M.H. Murray

Tod am Lagerhaus


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genau genommen die Azteken erst nach Teotihuacán kamen, als es bereits seit Jahrhunderten verlassen war.“

      Alle Blicke waren nun auf Sarah gerichtet, die sich jetzt zum ersten Mal in das Gespräch eingemischt hatte. Gomez schien ihr aber nicht böse zu sein über ihren Einwurf, eher im Gegenteil.

      „Da haben Sie natürlich recht, Señorita Sarah. Trotzdem haben die Azteken die Bauwerke verehrt, die Sonnenpyramide, die Mondpyramide und besonders den Tempel des Quetzalcoatl. Haben Sie von ihm gehört?“

      Sarah lächelte.

      „Die gefiederte Schlange? Natürlich. Sie wurde von vielen alten Völkern als Gott verehrt, auch von den Maya – unter dem Namen Kukulkan, richtig?“

      „Genau, genau!“, rief Gomez aus und sprang vor Begeisterung fast von seinem Stuhl. Endlich hatte er jemanden gefunden, der ihm bei seinem Lieblingsthema nicht nur stumm und gelangweilt zuhörte. „Haben Sie auch schon von dem Phänomen der Kukulkan-Pyramide gehört?“

      „Sie meinen die Pyramide in Chichen-Itza? Natürlich. Zweimal in jedem Jahr zur Tag- und Nachtgleiche erzeugen die Sonnenstrahlen in einem bestimmten Winkel Schatten an den Stufen. Diese Schatten reichen herunter bis zu den steinernen Schlangenköpfen und es sieht dann so aus, als ob die gefiederte Schlange vom Himmel herabsteigt.“

      „Oh mein Gott, Sie wissen es! Sie wissen alles! David, ich bin verliebt in Ihre Assistentin“, verkündete er lachend.

      Sarah musste ebenfalls lachen - aber nur, bis sie bemerkte, mit welcher Faszination David Graham sie ansah. Hastig tat sie etwas, das sie eigentlich den ganzen Abend vermeiden wollte - sie trank ihr Glas Wein in einem Zug aus. Zu ihrer Erleichterung beanspruchte Hernando Gomez nun wieder ihre gesamte Aufmerksamkeit, als er zu ihr sagte:

      „Señorita Sarah, Sie würden mich zum glücklichsten Menschen des Abends machen, wenn Sie mir einen Tanz schenken würden.“

      Obwohl das Tanzen nicht gerade zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörte, konnte sie dem Mann seinen Wunsch einfach nicht abschlagen.

      „Sehr gern“, entgegnete sie lächelnd und erhob sich.

      Hernando Gomez war ebenfalls aufgestanden und führte sie auf die Tanzfläche. Hier zeigte sich schnell, dass er trotz seiner Figur ein sehr guter Tänzer war.

      „Ich bin wirklich sehr beeindruckt“, sagte er. „Man findet selten jemanden, der sich auf diesem Gebiet so gut auskennt und dazu noch so schön ist, wie Sie.“

      „Und man findet selten jemanden, der so gut tanzen und gleichzeitig schmeicheln kann wie Sie“, entgegnete sie schmunzelnd.

      Gomez lachte aus vollem Hals und sie tanzten weiter.

      „Ich bin mir sicher, die Kunstwerke wären bei Ihnen am besten aufgehoben“, fuhrt er fort und seufzte. „Wenn wir nur nicht immer das Geld bräuchten. Darüber zerbreche ich mir schon so lange den Kopf.“

      „Aber irgendwann werden Sie sich entscheiden müssen.“

      „Ich weiß, Señorita Sarah, ich weiß. Eigentlich bin ich nur hergekommen, um David zu sagen, dass es mir leid tut und dass ich Carters Angebot annehmen werde. Aber jetzt … bin ich mir wieder unsicher. Das ist Ihre Schuld, das wissen Sie.“

      Sarah sah ihm direkt in die Augen.

      „Sie müssen abwägen. Sind Sie bereit, viele Kunstwerke verschwinden oder sogar zerstören zu lassen, nur um einige andere zu retten? Oder wollen Sie lieber um das ganze Erbe Ihrer Vorfahren kämpfen?“

      Sie legte ihre flache Hand auf seine Brust.

      „Lassen Sie Ihren Kopf entscheiden oder Ihr Herz? Was war Ihren Vorfahren wichtiger, Hernando?“

      Sein Blick wurde für einen Moment traurig und er nickte.

      „Darüber sollte ich mir wohl klar werden.“

      Sie tanzten, bis das Lied zu Ende war und setzten sich dann wieder zu den anderen. Gomez trank in Ruhe ein weiteres Glas Wein. Er blieb währenddessen auffallend still. Doch dann atmete er tief durch.

      „David, ich möchte die wunderbare Stimmung nicht kaputt machen, aber ich denke, wir wissen beide, dass wir etwas zu besprechen haben. Und ich habe mich bereits den ganzen Abend davor gedrückt.“

      Graham sah ihn gespannt an und nickte.

      „Ich weiß, Sie warten schon sehr lange auf eine Entscheidung wegen des Vertrages“, fuhr Gomez fort. „Und es wäre nicht fair von mir, Sie länger darauf warten zu lassen.“

      Sarah trank hastig einen Schluck Wein. Das hörte sich nicht sehr vielversprechend an.

      „Das freut mich, dass Sie das so sehen“, erwiderte David Graham vorsichtig.

      „Ich bin heute eigentlich hergekommen, weil ich Ihnen sagen wollte, dass ich das Angebot von Carter annehmen werde.“

      „Ach so, verstehe“, murmelte Graham, sichtlich enttäuscht.

      „Moment, ich bin noch nicht fertig.“

      Gomez schaute kurz zu Sarah.

      „Allerdings habe ich heute Abend einen Menschen getroffen – der mir die Augen geöffnet hat. Sie hat mich daran erinnert, welche zentrale Bedeutung das Herz für meine Vorfahren hatte, nicht nur in ihrer Religion.“ Er lächelte. „Danke Señorita Sarah.“

      Als alle Blick auf sie gerichtet waren, bemerkte sie, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie trank schnell einen Schluck Wein, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

      „David, ich werde den Vertrag mit Ihnen unterzeichnen. Sofort, wenn Sie möchten“, erklärte Gomez.

      „Wirklich?“, fragte Graham ungläubig.

      „Ja! Haben Sie ihn hier?“

      „Moment, ich hole ihn gleich.“

      Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, war er auch schon aufgesprungen und davon geeilt. Keine zwei Minuten später kehrte er mit den Papieren zurück. Hernando Gomez las sie sich durch und setzte dann seine Unterschrift darunter.

      „Herzlichen Glückwunsch.“

      „Danke“, erwiderte David Graham erleichtert. „Lassen Sie uns darauf anstoßen!“

      Natürlich hatte niemand gegen diesen Vorschlag etwas einzuwenden und alle erhoben gut gelaunt ihre Gläser und tranken. Der Abend schritt unaufhaltsam weiter voran und die Stimmung wurde immer ausgelassener.

      „Wissen Sie, David“, sagte Gomez irgendwann. „Sie könnten ja wenigstens einmal mit Señorita Sarah tanzen. Immerhin haben Sie ihr den Vertrag zu verdanken.“

      David und Sarah schauten sich einen Moment an.

      „Ach, das ist doch nicht nötig“, murmelte Sarah abwehrend und David Graham zuckte entschuldigend mit den Schultern.

      „Ich will Sarah zu nichts drängen.“

      „Keine Widerrede! Nun machen Sie schon oder ich zerreiße den Vertrag wieder“, drohte Gomez, sichtlich amüsiert.

      „Also gut“, gab Graham schließlich nach.

      Er stand auf und streckte Sarah die Hand entgegen.

      „Würden Sie mir diesen Tanz schenken?“, fragte er lächelnd.

      Ohne zu ihm aufzusehen, entgegnete sie leise:

      „Gern.“

      Denn ergriff seine Hand und erhob sich nun ebenfalls. Sofort spürte sie wieder ein Kribbeln in ihrem Bauch, das allein durch die Berührung seiner Hand ausgelöst wurde. Sie gingen auf die Tanzfläche und er behielt ihre Hand in seiner, als sie sich gegenüberstanden. Sarah legte ihre andere Hand auf seine Schulter, während sie spürte, wie er sanft ihren Rücken berührte. Sie begannen zu tanzen. Ihre Blicke trafen sich und blieben aneinander hängen wie zwei Magnete. Sarah versank vollkommen und widerstandslos in seinen dunklen Augen wie in einer unendlichen Tiefe. Seine Nähe