Ursula Mahr

Alt, aber herrlich mutig


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wir nicht", kam es genauso mürrisch zurück.

      "Also dann", versuchte Anne die Stimmung zu heben. "Was wollen wir trinken? Na ja, Alkohol geht ja wohl nicht, oder?" Ihr Blick ging zu den beiden Fahrerinnen in ihrer Runde. "Apfelschorle?" fragte sie bemüht heiter. Alle nickten, nur Lisa schaute mit unbewegtem Gesicht aus dem Fenster auf den öden Parkplatz. Der Himmel hatte sich zugezogen, und es wehte ein frischer Wind, so dass sich die kleinen, krummen Bäume auf der anderen Straßenseite leicht bogen.

      "Fünf Mal Apfelschorle, bitte", bestellte Anne und schaute den Wirt freundlich an.

      "Jo", kam es knapp zurück.

      Diese Friesen sind wirklich ein maulfaules Volk, dachte sie und wandte sich wieder ihren Freundinnen zu.

      "Was machen wir denn jetzt?" kam es ängstlich von Amelie. "Geben wir unseren Traum jetzt auf?"

      Entrüstet schauten die anderen sie an und Ursa antwortete: "Wie kommst du denn da drauf! Wir geben noch lange nicht auf! Oder?"

      "Auf gar keinen Fall. Das werden ja wohl nicht die einzigen Resthöfe in Norddeutschland sein. Wir finden schon was Schönes." Schweigend saßen sie da, nippten an den inzwischen vom Wirt gebrachten Getränken, und jede sann ihren eigenen Gedanken nach.

      Der normale Alltagstrott stellte sich wieder ein. Lisa putzte wie wild ihre Wohnung oder war mit dem Rad unterwegs, Anne suchte Entspannung in ihrem Garten, Anita machte sich eine schöne Zeit mit ihrem derzeitigen Liebhaber, Amelie führte ihren kleinen Hund aus und hatte dadurch immer wieder losen Kontakt zu anderen Leuten und Ursa verfiel wieder in Erinnerungen an eine Zeit, in der sie noch verheiratet war. Inge war mal wieder verreist: dieses Mal eine Städtereise mit einer ihrer Töchter und schrieb lapidare Ansichtskarten an ihre Freundinnen. Aber jede einzelne von ihnen hatte ihren gemeinsamen Traum im Hinterkopf; er war noch nicht aufgegeben, auch wenn sie bei ihren Treffen selten darüber sprachen. Es war ja alles gesagt. Jetzt mussten sie nur noch warten. Wieder einmal. Und der Makler meldete sich nicht.

      "Ruf doch mal an", sagte Lisa bei einem ihrer Treffen, "vielleicht hat er uns ja schon gestrichen aus seiner Kartei."

      "Meinst du wirklich?" brachte Amelie mühsam hervor. Heute war ihr Hund, ein kleiner weißer Westhighland-Terrier dabei. Ruhig lag Micki unter dem Tisch und schlief.

      "Warum eigentlich nicht. Schließlich soll er ja auch einen Käufer für mein Reihenhaus finden. Ich rufe ihn die nächsten Tage mal an." Der Rest des Nachmittags verlief ungewohnt ruhig.

      Fast ein ganzer Monat war vergangen, und wie so oft wollten sich die Frauen am Samstag Abend zum Kartenspielen treffen. Der Herbst war inzwischen ins Land gezogen, und abends wurde es bereits empfindlich kühl. Obwohl Anne nur einen kleinen Garten hatte, musste sie mehrmals die Woche Laub harken. Woher kamen nur Eichenblätter und Tannennadeln? In ihrem Garten standen weder das eine noch das andere. Und bei den Nachbarn auch nicht. Der Wind musste sie von weit her getragen haben.

      Es klingelte und Anne eilte zur Tür. Als sie sie öffnete, schallte ihr bereits Gelächter entgegen. Amelie, Ursa und Anita standen draußen. Anita trat von einem Bein aufs andere. "Lass mich schnell rein, sonst läuft meine Blase gleich über", prustete sie und drängelte sich an ihrer Freundin vorbei.

      "Und wir erfrieren gleich, wenn du uns noch länger hier draußen stehen lässt", witzelte Ursa und tat so, als ob sie schrecklich friere.

      "Kommt schon rein", erwiderte Anne aufgeräumt und machte den Weg frei. "Wo sind Inge und Lisa?"

      "Keine Ahnung", sagte Ursa und machte große Augen. "Ich dachte, sie wären schon hier. Wir drei sind doch bereits zu spät."

      "Na ja, dann werden sie wohl gleich eintrudeln. Angerufen haben sie jedenfalls nicht."

      Eine halbe Stunde später machten sich die vier wirklich Sorgen, denn es war ungewöhnlich, dass ihre beiden Freundinnen so sehr viel später kamen als ausgemacht. Bei Anita hätte das schon mal passieren können, aber bei Lisa und Inge? Unwahrscheinlich.

      "Hoffentlich ist nichts passiert", meinte Amelie und schlürfte an ihrem Getränk. Ursa wurde unruhig, stand auf und ging zum Fenster. Besorgt schob sie die Gardine zur Seite und schaute hinaus. "Da kommen sie ja", rief sie erleichtert, ließ die Gardine fallen und eilte durchs Wohnzimmer hinaus auf den Flur. Anne, Anita und Amelie blieben sitzen.

      "Warum kommt ihr beide denn so spät?" fragte Amelie, als die beiden, mit Ursa im Schlepptau, das Wohnzimmer betraten. Anstatt zu antworten, ließ sich Inge auf einen Sessel plumpsen. Lisa blieb mitten im Zimmer stehen, ungewöhnlich blass im Gesicht. Sie legte ihre Hand auf die Sessellehne, und man hatte den Eindruck, dass es beiden nicht gut ging.

      Besorgt beugte sich Anne vor und griff nach Inges Hand. "Inge?" Wie aus einer Trance schaute Inge hoch und lächelte verhalten. Anne und auch die anderen entspannten sich etwas, fragten sich aber immer noch, was dieses merkwürdige Verhalten zu bedeuten habe.

      "Sag es ihnen", flüsterte Lisa rau, blitzte die anderen unter ihrem schwarzen Fransenpony spitzbübisch an, setzte sich auf Inges Armlehne und berührte sie an der Schulter. Langsam kam Leben in Inge, und sie griff nach ihrer Handtasche. Mit zitternder Hand wühlte sie darin, brachte einen Lottoschein zum Vorschein und hielt ihn in die Höhe.

      "Ja und? Haben wir sechs Richtige auf unserem Gemeinschaftszettel getippt?" Die Frage sollte ein Scherz sein. Natürlich glaubte Ursa nicht daran, denn die Chancen, einen Sechser zu landen standen nach ihrem Wissen bei eins zu vierzehn Millionen. Auch Anita fing an zu lachen. "Ja, klar."

      Doch Inge und Lisa starrten die beiden an, so dass ihnen ganz unbehaglich wurde. Es war völlig still im Zimmer. Draußen hörte man plötzlich laute Stimmen, die dann wieder verebbten: Nachbarn, die sich unterhielten und am Haus vorbeigingen. In die Stille hinein machte sich plötzlich eine Erkenntnis breit, und schon hörten die Frauen Inges piepsige Stimme. "Ja!"

      "Was ja....?"

      "Sag mal, stehst du auf dem Schlauch, oder was!" brüllte Lisa lachend. "Ja! Wir haben sechs Richtige im Lotto!"

      Urplötzlich löste sich die Spannung. Es wurde furchtbar laut. Alle schrieen durcheinander, so dass keine die anderen wirklich verstand. Bei Amelie liefen sogar vor Freude einige Tränen über ihre Wangen. Und Micki, ihr Hund, rannte wild kläffend um ihrer aller Beine herum.

      "Schade!" übertönte mit einem Mal Anne die Runde und sorgte mit diesem einen Wort dafür, dass absolute Stille eintrat. Anne schaute in die verdutzten Gesichter. Doch dann lachte sie und rief so laut sie konnte: "Schade, dass ich ausgerechnet heute keinen Champagner im Kühlschrank habe!" Der darauf folgende Lärmpegel war unglaublich. Alle lachten und redeten durcheinander. Ursa und Anita vollführten sogar ein kleines Tänzchen, bis Lisa, die immer auch die Finanzen im Blick zu haben schien, fragte: "Wie viel bekommen wir denn?" Alle schauten Inge an, doch die zuckte nur mit den Schultern. "Das weiß ich noch nicht. Es kann eine Million sein, es können aber auch nur 100.000 Euro sein. In ein paar Tagen wissen wir mehr."

      "Ein Million Euro", seufzte Anita und sah verträumt vor sich hin. Auch die anderen wollten nicht an "nur" 100.000 Euro glauben, denn dann würde es immer noch nicht reichen für ihren Resthof an der Nordsee. Und dass der vielleicht inzwischen verkauft worden war, einen anderen Besitzer gefunden hatte, daran wollten sie nicht einmal denken.

      "Ich finde", meinte Ursa, die sich wie die anderen wieder etwas beruhigt hatte, "dass du den Makler gleich mal anrufen solltest, um zu klären, ob der Hof überhaupt noch zu haben ist." Dabei blickte sie Anne an. Die anderen nickten. Anne nahm einen Schluck aus ihrem Glas und meinte: "Aber heute ist doch Samstag und außerdem schon recht spät."

      "Pah", antwortete Lisa, "das spielt ja wohl keine Rolle. Schließlich verdient der eine ganze Menge an uns, wenn er meine Wohnung und dein Haus verkauft und dafür sorgt, dass wir den Hof bekommen." Die anderen nickten bestätigend.

      "Du hast ja recht", antwortete Anne energisch, stand auf und ging zu ihrem Telefon. "Herr Stöver? Hier ist Frau Heide. Sie erinnern sich? Hoffentlich störe ich nicht gerade." Sie hörte, dass der Makler am anderen Ende der Leitung gerade aß, deshalb dauerte es einen kurzen Augenblick bis er antwortete. Im Hintergrund hörte