Andreas Engelbrech

Am Ende


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Tat zu retten. Jetzt war es unwiederbringlich verloren. Zerstört für alle Zeiten. Nie wieder würde ihr Lächeln die Menschen verzaubern. Nie wieder!

      Kapitel 4

      Eine Woche später

      „Ist das die Skulptur?“ Der Arbeiter stand vor einer großen, etwa zwei mal zwei mal zwei Meter großen Figur. Sie war gefertigt aus Computerschrott, zusammengeschweißt, zurecht gebrochen, zurechtgeformt. Die Figur hatte die Form eines Pferdes, sollte die Form eines liegenden Pferdes haben. Der Titel: „Das Trojanische Pferd.“

      „Wie schwer wird sie wohl sein?“ Der Arbeiter diskutierte mit seinen Kollegen, wie die Skulptur am besten zu transportieren war. Dieses monumentale Pferd war nicht so einfach zu bewegen. Groß, schwer, unförmig. Durch das große Tor der zu einem Atelier umgebauten Scheune war sie leicht hinaus zu transportieren. Zuvor musste sie aber angehoben und sorgfältig verpackt werden.

      Ein Gabelstapler erledigte diese Arbeit, eine Transportkiste wurde zusammengezimmert und mit Styropor ausgestopft. Jetzt konnte der Skulptur, die trotz ihrer massiven Größe aufgrund der Computerbauteile einen sehr zerbrechlichen Eindruck machte, ohne Gefahr verschickt werden.

      „Wann kommen Sie nach Bilbao?“, fragte ein Angestellter des Guggenheim-Museums in Bilbao, der zugleich den Empfang des Kunstwerks quittierte.

      „Ich werde in einer Woche nach Bilbao fliegen und mich auf die Eröffnung der Ausstellung vorbereiten. Wenn sie denn jemals eröffnet wird.“ Der Schöpfer der Skulptur, der Künstler Thomas Jensen-Mendez, war skeptisch. Seit den Anschlägen in Paris und Amsterdam war das Museum in Bilbao geschlossen. Der Termin für die Eröffnung der Skulpturen-Ausstellung zeitgenössischer europäischer Bildhauer war verschoben worden. Auf unbestimmte Zeit.“

      „Wie groß ist die Gefahr, wenn wir die Ausstellung nur für geladene Gäste eröffnen? Und dann erst für das normale Publikum. Wir haben unsere Sicherheitsleute durchleuchtet, haben die Stärke der Wachmannschaften erhöht. Das Konzept für die Sicherheitskontrollen ist so gründlich, dass kein Rollstuhl, keine Handtasche, nichts, was irgendwie gefährlich ist, in das Museum gelangen kann.“ Der Direktor des Guggenheim-Museum sprach, er kämpfte um die Wiedereröffnung seines Museums. Seit Paris waren fast zwei Wochen vergangen.

      Er fuhr fort: „Was nützt es, wenn wir all diese Meisterwerke verstecken, sie einsperren, ohne dass sie jemand zu Gesicht bekommt. Diese Kunst gehört nicht in einen Tresor, sie soll von allen Menschen gesehen werden. Sie soll die Menschen anregen, erfreuen, inspirieren. Kein Foto, kein virtueller Rundgang, nichts, kann das Erlebnis des Museums selber ersetzen. Gerade in diesem Gebäude kommt die Kunst voll zur Geltung, Architektur und Kultur ergänzen sich hier ....“ Der Museumsdirektor konnte gar nicht genug Worte finden, um das Erlebnis seines Museums zu beschreiben.

      „Wenn die Kunstwerke zu Asche zerfallen, hat die Menschheit auch nichts mehr davon!“ Mit diesen Worten beendete der Direktor des Spanischen Überwachungsdienstes die Aufzählung. Sein Untergebener, zuständig für die Sicherheit im Grossraum Bilbao, nickte ihm zustimmend zu.

      „Es wurde doch sogar ein Überflugverbot verhängt. Und selbst Schiffe dürfen dem Gebäude nicht zu nahe kommen.“ Der Direktor ließ nicht locker.

      „So lange wir nicht wissen, wer dahinter steckt und welche Ziele mit all diesen Attentaten auf Museen verfolgt werden, müssen wir vorsichtig sein. Besser eine unzugängliche als eine leere Festung!“ Mit diesen Worten entschied der Direktor des Spanischen Überwachungsdienstes, daß das Guggenheim-Museum wie viele andere Museen weiterhin geschlossen bleiben sollte. Geschlossen und abgeschirmt wie eine Burg in früheren Zeiten.

      Ein paar Tage später drehte ein Filmteam des Spanischen Fernsehens in den Räumen der vorgesehenen Sonderausstellung über die Werke zeitgenössischer europäischer Bildhauer.

      Einige der Künstler waren anwesend, ließen sich bereitwillig interviewen.

      „Was wollen Sie mit ihrem Werk, dem Trojanischen Pferd, aussagen?“ Der Kulturjournalist hatte sich zusammen mit Jensen-Mendez, einem deutsch-spanischen Bildhauer, vor dessen Werk in Szene gesetzt.

      „Ich will damit symbolisieren, wie sich die Technik, vor allem die Computer, in unser Leben einmischen, uns unterwandern. Und wie damals, in Griechenland, holen wir bewusst die Computer in unser Leben, ohne an mögliche Gefahren zu denken.“

      „Viele Ihrer Kritiker spotten über Ihre Arbeit. Angeblich würden Sie mehr am Recycling von Computerschrott verdienen als an ihrer Kunst selber!“ Der Journalist provozierte absichtlich, stieß aber auf einen ruhigen, abgebrühten Interviewpartner.

      „Genauso wie sich andere Künstler intensiv mit der Auswahl ihrer Materialien beschäftigen, sei es die Farbe des Marmors, die Maserung des Eichenholzes, was auch immer, nehme ich auch nicht einfach nur, was herumliegt. Die Suche nach dem geeigneten ausgesonderten Computermaterial hat mindestens genauso lange gedauert wie das Zusammenfügen und Formen der Skulptur selbst.“

      Für den deutsch-spanischen Künstler waren es die üblichen Fragen, die üblichen Provokationen, die üblichen Schmeicheleien. Aber er hatte es mit einem der besten Kulturjournalisten zu tun. „Eine letzte Frage noch. Diese Skulptur hier, sie sieht aus wie ein Engel: Hat er etwas mit den Gerüchten um ihre schwere Krebserkrankung zu tun? Sozusagen eine Erinnerung, eine Hoffnung an das Leben danach?“

      Es war eine Frage, die ihm nicht gern gestellt wurde. Er wusste, dass die Nachricht von dem bevorstehenden Ende eines großen Künstlers alles andere als eine Höflichkeit war. Die Preise würden steigen, durch die Decke gehen. Bald gab es keine neuen Werke mehr von ihm. Ein abgeschlossenes Sammelgebiet sozusagen.

      „Die Skulptur ist kein Engel, sondern ein Kolibri. Haben Sie jemals einen Kolibri gesehen? Ich saß wochenlang an dieser Arbeit. Aber es ist mir nicht gelungen, die Eleganz, die Leichtigkeit, die schillernden Farben wiederzugeben. Das Original der Natur ist schöner, unnachahmlicher.“ Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Aber es stimmt. Lange habe ich nicht mehr!“

      „Ich möchte einen Termin haben!“ Wütend ging der Direktor des Guggenheim-Museum in seinem Büro auf und ab. Er sprach mit dem Direktor des Spanischen Überwachungsdienstes, welcher über Bildtelefon aus Madrid zugeschaltet war. „Ich lasse mich nicht länger hinhalten. Die Menschen wollen in das Museum, wollen die Ausstellung besuchen! Die Menschen wollen sich vom Terror eines Verrückten nicht verängstigen lassen.“

      Es war weltweit überall das gleiche. Nirgendwo wollten die Menschen länger vor den verschlossenen Türen von Museen und Kunstausstellungen stehen. Politiker, insbesondere jene der Opposition, griffen das Thema genauso beherzt auf wie jene Banausen, die seit Jahren nicht im Museum waren. Jetzt, da die Kunst hinter verschlossenen Türen geschützt werden musste, interessierten sich auf einmal mehr Menschen dafür.

      „Solange wir nicht wissen, wer oder was dahintersteckt, können wir kein Museum eröffnen. Kein einziges!“ Der Direktor aus Madrid sagte das gleiche wie seine Kollegen in Europa und dem Rest der Welt.

      „Ich erhalte jeden Tag mindestens fünfzig Anrufe von Prominenten und einflussreichen Personen. Nicht gezählt die Anrufe von ganz normalen Menschen, die jeden Tag bei meinen Mitarbeitern eingehen. Sagen Sie mir einen Termin, wenn wir wieder aufmachen können.“ Die Geduld des Direktors war am Ende.

      „Es bleibt dabei. Alle Museen bleiben bis auf weiteres geschlossen! Es ist zum Schutz der Kunst und nicht zuletzt auch der Menschen, die sie sehen wollen. Begreifen Sie das nicht?“ Mit diesen Worten beendete der Experte aus Madrid das Gespräch. Der Bildschirm wurde dunkel.

      Vier Wochen nach der Zerstörung der Mona Lisa fand in Paris eine Pressekonferenz statt. Sie wurde durchgeführt vom Leiter der SK Mona Lisa, flankiert vom Chef der Pariser Polizei und dem neuen Leiter der SK Van Gogh. Untermalt wurde die Szenerie mit Kopien der bekanntesten Werke Vincent Van Gogh´s und der Mona Lisa auf Staffeleien, versehen mit Trauerfloren am linken oberen Bildrand.

      Nach der Vorstellung statistischer Zahlen über die Anzahl der eingesetzten Beamten, eingegangener Hinweise, durchgeführter Ermittlungen und Verhaftungen und ebenso vieler Freilassungen