannten sich noch nicht lange – das Haus verließen, um in die Stadt zu fahren, bot sie ihm an, ihm einen Schlüssel zu ihrer Wohnung zu geben, was er jedoch als nicht unbedingt notwendig betrachtete, da er ohnehin nicht vorhatte, in ihrer Abwesenheit in ihre Wohnung zu gehen. Während der Autofahrt sprach sie so gut wie kein Wort mit ihm, was er zwar recht ungewöhnlich fand, worüber er sich aber – wie es halt seine Art ist – andererseits keine großen Gedanken machte. Nachdem sie an ihrem Ziel angekommen und ausgestiegen waren sagte sie, für ihn völlig überraschend, er solle aufpassen, zwischen ihnen nicht alles kaputt zu machen. Sie hatten während der Fahrt kurz eine kontroverse Diskussion über das korrekte Verhalten in einer bestimmten Verkehrssituation gehabt, darum vermutete er den Grund ihrer ungehaltenen Reaktion darin, dass sie ihm die Meinungsverschiedenheit nachtrug und machte eine entsprechende Bemerkung. Daraufhin erst erfuhr er, dass der abgelehnte – in ihren Augen sicher verschmähte – Wohnungsschlüssel die Ursache ihres Unmuts war. Natürlich hätte er sich den Grund ihrer ungehaltenen Reaktion denken können – ebenso wie die Wirkung, die das Zurückweisen des Schlüssels auf sie haben musste. In manchen Situationen jedoch reagiert er bar jeder Intuition, gefangen wie ein homo faber im ausschließlichen Nützlichkeitskalkül, eine Sache allein unter dem Aspekt der Zweckdienlichkeit, der Praktikabilität betrachtend. Er war nicht in der Lage, den symbolischen Gehalt ihres Angebots zu erkennen. Das Ablehnen ihrer Offerte bedeutete ihm in dem Moment nicht mehr als etwa den Verzicht auf ein Werkzeug für eine Arbeit, die er ebenso gut mit bloßen Händen verrichten kann. Ihr Angebot schon allein aus Freundlichkeit nicht abzulehnen, darauf kam er nicht. Für ihn war der Schlüssel in dem Moment nur ein Gegenstand, den er nicht unbedingt benötigte. Wie dem auch sei, das Gesprächsthema an dem Abend war damit vorprogrammiert. Zudem fand sie die Artikulation und Gestik der rus­sischen Sängerin, deretwegen sie eigentlich gekom­men waren, stark übertrieben, gekünstelt, affektiert, vermutete schließlich sogar im Drogenkonsum die Ursache für deren Gebaren. Seine Ablehnung ihres Vorschlages, sich ebenfalls ein Mobiltelefon anzuschaffen, hatte zum Glück eine unvergleichlich weniger starke Reaktion zur Folge. Dass kurz nachdem sie ihn zu überreden versuchte, sich ein Fahrrad zuzulegen, ihres gestohlen wurde, sah sie als Zeichen, dass er keinen Wert darauf legt. Sie sei sehr glücklich mit ihrer Beziehung, nur wenn sie fehlinterpretiere, dass irgendwelche nicht vorhandenen Details seines Verhaltens auf Desinteresse hindeuten könnten, bekomme sie Verlustangst. Deshalb tue es ihr natürlich gut, wenn er ihr Nettigkeiten sage, er solle sich aber nicht unter Druck setzen. Er dachte darüber nach, wie es um seine Nettigkeiten ihr gegenüber bestellt war und musste zugeben, dass sie sich in recht engen Grenzen hielten, er sie andererseits