Ursula Mahr

Alt, aber herrlich mutig


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nicht!"

      "Das liegt ja wohl nicht an Trigger", konterte Ursa. "Schließlich führt sich dein Micki auf wie eine Furie und nicht er." Sie streichelte über das rauhaarige, glänzende Fell ihres neuen Freundes.

      Empört plusterte sich Amelie auf, doch sie wusste nichts darauf zu erwidern. Empört drehte sie sich um und verließ, mit ihrem Hund auf dem Arm, den Schauplatz.

      Anne war inzwischen auch aus dem Haus gekommen und hatte das Theater schweigend verfolgt. "Na ja", meinte sie nachdenklich, "er scheint ja wirklich ganz artig zu sein." Natürlich wusste sie um Ursas Wunsch nach einem Hund, den sie schon so lange hegte. Unklug war nur der jetzige Zeitpunkt und natürlich, dass sie das einfach allein entschieden hatte. Wenn das auch bei den anderen Schule machen würde, wäre das nicht gut. Deshalb meinte sie: "Wir sprechen heute Abend noch mal darüber, ja?" Ursa erwiderte nichts, sondern schaute sie nur ernst aus großen Augen an. Anne drehte sich um, um wieder ins Haus zu gehen. Es gab noch so viel zu tun. Lisa schloss sich ihr an und meinte: "Ich kann Hunde nicht leiden, und so große schon gar nicht. Gut, dass wir noch mal darüber reden werden."

      Abends saßen die sechs in ihrem bereits recht gemütlich eingerichteten Wohnzimmer. Eine große Kanne dampfender Tee stand auf dem Stövchen und zwei Teller mit leckeren Schnittchen stand bereit. Trigger, der große schwarze Schnauzer-Mix, lag mit geschlossenen Augen zu Ursas Füßen. Micki hingegen saß angespannt auf der anderen Seite unter dem Tisch, beäugte den Fremden misstrauisch und grummelte leise vor sich hin.

      "Also, was habt ihr gegen Trigger? Ihr seht doch, dass er völlig gehorsam ist", eröffnete Ursa das Streitgespräch.

      "Wir haben gar nichts gegen einen zweiten Hund", erwiderte Anne und hob beschwichtigend die Hand, als sie sah, dass Lisa widersprechen wollte. "Nur dass du uns vorher nichts gesagt hast."

      "Was macht das für einen Unterschied? Vorher, nachher." Aber eigentlich wusste Ursa, dass sie nicht korrekt gehandelt hatte.

      "Und wie ist das mit Micki?" fragte Amelie empört. "Schließlich war er zuerst hier. Und er mag dieses Ungetüm nicht."

      Mitleidig schaute Ursa ihre Freundin an und sagte völlig ruhig: "Wenn hier einer gehen muss, dann doch wohl dein unerzogener Köter."

      "Schluss! rief Anita wie aus der Pistole geschossen dazwischen. "So geht das nicht! Was ist bloß mit euch los? Wir wohnen hier noch keine drei Wochen und schon streiten wir uns. Wir wollen doch unseren Lebensabend hier gemeinsam genießen." Fragend schaute sie die beiden Streithähne an.

      Lisa mischte sich ein. "Ich finde es auch nicht schön, dass Ursa einfach mit so einem Riesenhund hier auftaucht ohne uns zu fragen. Aber dieser Hund", ihr Blick schweifte zu dem nach wie vor völlig entspannten Trigger hinüber, "ist wirklich sehr ruhig und ausgeglichen. Denkt doch mal, allein durch seinen Anblick könnte er auch Schutz bedeuten für uns alte Tanten."

      Anne lächelte sie dankbar an. Amelie wollte trotzdem nicht kampflos aufgeben und meinte: "Aber dann muss Ursa auch ganz allein für ihn verantwortlich sein: füttern, Tierarzt besuchen und so weiter. Und falls er meinen Micki jemals beißt, muss er weg!"

      Damit war Ursa zwar nicht ganz einverstanden, denn Micki war der schwierige, der nicht erzogene Schoßhund. Aber letztendlich war dies ein Teilerfolg, mit dem sie sich zunächst arrangieren konnte.

      Inge hatte sich ganz aus der Diskussion herausgehalten. Sie liebte zwar keine Hunde, aber sie hatte auch nichts gegen sie. Ihr war es letztendlich egal.

      Anne und Anita atmeten auf. Dieses Problem schien erst einmal aus der Welt, denn Amelie würde sich wieder beruhigen, solange ihrem Micki nichts passierte. Und das sah nicht so aus, wenn man sich den friedlichen großen Schwarzen ansah.

      "Oh, der Tee ist alle", sagte Anne, erhob sich, nahm die Teekanne und fragte lachend beim Hinausgehen: "Noch irgendjemand ohne gültigen Fahrschein?"

      "Ich komme mit." Ursa erhob sich ebenfalls und folgte Anne in die Küche. Sofort hob Trigger, der bisher zu schlafen schien, seinen Kopf und schaute ihr hinterher.

      Anne nutzte die Gelegenheit und mahnte noch einmal: "Keine Alleingänge mehr, hörst du? Alles wird mit den anderen abgesprochen, sonst funktioniert unser Zusammenleben nicht."

      "Klar. Ich weiß das doch", antwortete Ursa. Es war ihr unangenehm, dass sie soviel Aufruhr verursacht hatte. "Ich wollte doch bloß endlich einen Hund."

      Anne legte ihr begütigend den Arm um die Schulter und lächelte ihre Freundin an. "Ich weiß." Dann stellte sie den Wasserkocher an, um noch eine Kanne Tee aufzubrühen. Ursa verschwand derweil mit ihrer Saftschorle wieder im Wohnzimmer.

      Schreckliche Weihnachten

      Die Weihnachtszeit nahte, und die Frauen waren am rotieren. Es brachte fast allen großen Spaß gemeinsam in der geräumigen Küche zu backen und zu kochen. Amelie und Inge hatten tolle Rezepte für leckere Kekse aus ihrem Fundus gezaubert. Und Lisa wollte sogar nach altem Rezept einen Stollen backen. Ursa, die nicht sehr am Kochen und Backen interessiert schien, war mit Anitas Wagen unterwegs ins nächste Dorf, um zwei Puter für Weihnachten zu bestellen.

      Lisa war noch hektischer als sonst, da ihre Tochter Marie und ihr Sohn Stephan mit Familie über Weihnachten kommen würden. Endlich würde sie ihre Enkelin Maren wiedersehen.

      Auch Annes Sohn Jonas hatte sich angekündigt. Etwas ängstlich schaute sie diesem Wiedersehen entgegen, denn Jonas, der schon lange keinen Job mehr hatte, sich auch um keinen bemühte, setzte seine Mutter, nachdem er von dem Lottogewinn erfahren hatte, unter Druck mit seinen ausgefallenen Wünschen.

      Ursas Sohn Max würde wohl nicht kommen. Er trug es seiner Mutter immer noch nach, dass sie sich von seinem Vater schon vor vielen Jahren getrennt hatte, obwohl der, nicht zum ersten Mal, fremd gegangen war.

      Eigentlich war es von allen Kindern sehr unterschiedlich aufgenommen worden, dass der Großteil des im Lotto gewonnenen Geldes in den Resthof geflossen und nicht zwischen den einzelnen Familienmitgliedern aufgeteilt worden war. Die Wünsche, die bereits kurz nach dem Gewinn, ziemlich nachdrücklich und beinahe unverschämt angemeldet wurden, sprengten zum Teil allerdings jegliche Vorstellungen. Jonas, Annes Sohn, wünschte sich einen Camaro Cabriolet 6,2 l. Sein jetziges Auto, welches Anne seit seiner Arbeitslosigkeit finanzierte, war zwar alt, doch noch völlig in Ordnung. Aber nun, da er wusste, dass seine Mutter offensichtlich nicht nur ihre Rente, sondern sehr viel mehr Geld besaß, wurde er ausverschämt, was Anne jedoch nicht zur Kenntnis nahm.

      Stephan, Lisas Sohn, und seine Frau Cosima wollten ihre Tochter plötzlich in einem Elite-Internat in England ausbilden lassen und Cosima hätte es gern gesehen, wenn sich Lisa großzügig an den Kosten beteiligt hätte. Doch Maren wollte gar nicht nach England, das hatte Lisa in einem vertraulichen Gespräch mit ihrer Enkelin herausgefunden. Außerdem fand sie dieses Vorhaben auch reichlich dekadent. Aber was sollte man von einer, die Cosima hieß, anderes erwarten, dachte Lisa mit einem verächtlichen Lächeln auf den Lippen. Niemand hatte je davon gesprochen, als es noch keinen Lottogewinn gab. Lisa seufzte beim Gedanken an diese ausgefallenen, ja beinahe unverschämten Wünsche.

      Die Freundinnen hofften, dass das Fest trotzdem ohne Probleme ablaufen würde, doch das schien Wunschdenken, da die erwachsenen Kinder fast ausnahmslos nicht zu realisierende Wünsche angemeldet hatten und immer wieder darauf hinwiesen. Schwierigkeiten schienen vorprogrammiert, vermutete Anita, die in diesem Moment froh war, keine Kinder zu haben.

      Bisher gab es kaum Möglichkeiten, dass alle Frauen gemeinsam über ihr Land spazierten oder zum Strand hinunter wanderten. Lieber wollten sie ihr Haus und die jeweiligen Zimmer gemütlich ge­stalten. Nur Ursa hatte bisher ausgedehnte Wanderungen mit Trigger unternommen. Außerdem hatten sie weitere Gästezimmer über den Stallungen von Handwerkern ausbauen lassen und gemütlich hergerichtet, einfach zwar, aber zweckmäßig. Das alles war nun zum großen Teil abgeschlossen. Und heute nun auch die Weihnachtsbäckerei. Der Duft nach Zimt, Kardamon, Vanille und Orangen waberte immer noch lecker durch das Untergeschoss. Und selbst in der breiten Diele hing dieser köstliche Duft in der Luft und verstärkte beim Betreten des Hauses das weihnachtliche Gefühl.