Anders Aaronson

Thuazar


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Vor sechs Jahren hatte sie die Clans aus den südlich gelegenen Highlands, die immer wieder auf dem Hoheitsgebiet Rialcs Raubzüge abhielten, unterworfen und zu treuen Vasallen gemacht, die pünktlich ihren Tribut abgaben.

      Das Einzige, was manchmal störte, war ihr aufbrausendes Temperament. Von Verhandlungen hielt sie nicht viel. Deswegen hatte sie auch nur Verachtung für Eiden Serny übrig. Nun ja, sie war halt eine Kriegerin, für Diplomatie hatte Nigyr eben Eiden.

      Sein Blick schweifte weiter zu Merak Evan, seinem Schatzmeister. Seitdem er ihn vom Bankhaus Errok und Darrun abgeworben hatte, ging es den Staatsfinanzen gut. Er war ein hagerer Mann, um die vierzig, dessen spitzes Gesicht stets verkniffen wirkte. Er schaute drein, als ob er immer pinkeln müsste und es aufhalten würde. Ein schütterer grauer Haarkranz umgab seinen Kopf und ein kleiner Spitzbart in der gleichen Farbe zierte sein Kinn. Auch Seine Gewänder waren grau. Wahrscheinlich war sogar sein Haus von innen grau, sinnierte Nigyr. Sei es drum. Er bewachte die Staatsfinanzen wie die Glucke ihr Ei, und die Buchführung war akribisch genau. Den Göttern sei Dank. Der letzte Schatzmeister hatte Rialc fast in den Bankrott geführt.

      Als Gast war dann noch der Abgesandte aus Reyen Lak.

      Sein tiefschwarzes Haar, das er mit Öl nach hinten gekämmt hatte, hob sich von seinen weißen Gewändern ab, genauso wie seine tiefbraune Haut.

      Er hatte über dem wallenden Stoff seines Gewandes einen Brustpanzer aus Leder angelegt, auf dem ein goldener Speer prangte. Das Zeichen des zur Zeit herrschenden Clans in Reyen Lak. Seine Finger und Ohren waren geschmückt mit goldenen Ringen. Gerade und würdevoll saß er auf seinem Stuhl. Vor ihm lag die Depesche, die er im Namen des Srighani von Reyen Lak vorlesen sollte. Leicht herablassend schaute er in die Runde.

      Nigyr hatte auch Andras Niras eingeladen. Gerüchte aber sagten, dass seine Rebellengruppe zerschlagen und er gepfählt worden sei. Aber das waren nur Gerüchte, die sich hoffentlich bald widerlegen lassen würden.

      »Lasst uns beginnen«, sagte Nigyr. »Ich erteile Surubaya M’basa, Sohn des Srighani und Abgesandten von Reyen Lak, das Wort.«

      Dieser nahm die Depesche, brach das Siegel und entrollte das Pergament. Er schaute einmal in die Runde um zu sehen, dass ihm volle Aufmerksamkeit zukam, und nickte dann mit geschlossenen Augen.

      »Das sind die Worte meines Vaters, dem Srighani von Reyen Lak, Pekonbaru M’basa:

      Edler Nigyr, König von Rialc,

      möge die Sonne dein Antlitz bescheinen, der Mond deine Nacht erhellen, die Sterne dir den Weg weisen und die vier Winde dir wohlgesonnen sein. Ich entbiete euch durch meinen Sohn die herzlichsten Grüße. Wir haben mit Entsetzen eure Nachricht vernommen, dass der Herrscher von Hohen Horst, Rand I, zu einer immer größer werdenden Bedrohung der nördlichen Lande wird. Die Gräueltaten, die er dem einfachen Volk und seinen Feinden antut, sind ohne Beispiel und verlangen, dass sie vergolten und gestoppt werden. Mögen die vier Winde seine Burg zerstören und seine Seele fortwehen. Wehe dem, der ihm Unterstützung zusagt, auch ihn mögen die vier Winde bestrafen und ...«

      Mariala schlug mit der flachen Hand hart auf den Tisch.

      »Verdammt noch eins!«, brüllte sie.

      Surubaya zog eine Augenbraue hoch und schaute sie pikiert an.

      »Wenn ich mich kräftig anstrenge, bekomme ich auch vier Winde hin, die aber bestimmt mehr Schaden anrichten als eure ... weil sie nämlich aus meinen Arsch kommen!« Eiden Serny schaute bestürzt, während Merak hinter vorgehaltener Hand grinste.

      Nigyr räusperte sich laut.

      »Seid still, Mariala, und lasst den Abgesandten die Botschaft zu Ende vorlesen«, sagte er streng.

      Er schaute Surubaya entschuldigend an. »Bitte fahrt fort.«

      »Aber kommt auf den Punkt«, knurrte Mariala. »Sonst kann es sein, dass meine vier Winde euch hier aus dem Turmfenster hinaus wehen.«

      »Mariala, bitte sei jetzt still«, sagte Nigyr mit Zorn in der Stimme. Die Heerführerin schaute ihren König aufsässig an, sah aber den ernsten Blick und neigte demütig den Kopf.

      Surubaya las weiter vor und mit viel blumigen Worten und Metaphern erklärte der Herrscher von Reyen Lak, dass er das Vorgehen Rand I nicht billige, dass er aber auch keine Möglichkeit sehe, Rialc zu Hilfe zu kommen.

      »Scheiße«, flüsterte Mariala. »Schöne Scheiße.«

      »Ich danke euch Surubaya M’basa. Einer meiner Diener wird euch in eure Gemächer führen und eure morgige Abreise vorbereiten.«

      Surubaya stand mit raschelnden Gewändern auf, verneigte sich und verließ den Raum.

      »Wieder nichts«, brummte Nigyr.

      Zwei Terme später trafen sie sich erneut.

      »Haben wir schon Kunde vom Alleingang Dervon Tais?«, fragte Mariala.

      »Bisher noch nicht«, antwortete Eiden. »Aber heute, spätestens Morgen müssten wir mehr wissen.«

      »Hm«, brummte die Heerführerin.

      Der Schatzmeister meldete sich zu Wort.

      »Die gefälschten Goldmünzen sind als Tribut an Rand unterwegs. Wenn er damit die Braks bezahlt, stellen die sofort die Eisenlieferungen ein. Das ist sicher. Desweiteren ...«

      Es klopfte dringend an der Tür.

      »Herein!«, bellte Mariala, was einen missbilligenden Blick Nigyrs nach sich zog.

      Ein Mann in den Farben eines Boten kam erschöpft in den Raum gestolpert. Er verneigte sich tief.

      »Sprich!«, sagte Nigyr.

      »Ich bringe schlechte Nachrichten. Die Armee Dervon Tais ist vernichtend geschlagen worden.«

      Mariala schaute blinzelnd auf.

      »Grün Aue wird von zehntausend Fußsoldaten belagert, Bogenschützen und Berittene Rands I von der Schlacht gegen Dervon Tais Armee sind auch auf den Weg dorthin und ...«, der Bote stockte und suchte nach Worten.

      »Sprich!«, sagte Merak gespannt.

      »Rand hat noch mehr Berittene.« Wieder schaute er verlegen auf den Boden und rang mit sich.

      »Meine Fresse, mach es nicht so spannend«, ranzte ihn Mariala an. Erschrocken sprach der Bote jetzt hastig weiter.

      »Er hat eine Einheit, die auf gepanzerten Tantros reitet. Ein Lenker und ein Speerwerfer. Es sollen ungefähr dreihundert sein. Diese Einheit hat fast die ganze Armee von Dervon Tai im Alleingang besiegt.«

      »Mann, was erzählst du da für `ne Scheiße. Bist du voll oder was?«, brauste Mariala auf. »Man kann keinen Tantros zähmen und darauf reiten.«

      Nigyr hob die Hand. »Woher hast du die Informationen?«, fragte er.

      »Es gibt Überlebende der Schlacht. Glaubwürdige Männer, die das alles beschwören. Rand hat eine Tantrosarmee, und seine Bogenschützen haben Bögen, die doppelt so weit schießen, wie normale Bögen. Es soll nur eine Stunde gedauert haben und die Armee Dervon Tais war besiegt. Grün Aue ist dem Untergang geweiht.«

       6. Rand I Hohen Horst

      Surubaya M’basa hatte Angst. Er hatte furchtbare Angst. So schreckliche Angst, wie damals, als er neun war. Er hatte furchtbare Zahnschmerzen gehabt und musste deshalb zu einem Zahnreißer.

      Zahnreißer! Allein das Wort hatte ihm schon Angst gemacht. Dort saß er auf einen Stuhl und musste warten. Vor ihm auf einem Tisch lagen Zangen und kleine Messer. Er malte sich die schlimmsten Dinge aus. Dann kam ein freundlicher Mann, schaute einmal kurz in den Mund nahm eine kleine Zange. Er setzte an und der Zahn war raus. Der Schmerz war zwar heftig, klang aber sehr schnell ab. Im nach hinein war die Angst eigentlich unbegründet gewesen.

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