Tropfen aus dem Kolben auf seine Handfläche. Nichts geschah. Hier also schien alles mit rechten Dingen zuzugehen.
So ritten sie in den nächsten Stunden noch drei weitere Giftblenden ab. Alle drei waren sauber. Wäre in dieser Gegend Gift ausgebracht worden, hätte die Flüssigkeit wie Säure reagiert. Dogan hatte ihnen das früher einmal an einem Gefangenen demonstriert. Es war kein schönes Schauspiel gewesen. Denn diese Kolben verwandelten das Wasser in Säure, wenn mit Gift versetzter Sauerstoff durch die dünnen Röhrchen in Kontakt mit dem Wasser kam. Hier schien alles in Ordnung zu sein. Doch Dogan brummte nur, anstatt etwas zu sagen. Viktor lächelte. Dogan war genervt von seiner stummen Anwesenheit. Ihm war deutlich anzusehen, dass er auf das wartete, was Viktor ihm zu sagen hatte. Irgendwann riss ihm der Geduldsfaden. »MACH SCHON!«, forderte er »SAG SCHON WAS DU ZU SAGEN HAST!«
»Dogan, wenn du deine Wahl tatsächlich getroffen hast, dann musst du mit der Frau reden!«
»Warum?«
Die Gegenfrage kam so schnell, dass Viktor einen Moment lang perplex war »Weil du ... weil sie ...« Der Blick den Viktor sich mit seinem Gestammel einfing, war dunkel.
»Dogan!«, mahnte er ihn trotzdem »Du hast nachgegeben! Du hast gewählt. Nun musst du überlegen, wie sehr du die Kleine wirklich quälen willst! Rede mit ihr! Finde heraus, ob es nicht doch einen Weg gibt, sie ...«
»... am Leben zu lassen?«, vollendete Dogan den Satz voller Sarkasmus.
»JA VERDAMMT! Genau das! Du wirst sie gefälligst am Leben lassen! Und nicht nur das! Du wirst auch irgendetwas Ähnliches wie eine Beziehung zu ihr aufbauen müssen! Zu ihr und dem Kind das sie trägt, bevor sie deines empfängt!«
Der Schlag war heimtückisch und Dogan steckte ihn mit einem Fluch ein. Viktor sah sein in Gesicht und wusste, dass er nicht nachlassen durfte! Dogan musste annehmen, wozu er sich verpflichtet hatte »Hör auf dich zu wehren! Du hast sie gewählt, jetzt bring es anständig zu Ende!«
Der Blick den Dogan Viktor zuwarf, hatte etwas von dem sorgenvollen Blick eines kleinen Jungen. Viktor fühlte eine tiefe Verbundenheit zu dem großen Mann »Und? Was denkst du sollte ich tun?« fragte Dogan leise. Erleichtert erkannte Viktor, dass Dogan bereit war, ihm wenigstens zuzuhören.
»Rede mit ihr!«
»Über was?«
»Über das was sie erwartet ...« Bei Dogans plötzlich belustigtem Blick hielt er inne »Na ja, vielleicht hast du recht ...« lenkte er ein »vielleicht ist das nicht wirklich das, womit du anfangen solltest!«
Dogans Lachen hörte sich hilflos an, doch trotzdem forderte er ihn heraus »Gut Mann, dann rede ich mit ihr vielleicht über die blauen Monde und den Grund warum mir nach diesen Nächten keiner vor euch in die Augen schauen kann? Was meinst du? Ist das der richtige Einstieg, um sie auf mich vorzubereiten?«
Am liebsten hätte er Viktor eine verpasst.
Viktor ersparte es sich, auf Dogans sarkastischen Tonfall einzusteigen. Er ließ seinen Sarkasmus und seine Wut über sich hinwegziehen und sagte sanft »Sie ist bereit dich zu sehen! Verstehst du? Kannst du das nicht ebenfalls tun? Ist es so schwer, diese Frau zu sehen?«
Dogan wandte den Blick ab. Sein Gesicht lag im Dunkeln und endlich brummte er leise »Sie sieht nicht mich! Du weißt das! Sie sieht meine Stellung hier, sie erhofft sich Schutz! Und sie hat keine Ahnung, wie dumm das ist!«
»Wie sollte sie auch? Du sprichst nicht mit ihr! Niemand erklärt ihr etwas. Wir alle drucksen herum, wenn sie sich endlich mal traut, eine Frage zu stellen! Es wäre nicht mehr als fair ihr eine Tür zu öffnen!«
»Und? Wenn sie dann erkennt, dass sie einen schlimmen Fehler gemacht hat? Was dann? Denkst du, Farq wird sie von der Leine lassen?«
»Dann wäre es gut, wenn du eine Beziehung zu ihr aufgebaut hättest! Dann wäre es gut, wenn dir etwas an ihr läge, denn nur das würde sie vor dem Schlimmsten schützen!«
Dogan blieb stumm, doch sein Gesicht war so dunkel, dass es Viktor Angst und Bange wurde. Wie weit durfte er noch gehen? Er wusste es nicht. Doch er war es seinem Freund schuldig, nicht vorschnell aufzugeben.
»Versteh doch Dogan! Du willst sie nicht schänden, willst sie nicht verletzen! Doch genau das wird passieren, wenn du ihr nicht näherkommst! Nur das was sich da drin ...« Er zeigte auf Dogans Brust »... für sie verwendet, wird dich davon abhalten sie zu zerstören!«
Dogan erstarrte. In diesem Moment fühlte er wie ein Fremder. Viktor war immer derjenige, der am meisten über ihn zu ahnen schien. Doch mit diesen Worten hatte er offenbart, dass er rein gar nichts über ihn wusste und das er ihm nicht näher stand als einer der anderen. Dogan schloss die Augen und versuchte den unerwarteten Schmerz über diese Erkenntnis wegzuatmen. Denn Viktor spielte auf ein Herz in seiner Brust an. Ein Herz, das sich für Mira verwenden würde. Doch in Dogan gab es kein mitleidiges Herz. In Dogan gab es nur Odile! Und Odile wartete nur darauf, Mira zu zerstören.
Dann schlug er die Augen auf und lächelte Viktor an »Was schlägst du vor, was ich tun soll?«
4 Lieber ein Druckmittel als tot
Sian nutzte die neu gewonnene Freiheit. Viktor hatte Anweisung gegeben sie nicht mehr einzuschließen. Das erlaubte ihr, sich auf dem Berg frei zu bewegen. Also streckte sie vorsichtig ihre Fühler aus. Zuerst war sie über den Berghof geschlendert und arbeitete sich von Gebäude zu Gebäude. Überall begegnete man ihr freundlich. Auf ihre Fragen gab man ihr Antwort. Als sie jedoch durch das Tor den Berghof verlassen wollte, trat ihr einer der jüngeren Krieger in den Weg. Er schüttelte wortlos den Kopf und mit einem Schulterzucken zog sie sich zurück. Insgeheim fragte sie sich, wo Ben war, doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit auf zwei Reiter gelenkt, die sich auf den Berg zubewegten.
Unschwer erkannte sie Dogan und Viktor. Sie beobachtete, wie die Männer durch das Tor ritten. Dogan wirkte mürrisch, Viktors Ausdruck wirkte besorgt. Bevor sie sich trennten, wechselten sie einen Blick. Dann schaute Dogan sich suchend um. Eine laute Stille lag plötzlich über dem Berghof.
Keeza, die Frau des Haushofmeisters, hatte Mira unter ihre Fittiche genommen und sie aus ihrem Zimmer gelockt. Als sie Dogans Blick bemerkte, hielt sie inne. Ihr alarmierter Gesichtsausdruck verschreckte Mira.
Als er auf die Frauen zuritt, tat er, wozu Viktor ihn aufgefordert hatte: Er sah sie an! »Verdammt!« dachte er angewidert »VERDAMMTE SCHEISSE!« Seine Silhouette ragte schließlich drohend über ihr auf. Sie wagte kaum, den Blick zu ihm zu heben.
»Wir sollen reden!« brummte er und ab diesem Moment war sie nicht mehr in der Lage ihm zu antworten. Alles, was sie fertig brachte, war ein stummes Nicken. Ohne ein weiteres Wort beugte sich zu ihr herab und griff mit beiden Händen nach ihr. Bevor sie auch nur reagieren konnte, hatte er sie vor sich auf das Pferd gezogen und so positioniert, dass die schnappenden Kiefer des Hengstes sie nicht erreichten.
Stille breitete sich auf dem Berg aus. Dogan wusste, dass sich jedes verdammte Augenpaar auf sie richtete. Er hasste den Gedanken daran! Sie sollten alle zum Teufel gehen! Er wendete seinen Hengst, und in der Mitte des Hofes drehte sich das Tier sich einmal um sich selbst. Mira schrak zusammen, als er brüllte »Habt ihr nichts zu tun?«
Sofort brach rege Geschäftigkeit aus. Jeder bemühte sich, den Blick abzuwenden, und niemand schaute ihnen noch offen hinterher. Dogan spukte aus, als er durch das Tor ritt. Es kostete ihn Mühe, seine Wut zu verstecken. Und diese Wut übertrug sich auf den Hengst. Es kam nicht oft vor, dass Dogan ihm einen zweiten Reiter zumutete. Das Tier hasste Berührungen von Fremden und konnte den Impuls zu bocken kaum verhehlen. Ruppig tänzelte er unter seinen Reitern. Die heftigen Bewegungen führten dazu, dass Dogan Mira fester halten musste, und das wiederum heizte seine Wut noch weiter an.
»So eine verdammte ...«, schimpfte er leise und bei seinen Worten zuckte sie erneut zusammen. Ihre Nervosität gab dem Hengst den Rest und er brach seitlich aus. Dogan musste fest zugreifen um zu verhindern, dass sie herunterrutschte. Er fluchte wieder, diesmal laut, und dann war da dieses Flattern