Charles Cubon

Teich-Gelüste


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dran«, fragte Leo. »Ja, ja, gib schon den Kescher her!«, fluchte Mano. »Verdammt dicker Jonny! Pass bloß auf, dass der dir nicht abhaut«, meinte Erni, der gespannt die Szene verfolgte. Der unbändige Fisch dachte nicht daran, so schnell aufzugeben.

      Mehrfach schoss er aus den glitzernden Fluten heraus und zischte ein Stück über die Teichoberfläche. Der schwache Lichtschein des Grills ließ seine rotsilbrigen Rückenflossen aufblitzen wie Sternschnuppen.

      »Das ist ein Hecht. Ich schwöre euch. Gib noch mal ein Stück Leine, bevor sie durchreißt«, schrie Jan ihn aufgebracht an! »Ruhig, mein Junge! Ganz ruhig bleiben, den haben wir bald«, beschwichtigte ihn Leo zuversichtlich. Leo stand schon mit dem Kescher parat und hielt ihn bereit. Im flachen Uferwasser wartete er gespannt, was jetzt passiert. Manos Fisch tobte von neuem los und er hatte sichtliche Mühe den dicken Koloss an der langen Leine zu führen.

      »Na, na, jetzt reicht es aber bald!«, ärgerte er sich. Mano zog noch mal mit einem festen Ruck die Leine an. Singend erklang der surrende Ton, rauschte vibrierend über den Teich, hinüber zum anderen Ufer und verlor sich in den Rohren der Schilfzone. Langsam beruhigte sich der überlange Kampf und die Gegenwehr des Fisches ließ nach. Mano zog ihn sachte in den flachen Uferbereich, wo er jetzt keine Chance mehr hatte, weil Leo ihn sogleich mit dem Kescher einfing, bevor er versuchen konnte, pfeilschnell wegzuschießen hing er im Netz. Mit wilden Flossenschlägen tobte er darin herum, so dass Leo große Mühe hatte, ihn an Land zu bekommen.

      »Klasse, ein dicker Hecht!«, rief Jan blass vor Neid. »Wie viel, wiegt der Bursche Leo?« »Gib mal zuerst den Hammer her, raunte Leo ihm zu.« Erni stand an Jans offener Fischkiste und kramte den schweren Hammer hervor. Schwungvoll warf er ihn zu Leo, der ihn in letzter Sekunde auffangen konnte. Er erhob das gewichtige Werkzeug und schrie lauthals: »Eins, zwei, drei!«

      Mit einem heftigen Schlag haute er zu, so dass dem Fisch die Schädeldecke einbrach. Es knackte und krachte fürchterlich laut. Der Fisch war sofort betäubt und gleichzeitig mausetot. Alle starrten auf das eingeschlagene Loch, aus dem das Blut herausströmte. Leblos lag er in dem Schein des Grillofens und muckste sich nicht mehr. Leo griff sich in gewohnter Weise die Angelschnur und wollte den Hecht hochreißen, doch dazu war er zu schwer. Singend zog sich die dünne Schnur durch seine Hand.

      »Verdammt! Dreißig Pfund schätze ich, hat der Bursche drauf«, vermutete er selbstbewusst.

      »Hey, lass mal sehen, wie lang der ist?«, fragte Huby und beglückwünschte Mano.

      »Komm’, mach mal das neue Fass auf, ich habe einen stechenden Durst.«

      »Verdammt, die Steaks sind gleich angebrannt!«, eilig raste Jan zum Grill und drehte sie um. »Ist gerade noch mal gut gegangen«, rief er beruhigend.

      »Lass schon mal die Kugel roulieren«, forderte Jan Leo auf. Er fummelte die kleine Roulettekugel aus seiner Weste, die über 20 Taschen hatte, und Mano fragte: »Sag mal, was hortest du da alles in deinen Täschchen.«

      »Angelhaken, Gewichte, Posen, Angelschnur, Pfeifen, Tabak, Kondome!«

      »Wozu brauchst du in deinem Alter noch Kondome?«, fragte Erni neugierig mit einem gehässigen Grinsen.

      »Als Tropfenfänger, du Dussel!«, rief Leo freudestrahlend.

      »Wart mal ab, die Erfahrung sammelst du auch noch.« Alle lachten und stießen fröhlich gestimmt an.

      »Achtung, es geht los«, Leo drehte mit seinen riesigen Pranken die Scheibe des Roulettes und ließ die Kugel roulieren. In rasantem Tempo sausten die Zahlen an ihren Augen vorüber.

      »Ich bin gespannt darauf, wer jetzt der Glückliche ist«, rätselte Leo mit fragender Miene. Knatternd rollte die Kugel über die Segmente und hopste im Galopp in die Runde. Alles war still, nur das leise Knistern des Feuers und die Grillen untermalten die Spannung. Endlich beruhigte sich der Schwung und die Roulettescheibe drehte sich gemächlich im Kreis des Feuerscheins. Hops, hops und klick, klack, klick, hüpfte die Kugel über die Zahlenkette.

      Während die Kugel ihre endlosen Kreise drehte, weil Leo sie mit seinen Pranken wie eine abgeschossene Gewehrkugel in Bewegung setzte, dachte Mano über die faszinierenden Erlebnisse von Jans Erzählung nach und überlegte, was Jan doch für ein feines Früchtchen ist. Es gab eine Menge Leute, die fanden, Jan sehe zum Fürchten aus. Mit seinem wuchtigen dunkelhaarigen Schädel, den tief in ihren Höhlen sitzenden dunkelgrauen Augen und einem Schnauzer über den üppigen Lippen, die in beunruhigendem Kontrast zu seiner markanten Hakennase standen.

      Manchmal schien es, als gebe sich Jan auch mit allem, was er plante, die größte Mühe, Furcht, Schrecken und Tränen auszulösen. Einige seiner linken Aktionen jagten den Geschäftspartnern riesige Summen ab, die in seinem feingewebten Firmenund Immobiliengefecht spurlos verschwanden, um nie wieder aufzutauchen. Aber natürlich konnte er auch ganz lieb sein. Wenn er mit seiner kratzigen Stimme über einige seiner Schandtaten berichtete, wie ein unschuldiger kleiner Schuljunge, der eine großartige Leistung vollbracht hat und dafür eine gute Note erhielt, konnte man nicht glauben und begreifen, dass er seine Schachzüge so brutal durchzog. Denn die Anderen waren in seinen Augen zu blöd, sonst hätten sie sich ja gewehrt. Natürlich suchte er sich nur die Schwächeren aus, um sie nach Strich und Faden über den Tisch zu ziehen. Da es dabei immer um viel Geld ging, war Leo auch zur Stelle. Denn Geld wurde immer benötigt, um irgendwo Löcher zu stopfen, die in Jans undurchsichtigem Firmengeflecht entstanden. Sie waren oft so groß, dass er wie eine Spinne im Netz emsig damit beschäftigt war, sie schnell zu flicken. Doch die eiskalte Gier, mit der er sein Geld schnell wieder aus dem Fenster warf, zwang ihn, beständig nach dem nächsten Beutestück Ausschau zu halten, das sich in einer seiner dicht aneinander gereihten Netzfallen verfing. Er hockte auf den oft seidenen Fäden, die zu zerreißen drohten und lauerte auf den nächsten Blödmann, um ihn geschickt zu umgarnen und dann so schnell zuzuschlagen, dass der den tödlichen Biss überhaupt nicht bemerkte bis es zu spät war, sich zu wehren.

      Mano kannte ihn in und auswendig. Jan de Miesrè stammte von Hugenotten ab. Vor 300 Jahren entkamen seine Vorfahren der Verfolgung durch die katholische Kirche und wanderten von Frankreich nach Ostpreußen aus. Kurz vor Beendigung des Krieges mussten sie von dort flüchten und kamen in einer der vielen kleinen Elbgemeinden unter. Mano fragte sich, was genau dieses Schlitzohr schon in dem jungen Alter mit dem Schuldenbuch und seiner Erpressung vor hatte. Er schaute in die Runde und meinte: »Was hattest du mit dem Schuldenbuch geplant?«

      Jan strahlte aus seiner Visage und sagte: »Wart’s ab! Die Drehzahl verringerte sich, die ersten Farbfelder wurden sichtbar. Langsam zog die Scheibe ihre Kreise, bis sie anhielt und die Kugel genau vor Ernis Nase stehen blieb. Nachdenklich erhob er sich von seinem Sitz, zog das Manuskript unter seinem Hintern hervor und meinte: »Diese Story ist so eiskalt und brutal, dass ich sie schon mal gebührend angewärmt habe. Außerdem hat das Manuskript schon die ganze Welt gesehen. Immer wenn ich im Flieger saß, habe ich daran gearbeitet. Ich musste lange überlegen, wie ich die Geschichte benenne, weil sie so unterschiedlich und facettenreich ist. Aber bei der Vorspeise des Orientelhotels in Hongkong, es gab Lachsröllchen und der Kellner fragte mich in seinem gebrochenen Deutsch, wobei er das »R« immer als »L« aussprach: »Hell Elnie, leckele Lachslöllchen vielvelsplechend, schmeckt sehl gut«, da kam ich drauf, ich bedankte mich bei ihm mit einer Zehn-US-Dollar-Note. Der Titel ist: »Immer wenn der Lachs ruft!«

      Immer, wenn der Lachs ruft!

      »Achtung Männer!«, bellte der kleine Offizier in seiner aufbrausenden Art: »Und hier ist die letzte Karte, sie ist für unseren extra kleinen Bananen-Erni!« Dabei wedelte er mit der Karte herum, zog eine Visage, die zum reinschlagen war und ihm platzte ein widerliches: »Hoo, hooo!«, heraus. Er erwartete jetzt, dass die ganze Kompanie, an der er immer aufblicken musste, in ein brüllendes Gelächter verfiel, bis er laut kläffte: »Ganze Kompanie Schnauze und wegtreten!«

      Nach kurzer Zeitverzögerung geschah auch, was er verlangte. Wie in einem Knabenchor lachte die bunt zusammen gewürfelte Truppe, aber dieses mal in allen nur erdenklichen Tonlagen, so irre komisch, worauf Erni einen Lachanfall erlitt, aus dem er sich kaum zu beruhigen wusste, als er diesen Comicgesang hörte.