„War von euch jemand draussen? Ward?“, frage ich meine Lieblinge und sehe Ward an, der immer noch auf meinem Bett sitzt.
Ward ist der einzige, der es schafft eine Türe zu öffnen, wenn sie nicht abgeschlossen ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er es auch schaffen würde, ein Fenster zu öffnen. Doch Ward will mit dieser Sache nichts zu tun haben und hebt seine Pfote. Seine Pfoten sind sauber.
„Du könntest sie sauber geleckt haben, während ich noch geschlafen habe“, behaupte ich ein wenig verunsichert.
Ward springt vom Bett runter zu den Pfotenabdrücken und legt seine Pfote drauf. Die roten Pfoten sind grösser als seine. Mein Hund ist unschuldig. Die Pfoten sind grösser als die der Hunde oder der Katzen. Aber wenn meine Lieblinge es nicht gewesen sind, wer war es dann? Wessen Pfoten sind das?
„Meine Eltern dürfen das auf keinen Fall sehen“, sage ich und ziehe die dreckige Bettwäsche aus.
James zieht Sahiras Bett zum Fenster und verdeckt somit die Pfotenabdrücke auf dem Teppich.
„Danke, James.“ Ich knülle die Bettwäsche zusammen und eile aus dem Zimmer.
Nachdem ich die Bettwäsche im Wäschekorb entsorgt habe, gehe ich wieder in mein Zimmer und bekomme gerade mit, wie Sahira mit ihrer Zunge die Spuren auf dem Fenstersims beseitigt.
Sahira begutachtet ihr Werk. Sie leckt noch ein paar Mal über das Fenstersims. Als sie mit dem Ergebnis zufrieden ist, leckt sie sich über die Pfoten und wischt sich danach über das Gesicht.
„Ich will nur zu gerne wissen, was in der Nacht passiert ist“, murmle ich und ziehe mich um.
Ich trage dasselbe Outfit, das ich auch gestern anhatte. Da ich keine Lust auf einen Spaziergang habe, spiele ich mit meinen Haustieren auf unserer Wiese hinter dem Haus.
Später gehe ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch in die Schule. Bixi erzählt mir von seinem Vater, der gestern eine Spätschicht hatte. Ich höre ihm gar nicht richtig zu. Meine Gedanken kreisen immer um das Blut. Wem gehört das Blut? Lebt diese Person noch? Ist sie verletzt?
„Und er ist sich sicher, dass es ein Wolf gewesen ist?“, will Leyth von meinem besten Freund wissen und blickt ihn ungläubig an.
„Ja, ziemlich sicher“, meint Bixi zu Leyth.
„Aber es gibt doch gar keine Wölfe in Tossa“, stellt Malia fest.
Seit wann ist Malia denn hier? Ich schaue meine beste Freundin entgeistert an.
Malia interpretiert meinen Blick falsch, denn sie sagt: „Was? Es ist doch wahr! In dieser Gegend leben keine Wölfe.“
„Und wie kommt es, dass ein Wolf meinem Dad direkt vor das Auto gesprungen ist?“, erkundigt sich Bixi bei Malia. „Er hatte graues Fell und war grösser als ein Hund!“
„Dein Vater muss in seiner Panik gedacht haben, dass es ein Wolf gewesen ist“, vermutet Leyth und geht die Treppe hoch.
Ein grauer Wolf in Tossa? Drecksköter. Dieses Wort. Der Mann, der aus seinem Auto steigt. Woher kenne ich diese Szene? Habe ich neulich einen Film geschaut?
Sissy sieht mich besorgt an. „Ely? Ist alles in Ordnung bei dir? Du siehst ziemlich mitgenommen aus. Hast du etwa schlecht geschlafen? Mondsüchtig, was?“
Ich schaue meine beste Freundin überrascht an. „Wie kommst du denn auf so was?“
„Naja, gestern war Vollmond“, erklärt mir Sissy. „Es gibt Menschen, die können bei Vollmond nicht gut schlafen.“
„Manche Menschen schlafen bei Vollmond überhaupt nicht. Einige heulen den Mond sogar an. Nicht wahr, Ely?“, meint Malia und setzt sich neben mich auf die Treppenstufe.
Ich kann mich gar nicht daran erinnern, mich hingesetzt zu haben. „Redest du von Werwölfe?“
„Jetzt hör doch auf! Werwölfe gibt es nicht!“, sagt Sissy zu Malia.
„Guten Morgen! Wie geht es euch?“ Kyara sieht uns mit einem Lächeln im Gesicht an.
„Gut“, antwortet Sissy.
Kyara setzt sich auf eine Treppenstufe hin und sieht zu uns rauf. „Bei uns Zuhause ist ein Wolf gewesen.“
„Ihr habt den Wolf also auch gesehen?“, meldet sich Bixi zu Wort, der hinter mir steht. Er geht die zwei Treppenstufen zu Kyara runter und setzt sich neben sie hin. „Meinem Vater ist er direkt vor das Auto gesprungen!“
Kyra kichert. „Bei uns ist er im Pool schwimmen gegangen.“
„Ihr habt Zuhause einen Pool?“ Bixi sieht Kyara ungläubig an.
Ich höre, wie jemand Mitternachtsblau sagt. Wer hat das gesagt? Mein Bauch verkrampft sich.
„Und was habt ihr dann gemacht?“, will Bixi neugierig wissen.
„Nichts. Er ist abgehauen! Er hatte wohl Angst vor uns“, gluckst Kyara.
Was findet Kyara denn nur so lustig daran? Ein Wolf war in ihrem Pool! Ich würde mir vor Angst in die Hose machen, wenn der Wolf plötzlich in unserem Garten gestanden hätte.
Bixi lacht. „Das glaube ich nicht! Bei meinem Vater hat er sich nicht einmal bewegt! So ist er dagestanden.“ Mein bester Freund steht auf und bleibt wie erstarrt stehen.
Kyara lacht lauthals los. „Wahrscheinlich hat dieser Wolf noch nie einen Menschen gesehen. Schon gar nicht Menschen, die aus einem Ufo aussteigen!“
Meine besten Freundinnen und Bixi prusten los. Nemuel und die anderen gesellen sich zu uns und fragen Kyara, worüber sie gerade lacht. Kyara erklärt ihnen in kurzen Sätzen, was Bixi ihr gerade erzählt hat.
„Dein Vater muss ein Schock gehabt haben“, vermutet Nemuel und setzt sich vor mir auf die Treppe.
„Ja, aber der Wolf hatte wahrscheinlich den grösseren Schock gehabt. Der stand immer noch wie versteinert da, als mein Vater davongefahren ist“, grinst Bixi, der sich so langsam mit den neuen Schülern anfreundet.
„Hat dein Vater es der Polizei gemeldet?“, höre ich mich selbst fragen.
Bixi dreht sich zu mir um. „Ja. Die Polizisten wollten ihm zuerst nicht glauben. Aber anscheinend hat es noch einen weiteren Vorfall mit einem Wolf gegeben. Sie vermuten, dass es sich dabei um denselben Wolf handelt.“
„Was für einen Vorfall?“, forscht Isaac nach.
Bixi zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Das wollten die meinem Vater nicht sagen.“
Meine Freunde und die anderen unterhalten sich bis zum Läuten über diesen Wolf. Ich stehe auf und renne ins Schulgebäude. Sissy eilt mir nach und öffnet ihren Spind. Wir nehmen unsere Schulsachen aus unseren Spinden raus und machen uns auf den Weg ins Klassenzimmer. Heute haben wir drei Lektionen hintereinander bei Professor Garou Unterricht. Zuerst eine Lektion Chemie, danach eine Doppelstunde Sport. Professor Garou wartet schon im Klassenzimmer auf die Achtklässler. Nyra Smith hat ein asiatisches Gesicht. Ihre Mutter kommt – wenn ich mich richtig erinnere – aus den Philippinen. Smith hat braune Strähnen in ihrem schwarzen Haar. Meine Mitschülerin leidet unter Asthma und ist daher im Sportunterricht nicht wirklich zu gebrauchen. Sie setzt sich in die erste Tischreihe und hält den Platz neben sich für ihre Freundin, Jessica Fisher, frei. Jess ist die Klassenbeste, jedoch nicht sehr sportlich. Obwohl Jess nicht schlecht aussieht, hatte sie noch nie einen Freund. Ihr dunkelbraunes Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich habe sie noch nie mit offenem Haar gesehen. Jess trägt immer einen Pferdeschwanz. Wahrscheinlich geht sie sogar mit zusammengebundenen Haaren ins Bett. Nyra lächelt Jess an, als diese sich neben sie an den Tisch hinsetzt. Ich suche mir einen Platz in der hintersten Reihe aus. Heute müssen wir nicht praktische Experimente durchführen. In der ersten Chemiestunde geht es nur um die Theorie. Professor Garou bittet Lae, die als letztes reinkommt, die Türe zu schliessen. Lae ist eine Japanerin. Ihre Eltern sind jedoch kurz vor der Geburt nach Tossa gezogen. Sie hat mandelförmige Augen und - wie