Lene Levi

Nordwest Bestial


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gebürtiger Baden-Württemberger. Seine Stimme war oft laut und streitlustig und wurde noch lauter, wenn er sich übergangen fühlte. Er war stur, reduziert humorvoll, aber auch schlau wie ein Fuchs. In Böblingen hatte er seine Beamtenlaufbahn als Streifendienstpolizist begonnen, aber dann die Frau seines Lebens kennengelernt; eine Ostfriesin aus Leer, die das nicht weit entfernte Oldenburg bereits schon als eine Stadt im Ausland betrachtete. Der Liebe wegen hatte sie sich immerhin dazu bewegen lassen, hierher zu ziehen. So hatten sie sich jeweils beide auf einen Kompromiss geeinigt. Aber in den Tiefen seiner durch und durch schwäbischen Seele hatte sich Holzkämper nach wie vor die Sehnsucht nach Hack, Brät und Spinat und für in Butter gebratene Zwiebelringe bewahrt. Seinetwegen gab es einmal im Monat in der Polizeikantine geschmälzte Maultaschen. Zwar konnte er auch hochdeutsch sprechen, aber er wollte meistens nicht. Dröge und Holzkämper galten inzwischen als unzertrennlich.

      „Ich sagte alle, Frau Bulthaupt. Danke …“

      In diesem Moment kam Jan herein. Er lächelte freundlich, bemerkte aber sofort, dass irgendetwas passiert sein musste. Robert begrüßte ihn wie üblich mit einem langgezogenen: „Moin.“ Dann fügte er hinzu: „Du kannst deinen feinen Zwirn gleich wieder ablegen. Wir haben einen Leichenfund im Goldenstedter Moor. Auf dem Tagesprogramm steht also eine Dienstreise ins Südoldenburgische.“

      Jan lächelte noch immer. „Seit wann interessiert sich die Kripo für Moorleichen? Oder soll´s etwa eine naturkundliche Exkursion werden? Ich wusste gar nicht, dass es bei uns auch solche ausgeflippten Weiterbildungsangebote gibt.“

      „Und deine schicken Lederschuhe würde ich auch gegen Gummistiefel tauschen. Das ist kein Witz“, betonte Robert. „Ein satter Orkan ist im Anmarsch.“

      Jan hatte die Angewohnheit sich auch im Dienst überaus korrekt zu kleiden. Er tat es, ohne dabei eitel zu wirken. Er bevorzugte dunkle Strellson-Anzüge, gedeckte Krawatten und hochwertige Lederschuhe. Robert war dagegen anzusehen, dass er sich nicht viel aus Kleidung machte. Jetzt im Winter begnügte er sich mit Cordhosen und bei Regenwetter warf er sich einen abgewetzten alten Shell Parka über die Schultern. Beide waren schon deshalb rein optisch betrachtet ein vollkommen ungleiches Paar. Robert wäre es am Beginn seiner Polizeilaufbahn wahrscheinlich niemals in den Sinn gekommen, mit Schlips und gebügeltem Hemd, geschweige denn mit teuren Anzügen oder italienischen Lederschuhen, zum Dienst zu erscheinen. Die feine englische Art war damals noch nicht üblich. So hatten sich die Regeln geändert.

      10

      Jan saß am Steuer des Funkstreifenwagens, warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel und gab über Sprechfunk eine Information an die hinter ihm fahrende Einsatzkolone durch: „In etwa fünfzig Metern geht´s links ab auf einen Feldweg, von da an wird’s ungemütlich.“

      „Verstanden“, krächzte es mehrstimmig aus dem Bordlautsprecher. Er setzte den Blinker und verlangsamte das Tempo. Robert saß neben ihm und studierte eine topografische Karte des Goldenstedter Moorgebiets, die er sich noch kurzfristig in der Polizeiinspektion besorgt hatte. „Ich war früher schon mal hier“, erinnerte sich Jan, „während meiner Schulzeit. Das war damals eine Exkursion für den Biologieunterricht. Erinnern kann ich mich aber nur noch an eine Fahrt mit der Moorbahn und an die vielen Mückenstiche.“ Robert sah hinaus auf das flache Umland und murmelte leise: „Ziemlich abgeschiedene Gegend hier.“

      Sie kamen jetzt langsamer voran, da die Kollegen hinter ihnen in den Einsatzfahrzeugen der Spurensicherung und der KTU um ihre an Bord befindlichen Instrumente bangten. Jan versuchte, den tiefsten und schlammigsten Schlaglöchern auszuweichen. Sie kamen nach etwa zwei Kilometern an ziemlich weit abgelegenen Höfen vorbei, die fast immer aus drei Gebäudeteilen bestanden, einem verfallenem Bauernhaus, einem neugebauten Wohnhaus und einer Scheune. Dahinter kamen plötzlich auch langgezogene Stallbaracken zum Vorschein, die alle gleich aussahen. Es waren grau angestrichene Flachbauten mit winzigen Fenstern und Belüftungsschächten auf den Dächern.

      „Sieh dir das an“, sagte Robert, „das sind alles Tiermastanlagen.“

      „Wohl eher Hühner-KZs“, korrigierte ihn Jan.

      Das schummrige Tageslicht verlieh den grauen Baracken einen rötlichen Schimmer. Weit und breit war auf den Höfen kein einziger Mensch zu sehen, der irgendeiner Arbeit nachging.

      „Warst du mal in so einer Anlage?“, fragte Jan.

      „Nee ... Sollte ich?“ Robert suchte auf der Karte nach ihrer Position und legte dann einen Finger genau auf den Punkt.

      „Es gibt da heimlich gedrehte Videos auf YouTube. Da fällst du vom Glauben an den gesunden Menschenverstand ab“, ergänzte Jan.

      „Vielleicht sollten unsere Bildungsverantwortlichen mal darüber nachdenken, zukünftig in die Lehrpläne Schulklassenexkursionen in solche Tiermastanlagen als anschauliches Beispiel für den Biounterricht zu integrieren. Was meinst du?“

      „Das wäre wohl eher was für den Ethikunterricht “, sagte Jan. Er warf nochmals einen flüchtigen Blick in die Richtung der Stallungen, bevor diese hinter einem Sichtschutz verschwanden. „Sind dir die Sicherheitsvorkehrungen aufgefallen? Die haben sich ganz professionell mit High-Tech-Cams und mit NATO-Drahtzäunen abgeschirmt. Glaubst du wirklich, die lassen jemand freiwillig hinter die Kulissen gucken?“

      Robert schwieg und beschäftigte sich wieder mit der Karte. Die abgeernteten Maisfeldflächen auf beiden Seiten des Feldweges schienen kein Ende zu nehmen.

      Ihnen war schon von Weitem ein über dem Moorgebiet kreisender Polizeihelikopter aufgefallen, der einen Bogen zog und gerade zur Landung ansetzte. Kurz darauf hatten sie ihr Ziel erreicht.

      Auf dem Besucherparkplatz neben dem »Haus im Moor«, einem modernen Holzgebäude mit begrüntem Dach, waren inzwischen alle Einsatzfahrzeuge der Oldenburger Kriminalpolizei eingetroffen.

      Diese Freifläche war weit und breit der einzige Ort, auf dem auch ein Hubschrauber starten und landen konnte. Die Besatzung des Polizeihelikopters »Phoenix 93« aus Rastede hatte schon einige Stunden lang das Moorgebiet zwischen Vechta und den Ortschaften Goldenstedt, Barnstorf sowie entlang der B 51 in südlicher Richtung bis nach Diepholz mehrfach überflogen und dabei eine Wärmebildkamera eingesetzt. Der Pilot sprach mit einem Mann und deutete auf die aufgezeichneten Messergebnisse. Robert beobachtete, wie der Mann mit seinen Händen aufgeregt gestikulierte und offenbar mit dem Ergebnis nicht einverstanden war. Das musste sicherlich dieser Polizeioberrat Bahlmann sein, dem sie diesen Einsatz zu verdanken hatten. Der Hubschrauberpilot versuchte offenbar dem Leiter der Suchaktion klar zu machen, dass seine bisherigen Flüge über das gesamte Territorium ergebnislos verlaufen waren.

      „Sie müssen es mir schon glauben, Herr Polizeioberrat. Wir haben das großflächige Feuchtgebiet nach allen möglichen organischen Wärmequellen systematisch abgesucht, sind aber lediglich auf Quellen gestoßen, die von wildlebenden Tieren stammen.“

      Er deutete auf seine Aufzeichnungen. „Sehen Sie selbst, diese farbigen Markierungen, das sind alles Kaninchen, Kraniche, Füchse und Rehe. Eins ist sicher: Zurzeit befinden sich keine Personen im Moorgebiet, die als lebende Wärmequellen erfasst werden können.“

      Robert ging auf die beiden Männer zu und stellte sich direkt neben sie. „Hallo! Ich bin Hauptkommissar Robert Rieken, Kripo Oldenburg.“

      „Schön, dass Sie so schnell kommen konnten“, sagte der Polizeioberrat und nickte ihm zu. „Ich bin Kai Bahlmann, Leiter des Polizeikommissariats Vechta.“

      Sie begrüßten sich mit Handschlag. Kai Bahlmann war um die 50, hatte ein knallrotes Gesicht und roch stark nach Eukalyptusbonbon. Entweder zu hoher Blutdruck oder zu viel Alkohol, dachte Robert. Der Mann stand offensichtlich unter Druck.

      „Darf ich mal einen Blick auf die Messergebnisse werfen?“, erkundigte sich Robert, damit er sich einen ersten Überblick verschaffen konnte.

      Der Pilot reichte die Aufzeichnungen weiter und begann Robert die Infrarotaufnahmen zu erklären:

      „Sehen Sie. Das hochempfindliche Messgerät kann auch tagsüber optisch