evolutionsgeschichtlich „die emotionale Steuerung des Verhaltens der bewusst strategischen Planung vorausging.“24
Dass sich der Mensch nicht so weit von anderen Tieren abhebt wird auch im Vergleich zu Menschenaffen deutlich. „Relativ einfache und uralte Emotionen [bringen] scheinbar raffinierte Verhaltensweisen bei Schimpansen [hervor].“25
Was sind wir mehr: aggressiver Schimpanse oder erotischer Bonobo? Fest steht auf alle Fälle, dass nicht nur Menschen und Schimpansen Vertreter der eigenen Spezies töten. Auch bei anderen Tieren wie Löwen oder Hyänen wurde ein solches Verhalten beobachtet, ganz zu schweigen von Ameisen, wo regelrechte Kriege an der Tagesordnung sind. Aber was der Mensch perfektioniert hat, ist die Organisation bei diesen tödlichen Auseinandersetzungen.
Noch stärker unterscheidet den Menschen von anderen Tieren vermutlich die Empathie. Die Wissenschaft geht davon aus, dass sich diese aus der elterlichen Sorge um den Nachwuchs entwickelte und „evolutionäre Kontinuität mit anderen Säugetieren“26 aufweist. Empathie kann als „innere Nachahmung“ der Gefühle anderer bezeichnet werden. „Dementsprechend wäre sie ein unfreiwilliger Routineprozess. […] Berichte, die Empathie als einen höheren kognitiven Prozess darstellen, vernachlässigen diese instinktiven Reaktionen, die viel zu rasch erfolgen, als dass sie bewusst gesteuert sein könnten.“27
Sogenannte Spiegelneuronen sind dafür verantwortlich, dass wir „mitfühlen“, wenn wir jemanden sehen, der sich zum Beispiel am Ellbogen anschlägt. Spezielle Nervenzellen weisen hierbei die gleichen Aktivitätsmuster auf, als stießen wir uns selbst mit dem Ellbogen an einer Kante. Wir empfinden den Schmerz ebenfalls.
Mit geballter Faust
Aber genauso mitfühlend der Mensch sein kann, genauso grausam kann er werden. Man vergegenwärtige sich, welche Gräueltaten in Kriegen verübt werden. Mit diesem dem Menschen unwürdigen Geschehen, dass emphatischem Verhalten diametral gegenübersteht, werde ich mich im siebten Kapitel näher auseinandersetzen. An dieser Stelle möchte ich mich mehr auf die allgemeine menschliche Aggressivität konzentrieren, die fortlaufend zu Tage tritt.
So weist die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2012 520.000 Fälle von Körperverletzung auf. Und dabei werden nur die körperlichen Auseinandersetzungen erfasst, in denen die Polizei eingeschaltet wurde. Die Dunkelziffer in diesem Bereich dürfte enorm hoch sein.28 Besonders bei Gewalt im häuslichen Bereich werden viele Übergriffe aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Anzeige gebracht.
Generell gilt: In einer lebenswerteren Zukunft muss Gewalt grundlegend geächtet sein. Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung dieses Vorhaben wäre, „dass die Aggression vom Verstand im Zaum gehalten wird. […] Betrüblicherweise sprechen unsere höheren Hirnzentren dann, wenn es um Dinge wie Revierverteidigung geht, allzu leicht auf das Drängen der tieferen Zentren an.“29
Als Ausrede sollte man in diesem Zusammenhang auch nicht gelten lassen, dass „der Mensch eine aggressive Tierart ist“30, wie der Neurobiologe Swaab feststellte. Ebenso wie der Schimpanse, mit dem wir unsere Vorfahren teilen. Bei diesen Menschenaffen gebe es „zwei Kategorien von Aggressionen: die eine innerhalb der eigenen Gruppe zurückhaltend und ritualisiert, die andere zwischen den Gruppen enthemmt, grundlos und tödlich“.31 Hintergrund dieser tödlichen Feindschaft sind wohl gemeinsame Interessen, die denen der gegnerischen Gruppe entgegenstehen. Reste dieses Verhaltens finden sich in der weitverbreiteten Xenophobie in der heutigen Zeit wieder. Darauf werde ich im dritten Kapitel näher eingehen.
Verpflichtungen gegenüber uns nahestehende Menschen schränken die moralische Einbeziehung Außenstehender ein.32 Aber nicht nur gegenüber fremden Gruppen kam und kommt es zu Aggressivität. Männer sind aggressiver als Frauen, was auf den höheren Testosteronspiegel zurückzuführen ist. Der Zusammenhang zwischen schlechten sozialen Verhältnissen und fehlender Bildung sowie daraus folgendem aggressivem und strafbarem Handeln ist bekannt. Dies zeigt sich bei Untersuchungen auch an der Verbreitung kriminellen Verhaltens nach Schulart: „8,1 Prozent der Hauptschüler [wurden] als Intensivtäter eingruppiert, aber nur 4,6 Prozent der Realschüler und 1,5 Prozent der Gymnasiasten.“33
Neben der Kriminalität Einzelner bedroht noch eine andere Art Gesetzesverstöße unser friedvolles Zusammenleben. 2012 schätzte die UNO den Jahresumsatz des organisierten Verbrechens auf 2,1 Billionen US-Dollar, vergleichbar mit dem Bruttoinlandsprodukt von Großbritannien. Die Einnahmen aus Drogen- und Menschenhandel, Schutzgelderpressungen und anderen kriminellen Aktivitäten entsprechen 3,6 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Und die Übergänge zwischen den Reichen und den Vertretern der organisierten Kriminalität sind, besonders in Schwellenländern, oftmals fließend.
Aggressivität äußert sich auch in dem Drang, sich selbst zu verteidigen. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Drittel bis die Hälfte der US-Haushalte über eine Schusswaffe verfügt. Dies führt dazu, dass Kinder im Alter von 5 bis 14 Jahren im Vergleich zum Durchschnittswert von 25 anderen Ländern 13-mal so häufig ermordet werden, sich 8-mal so oft selbst mit einer Waffe töten und 10-mal so viele Kinder nach einem Waffenunfall sterben.
Kontrolle ist gut
„Die Wirkung der sozialen Instinkte auf die Psyche ist beharrlich und mild, während die der Begierden vorübergehend und heftig ist. Soziale Tiere sind daher häufig der Verlockung ausgesetzt, ihre sozialen Instinkte zugunsten ihrer Begierden zu verletzen, etwa, wenn ein Tier seinen Nachwuchs vernachlässigt, während es sich paart. Aber es ist eine vertraute Erfahrung, dass die Befriedigung der Begierde wichtiger erscheint, wenn man tatsächlich in ihrem Bann steht, als nach ihrer Befriedigung. Sobald also die mentalen Fähigkeiten eines sozialen Tieres sich bis zu dem Punkt entwickelt haben, an dem es sich erinnern kann, dass es solchen Versuchungen nachgibt, werden ihm diese als nicht lohnenswert vorkommen, und es wird lernen, solche Impulse zu beherrschen. Unsere Fähigkeit, von dem gebieterischen Wörtchen ‚sollen‘ motiviert zu werden, vermutet Darwin, hat seinen Ursprung in dieser Art von Erfahrung.“34
Die soziale Interaktion ist der Grundpfeiler für den Fortbestand und die Weiterentwicklung der Gruppe. Wie Darwin nachweisen konnte, setzt sich in der Natur derjenige durch, der überlebt und sich fortpflanzt. Wie diese natürliche Auslese erfolgt, ist dabei nebensächlich. Hier ist der Weg einmal nicht das Ziel. Ob durch Aggression oder Kooperation macht keinen Unterschied, solange am Ende das Überleben der eigenen Art steht.
Menschen wollen Teil einer Gruppe sein, weil sie sich darin sicherer fühlen. Diese Funktion übernehmen in unseren Tagen vor allem das gemeinsame Heimatland, die gemeinsame Religion und das gemeinsame Volk.
Allerdings ist auch „der Drang des Menschen, sich von anderen abzuheben, … in unzähligen Studien dokumentiert. Demnach ändern Menschen ihre Aussagen, wenn ihnen fälschlicherweise gesagt wird, dass diese dem Durchschnitt entsprechen. Und wenn Probanden das Gefühl vermittelt wird, sie gehörten zum Mittelmaß, dann verkünden sie den Wunsch nach außergewöhnlichen Aktivitäten. Schließlich, so haben andere Studien gezeigt, halten sich die meisten Menschen für besonders tolerant, altruistisch und beziehungsfähig. Und besser Auto fahren als die anderen Idioten auf der Straße kann ohnehin fast jeder.“35
Bei aller Betonung der Individualität darf niemals die Bedeutung der Gruppe vergessen werden. Der Mensch kann auch in dieser Hinsicht als gespaltene Persönlichkeit