Götz Renartz

Der Hypnotist Der Hase im Cafe


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Macht der Liebe

      Noch etwas verschlafen, schaute er in den Spiegel. Die Warze war häßlich rot, wie entzündet. Aber sie war noch nicht kleiner geworden. Das Jucken war gleich geblieben.

      Die Bilder seiner hypnotischen Übungen hatten sich verändert.

      Die Mangrovenwurzeln hatten sich zu riesigen Fleischfasern verwandelt. Zwischen ihnen sauste er herum, um die Feinde zu vernichten.

      Die Fleischfasern glichen etwas den Fruchtfasern, die er in Kürbissen gesehen hatte.

      Auch hatte er gelernt, daß es nicht genügte, mit Feuerstößen im

      Schlamm zwischen den Fasern die Feinde zu vernichten.

      Er hatte entdeckt, daß, nachdem er die Masse der Feinde vernichtet hatte, sich immer wieder fiese Biester, wie er sie für sich nannte, im Schlamm versteckten.

      Also hatte er das Feuer gebündelt. Es kam jetzt auch nicht mehr von irgendwo rechts, sozusagen geistig entfacht, sondern es entsprang jetzt seinem Willen und fuhr wie ein glühender Laserstrahl direkt in seinem Blick in den Schlamm, wo die fiesen Biester quickend verdampften, wenn der Feuerstrahl sie traf.

      Der Schlamm brodelte dabei auf und verdampfte übel riechend, während er umherspritzte.

      Es ekelte ihn, wenn er von Schlammspritzern getroffen wurde. Doch seine Wut war immer noch stark und hell und so nahm er den Schmutz in Kauf.

      Nachdem er sich rasiert hatte, nahm er eine heiße Dusche. Er ertappte sich dabei, daß er laut, aber falsch sang. Es schien sich auf seine Arbeit zu freuen.

      In der Praxis begrüßte ihn Frau Herr. Nur sie beide waren anwesend. Und die Blumen.

      Ihm fiel nicht ein, was er tun sollte. Wahrscheinlich gab es auch gar nichts zu tun.

      „Nicht tun, sondern sein!“, dachte er und mußte vor sich hin grinsen.

      „Das Sein ist das Seien des Seins“, hatte er bei irgendeinem Philosophen gelesen.

      „So wollen wir einmal ganz gelassen seiend sein!“ dachte er vergnügt und fragte seine Sekretärin, ob er ihr einen Kaffee zubereiten solle.

      Sie lächelte erfreut und sagte: „Aber bitte mit Zucker!“

      „Süßes für die Süßen!“ blödelte er zurück.

      Als sie ihren Kaffee tranken, fragte ihn Frau Herr nach der neuen Kundin. In kurzen Worten berichtete er, was er von Frau Zappeck erfahren hatte.

      „Und wie werden Sie vorgehen?“, fragte ihn die Sekretärin zwischen zwei Kaffeeschlucken.

      „Keine Ahnung!“ sagte er und fühlte sich wieder blödelig. „Wie es kommt, wenn es kommt, wie es kommt!“

      Er grinste dabei.

      „Sie scheinen ja heute gut drauf zu sein“, meinte Frau Herr.

      „Was heißt scheinen, ich bin gut drauf!“ erwiderte er vergnügt.

      In seinem Zimmer legte er die Füße auf den Schreibtisch und sah zum Fenster hin. Leise drangen die Geräusche der Stadt zu ihm in den Raum.

      Dann fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, seine Exfrau Aletta anzurufen.

      Aletta.

      Er seufzte. Er hatte sie sehr geliebt. Sie hatten eigentlich gut zueinander gepasst. Doch nach der ersten Phase der Verliebtheit hatte sich herausgestellt, daß sie wenige Interessen mit ihm gemeinsam hatte. Ihre gesellschaftlichen und kulturellen Interessen waren ihr wichtiger gewesen, als die Beziehung zu ihm.

      Er hatte um die Beziehung gekämpft. Er hatte ausgehalten und das Gespräch gesucht. Sie aber war ausgewichen und hatte bagatellisiert. Bis er nicht mehr gemocht hatte.

      Nach sieben Jahren Ehe hatten sie sich 2008 einvernehmlich getrennt.

      Danach hatte er beschlossen, sein Leben zu verändern.

      Jetzt saß er mitten in seinem neuen Leben und fühlte sich wohl dabei.

      Aber das Leben ist kein Paradies, dachte er. Probleme in der Vergangenheit, Warzenprobleme in der Gegenwart, was wird die Zukunft bringen?

      Er griff zum Telefon.

      „Aletta, bist Du’s? Ich wollte zurückrufen. Meine neue Sekretärin, Frau Herr, wußte nichts von uns. Sie ist erst seit heute angestellt.“

      „Danke, Otto, daß Du angerufen hast! Ich wollte Dir nur zu Deiner neuen Firma gratulieren.

      Ich freue mich für Dich! Hast Du denn schon Kunden?“

      „Ja, schon am ersten Tag gleich zwei. Herr Seidel hat sie mir vermittelt. Einen nervösen und pessimistischen Unternehmer und eine schlaflose Geschäftsfrau. Ich bin schon ganz gespannt, wie es da weitergeht.“

      „Otto, ich bin froh, daß es Dir gut geht! Es wäre schöner gewesen, wenn es mit uns besser gegangen wäre. Hast Du schon jemand anderes?“

      „Nein, das Scheitern unserer Ehe sitzt mir noch immer in den seelischen Knochen. Aber ich glaube, daß ich jetzt langsam wieder in der Lage bin, mich emotional zu binden. Und Du, hast Du jemanden Neues?“

      „Ja, aber das ist nichts Ernstes!“

      Noch ein paar Floskeln und sie waren wieder getrennt.

      Otto Renansen blickte aus dem Fenster. Diesmal hörte er den Verkehrslärm nicht.

      Er dachte zurück an die Zeit vor der Beziehung mit Aletta Lücke.

      An die Hoffnung auf eine Liebe. An die spannende Frage, die er sich immer wieder gestellt hatte, wen er wohl heiraten würde.

      Er seufzte. Jetzt wußte er es. Erst die Hoffnung, dann das Glück und am Ende Schmerz, Trauer und Enttäuschung.

      Seinen Berufstraum hatte er sich jetzt endlich erfüllt. Er war sicher, daß er Erfolg haben würde.

      Er war für niemanden verantwortlich. Er konnte alles langsam aufbauen. Er hatte etwas Geld im Hintergrund und keine Schulden. Alles was er brauchte, hatte er im Kopf.

      Kosten hatte er nur durch das Büro und die Sekretärin und was sonst noch so daran hing. Aber er war alleine, eigentlich auch einsam.

      Aber das wollte er sich nicht so recht eingestehen. Denn da waren viele Menschen, die er liebte. Und von denen er sich geliebt fühlte.

      Seine Eltern waren schon gestorben, aber seine Schwester stand ihm nahe. Mit ihrem Mann verstand er sich gut, auch mit den Kindern von beiden.

      Sein Bruder war auf ihn neidisch. Die Beziehung war deshalb

      schwierig.

      Aber insgesamt hatte er mit seiner Familie Glück. Aber was ihm fehlte, war eine glückliche Beziehung zu einer Frau.

      Seine Gedanken gingen weit zurück.

      Er sah sich wieder in jener Gruppenpsychotherapie. Noch in der Facharztausbildung zum Psychiater leitete er damals bereits eine psychotherapeutische Station im Psychiatrischen Landeskrankenhaus.

      Er hatte gerade die Gestalttherapie von Fritz Perls für sich entdeckt. Es war das zweite Mal, daß er die Methode in seiner Psychotherapiegruppe einsetzte.

      Fünfzehn Patienten beiderlei Geschlechts waren es gewesen.

      Auch der Oberarzt war anwesend, als er mit der Patientin arbeitete, der bis dahin niemand hatte helfen können.

      Achtundvierzig Jahre alt war sie und litt seit Jahren unter Depressionen. Die verschiedensten antidepressiven Medikamente hatten nicht angeschlagen. Zwei stationäre psychotherapeutische Behandlungen waren ebenso ohne Erfolg geblieben, wie mehrere ambulante Psychotherapieversuche.

      Immer wieder hatten die Psychiater und Psychotherapeuten gerätselt, was Grund und Anlass für die Erkrankung hätte sein können.

      Die Patientin selbst war freundlich und offen gewesen, jedoch eindeutig depressiv verstimmt.