Raya Mann

Serenus I


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Dutzend einheimischer Gehilfen und Dienstmädchen.

      Der erste Teil handelte vom Alltag in der Missionsstation und von den Erziehungsmethoden, denen die dreizehnjährige Halbweise ausgeliefert war. Je mehr sie bestraft wurde, desto ungeschickter und unberechenbarer wurde ihr Verhalten und desto öfter lieferte sie selber den Anlass für noch schärfere Misshandlungen.

      Der Vater verbrachte Tage und Wochen außer Haus, wenn er als Seelsorger die in der Savanne verstreuten Siedlungen besuchte. In seiner Abwesenheit bemächtigten sich die Dienstboten der Tochter, um sie allen erdenklichen Erniedrigungen zu unterziehen. Sobald der Missionar abgereist war, nahmen sie ihr die Kleider weg und zwangen sie, ihnen ohne einen Fetzen am Leib zu dienen. Sie wurde zur Schau gestellt, indem man sie bäuchlings über einen Schemel legte und sie daran festschnallte, so dass sie die Beine nicht schließen konnte und ihr Geschlecht den Blicken ausgesetzt war. Wenn sie sich auflehnte, ließ man sie es mit der Gerte zwischen ihren Beinen spüren.

      Als sich ihre Brüste entwickelten und ihr die ersten Schamhaare wuchsen, wurde sie nachts im Freien angekettet. Sie lag mit ausgestreckten Armen und Beinen im Mondlicht, mit Händen und Füssen an vier Pflöcken fixiert. Sie hatte die Augen verbunden und konnte kaum die nackten Füße hören, wenn jemand kam und sich an ihren Brüsten und an ihrem Schoss zu schaffen machte.

      Mit der Zeit luden die Schwarzen alle Stammesverwandten dazu ein, sich an dem Exzess zu beteiligen. Bei den Versammlungen, die mehrere Tage dauerten, wurde sie wie eine Puppe herumgereicht, und die Gäste spornten sich zu immer grausameren Tätlichkeiten an. Die Keuschheit des englischen Fräuleins blieb jedoch unversehrt, denn für die Defloration wurde eigens ein großes Fest vorbereitet. Doch im letzten Augenblick wurde die Missionsstation von einem anderen Clan überfallen und das gesamte Personal niedergemetzelt. Die Missionarstochter wurde gerettet, aber verschleppt.

      Im zweiten Teil erfuhr man den Grund der Entführung. Für den Kriegerstamm galt es als Versündigung gegen die Ahnen, wenn eine Frau vor dem Einsetzen ihrer Menstruation penetriert wurde. Zudem wurde die Missionarstochter von den Wilden als Weibchen des Leoparden verehrt, dem Totemtier ihrer Gemeinschaft. Der Legende nach wurde der Leopard aus Schnee und Eis geschaffen und seine Haut war weiß. Er stieg von den Berggipfeln herunter, ließ sich in der Wüste nieder und zog sich ein einfaches gelbes Fell über. Als der große Zauberer ihn zum König der Savanne ernannte, schmückte er ihn mit den dunklen Blüten.

      Die Krieger bereiteten daher das Mädchen auf seine Bestimmung vor, indem sie ihm über Tage mit glühenden Eisen Rosetten in die weiße Haut brannten. Ihre Schamlippen und ihre Klitoris wurden weggeschnitten und Ringe in ihre Brustwarzen gepflanzt. Am Tag ihrer ersten Blutung wurde sie schließlich in das Haus des Medizinmannes gebracht. Sie musste zusehen, wie eine Pfahl in die Erde gehämmert wurde, bis er ihr nur noch bis zum Bauchnabel reichte. Dann wurde sie hochgehoben und mit der Stange zwischen den Beinen wieder abgesetzt. So stand sie da, mit gepfählter Scheide, während ihr ein Leopardengesicht ins Antlitz tätowiert wurde. Zwei Wochen später wurde sie auf ein Gestell gefesselt und von einem brünstigen Leoparden besprungen und besamt.

      Im dritten Teil wurde das Mädchen schließlich, traumatisiert und geistig umnachtet, von einem Handelsreisenden entdeckt. Man brachte sie nach Schottland in das Schloss des Kaufmanns, wo sie mit ihrem neuen Herrn das Bett teilen musste. Aber bald verschenkte er sie einem Freund, mit dem er in Afrika war, einem anglikanischen Missionar, der sie nicht mehr erkannte. Das Buch endete damit, dass der eigene Vater das Leopardenmädchen schwängerte.

      Serenus, der sonst in einer Nacht mehrere hundert Seiten verschlang, würgte vierzehn Tage lang an diesem Brocken. Die Lektüre von The Leopard Girl machte ihm zu schaffen. Die Schulstunden und die Pausen verbrachte er in Gedanken versunken und auch zu Hause redete er kaum ein Wort. Die Mutter nahm wie immer Rücksicht auf seine Verstimmungen und ließ ihn in Ruhe.

      Am meisten machte ihm zu schaffen, dass der Vater ein solches Buch besaß. Ob er es gekauft oder geschenkt bekommen hatte? Wusste die Mutter, dass in ihrem Haus so etwas aufbewahrt wurde? Er grübelte darüber nach, wer dieses Buch geschrieben haben könnte. Was für ein Mensch war das? Weshalb setzte er einen solchen Text in die Welt? Zudem ärgerte er sich über die Hinterlist des Autors, die Verbrechen an der Missionarstochter, die er selber erfunden hatte, den Wilden in Afrika anzuhängen.

      Seine Haltung gegenüber Rosanna hatte damit nichts zu tun. Dessen war er sich sicher. Dass sich zwei Menschen beim Liebesspiel grob anfassten, war etwas Anderes. Weder seine Gedanken noch seine Taten zielten auf Rosannas Demütigung ab. Wenn er sich vorstellte, sie wäre die Missionarstochter und dem allem ausgesetzt, wurde ihm auf der Stelle übel. Wie hatte er glauben können, mit Brunos Nachhilfestunden sei er auf alles Sexuelle vorbereitet? Von ihm hatte er erfahren, dass es Straftatbestände gab wie Unzucht an Minderjährigen und Nötigung zu unzüchtigen Handlungen. Er wusste, dass es Irre und Verbrecher gab. Er fand es auch richtig, wenn man sie in Anstalten und Gefängnissen einsperrte. Aber The Leopard Girl war etwas ganz Anderes, denn es zerstörte die Unschuld seiner Welt. Es war offenbar ein wertvolles Buch, von einem gebildeten Menschen geschrieben, von einem genialen Künstler illustriert und von einem Meister in Leder gebunden. Und diese unheilige Schrift hatte ihr Versteck im Aktenschrank des Vaters.

      Das Leopardenmädchen erschütterte ihn in solchem Maße, dass er nicht wusste, an wen er sich wenden sollte. Selbst Rosanna musste alle Register ziehen, bis sie ihn dazu brachte, ihr sein Herz auszuschütten. Sie gab ihm Recht.

      „Ich denke ähnlich wie du. Wenn ich einen Brutalofilm sehe, dann denke ich, dass solche Szenen nur von Menschen ausgedacht werden können. Weil nur die Menschen dazu fähig sind. Ich denke aber auch, dass die Menschen nur das tun, was sie gesehen haben. Die Gewalt kommt von den Bildern. Aber die Bilder kommen ebenso von der Gewalt.“

      Rosanna versuchte aber auch, ihn zu beruhigen: „Vielen Menschen genügt die Einbildung. Der Mann, der das Buch geschrieben hat, wird wohl nie im Leben ein Mädchen misshandeln. Vielleicht ist es sogar gut, dass er es aufgeschrieben und sich so davon befreit hat. Vielleicht hätte er sonst etwas Schlimmes getan.“

      Ein anderes Mal sagte sie. „Auch mir macht Pornographie Angst. Aber stell dir doch einfach mal vor, wir hätten uns zusammen das Leopardenmädchen ausgedacht. Wir hätten bloß rumgemacht und so getan. Verstehst du, was ich meine? Ein erfundenes Spiel. Etwa so, wie wenn du sagst, dass du mir die Brüste abbeißt. Das denkst du auch nicht wirklich. Wenn du zum Beispiel zu mir sagen würdest: ‚Jetzt brenne ich dir am ganzen Körper ein Leopardenfell ein’, dann würde ich doch total erregt davon. Es kann ja sein, dass ein Mann und eine Frau sich gemeinsam die Geschichte ausgedacht haben. Vielleicht stellten sie sich all das beim Vögeln vor.“

      Als Rosanna ihn schließlich bat, ihr das Buch auszuleihen, zögerte er zuerst. Aber da er es selber gelesen hatte, konnte er ihr den Wunsch nicht ausschlagen. Sie schien auch nicht so empfindlich zu sein wie er selber. Am anderen Tag packte er es in seine Schultasche. Nach der letzten Stunde ging er zur Direktionssekretärin und bat um einen Kopierschlüssel. Er müsse für den Biologielehrer ein Skript für die Klasse vervielfältigen. Dabei streckte er der Dame ein Handout mit den menschlichen Geschlechtsorganen unter die Nase.

      Sie sagte nur: „Na, so was...“, und händigte ihm schnell den Schlüssel aus. Serenus stand eine halbe Stunde lang an dem Xerox-Gerät und lichtete das Leopardenmädchen Seite um Seite ab. Er brachte den Schlüssel zurück, ging nach Hause und verstaute das Buch dort, wo es hingehörte. Die Kopien legte er zwischen seine Schulsachen.

      Serenus war von der Gewalttätigkeit so benommen, dass er beim Sex mit Rosanna nicht bei der Sache war. Er brachte es nicht über sich, ihre Brüste und ihre Vulva anzufassen. Sie fühlte, dass er geschont werden wollte. So lagen sie oft einfach nackt auf seinem Bett und hielten sich umschlungen. Sie unterhielten sich und Rosanna streichelte ihn dabei. Pure Zärtlichkeit war für beide etwas Neues und einige Male schliefen sie auf diese Weise miteinander. Sie taten es wie in Zeitlupe, sahen sich dabei in die Augen und flüsterten sich verliebte Worte ins Ohr. Letztlich verdankten sie es brutaler Pornografie, dass sie diese sublime Form der Intimität entdeckten.

      Das Außergewöhnliche an ihrer Liebe waren die Intensität und die Dauer sowie ihre Jugend. Serenus war erst dreizehn und Rosanna vierzehn Jahre alt, als sie