Karin Pfeiffer

Draggheda - Resignation


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Er sackte auf die Knie und fiel um. Er fühlte sich schwer und unendlich müde. Das Sonnenlicht brach sich seinen Weg durch das dichte Blätterdach und blendete ihn. Langsam schloss er die Augen und als er die Helligkeit des sonnigen Tages ausschloss, fühlte er die Kälte seiner eigenen Dunkelheit. Sofort mahnte ihn sein Instinkt! Sofort wollte sein Verstand ihn warnen, doch dann berührte ihn etwas, das ihn zum Lächeln brachte: Denn da waren sie, die Schlangen an seiner Seite. Sie waren an seinen Händen, glitten über seinen Körper. Ein glatter Leib schmiegte sich um seinen Hals und er hob den Kopf, um der Schlange den Würgegriff zu ermöglichen. Sofort wurde er ruhiger. Sie würden wachen. Sie würden nicht zulassen, dass die Dunkelheit ihn übernahm. Jetzt konnte er schlafen. Auch unter ihrer Wache durfte er keinen tiefen Schlaf riskieren, doch die Tiere schenkten ihm wenigstens eine kurze Pause.

      Falls die Tür in ihm sich öffnete, so waren die Schlangen in der Lage es zu erkennen. Sie würden handeln. Er würde die Welt nicht durch Odiles Augen sehen müssen, solange die Schlangen auf seiner Seite waren.

      Endlich schlief der große Mann ein. Sein Atem wurde ruhiger. Seine Hände waren nicht angespannt, seine Finger nicht verkrampft. Die Schlangen wanden sich um seinen Kopf wie seine Zöpfe. Immer wieder glitten sie an den Seiten seines Schädels entlang. Die Schlange, die sich um seinen Hals geschlungen hatte, schien mit ihm zu schlafen. Sie rührte sich nicht. Ihr Kopf ruhte an seinem rechten Schlüsselbein, ihr Körper bewegte sich im Einklang mit seiner Atmung. Ihre Augen waren geschlossen wie die Seinen.

      Innerhalb von Sekunden schaltete sich sein Verstand ab. Nun hielt sein Instinkt die Stellung und sandte ihm Bilder von Dingen die er getan hatte. Schlimme Dinge, schwarze Dinge. Dinge die getan werden mussten. Dinge, die nur er tun konnte. Es waren Erinnerung, die ihn nicht beschwerten. Hier und jetzt war er einfach der Schlächter. Hier und jetzt waren seine Schlangen um ihn und niemand anderes. Sie wussten, wer er war. Sie wussten, was er getan hatte, und vor ihnen musste er sich nicht verbergen.

      Sie waren um ihn in der dunkelsten Zeit seines Lebens und von ihnen beschützt ruhte er. So konnte er all die Erinnerungen an sich vorbei ziehen lassen. Tief in seinem Inneren hörte er das Toben und Rütteln an dieser verdammten Tür, doch noch hielt sie.

      Seine Gedanken wandten sich der Pratze zu. Tamille zu foltern hatte ihm gutgetan. Schon als er die Toten nach der Schlacht mit Luther gesehen hatte, war ihr Tod beschlossene Sache. Diese Toten waren seine Männer und sie waren gestorben, weil er Tamille genau einmal zu viel vertraut hatte. Dafür gab es keine Entschuldigung. Nicht für sie aber auch nicht für ihn. Und ab diesem Augenblick war sie für ihn bereits tot. Als sie dann im Berghof stand, war er versucht gewesen es auf der Stelle und unter den Augen seiner Männer zu tun. Doch er hatte den Blick der fremden Frau in seinem Rücken gefühlt und den seiner Männer. Und das war es, was ihn zurückhielt. Nicht aus Vorsicht oder Rücksicht Mira gegenüber. Nein, sie bedeutete nicht genug, um ihretwegen Umstände zu machen. Nein, es war dabei nicht um Mira gegangen. Es war das zaghafte Lächeln der Pratze gewesen, das ihm Übelkeit verursachte. Er wollte sie leiden lassen! Hier in der Helligkeit würde es zu schnell zu Ende sein. Vor all seinen Leuten konnte er sie nicht in der Gestalt töten, die sie sich verdient hatte. Und so hatte er zugelassen, dass sie sich ein weiteres Mal Zeit erkaufte. Und wie immer hatte er für die Information bezahlt. Wie immer hatte er ihr gegeben, was sie begehrte. Doch danach war er ihr nichts mehr schuldig. Er hatte bezahlt - und sie hatte geliefert. Die Information hatte gestimmt und er hatte den Söldner erhalten.

      Als er ihr in der Hütte der Söldner den Befehl gab im Berg auf ihn zu warten, folgte sie ihm. Sie folgte ihm selbst dann noch, als er sie diesmal nicht in das verdammte Pechgewölbe führte, sondern in seinen Kerker.

      Schweigend war sie vor ihm die Stufen herabgestiegen. Als er vor dem Kerker stehenblieb, war sie schon einige Stufen weiter gegangen. Sie hatte innegehalten, als sie bemerkte, dass er ihr nicht folgte. Für einen Moment zögerte sie, ihre Blicke trafen einander und sie verstand. Tamille betrat den Kerker mit hoch erhobenem Kopf. Zum ersten Mal fiel ihm die Erscheinung auf, in die sie für ihn schlüpfte. Es war die Gestalt der Frau, die er getötet hatte, als Raan ihm befahl ihr beizuwohnen. Die Erinnerung daran verursachte eine Reaktion tief in seinem Unterleib. Wortlos wartete sie, bis er ihr eine Zelle öffnete. Immer noch schweigend betrat sie sie und wieder wechselten sie einen Blick. Er lächelte, als er die Gier darin bemerkte. Wenigstens bei diesem letzten Mal begegneten sie einander mit demselben Anspruch.

      Sie hatte das Lächeln erwidert, dann nahm sie Platz und wartete auf ihren Tod.

      Als er sich über sie hermachte, sah ihnen niemand zu. Man hörte ihre Qual, doch niemand würde es wagen ihn zu stören und so starb sie, während er sich in der Gestalt befand, vor der er am meisten Abscheu empfand. Sie litt, während sie ihre eigenen Spuren an seinem Körper fand. Das war ein letztes Geschenk, das er ihr machte und sie hatte es sich wahrlich verdient.

      Wann immer sie ihm Informationen gebracht hatte, bestand seine Bezahlung für sie darin, sich von ihr vergiften zu lassen. Wann immer sie kam starb er. Doch immer starb er in seiner wahren Gestalt. Und immer wieder stand er auf. Gezeichnet, verbrannt, vergiftet, fast wahnsinnig vor Schmerz. Doch er stand auf, weil Wesen wie er nicht einfach sterben konnten! Und sie jubelte, denn sie wusste, so lange er sie am leben ließ, würde sie jederzeit wieder das mächtigste Wesen dieser Welt bezwingen.

      Jedes Mal, wenn sie ihm Informationen brachte, zog er sich für sie aus. Jedes Mal beobachtete sie voller Gier, wie er seine menschliche Hülle abstreifte. Wie aus dem mächtigen Mann das Geschöpf wurde, das er so sehr verabscheute. Und jedes Mal stieg sie über ihn, besudelte ihn mit ihrem Gift. Fühlte seine Schmerzen, seine Pein und seinen Hass.

      Tamille hatte immer gewusst, dass sie irgendwann dafür mit ihrem Leben bezahlen würde, doch das war es ihr wert. Lange schon lebte sie in seinem Schatten. Sie war dabei, als Raan ihn zu seiner ersten Frau sandte. Sie war dabei, als er sich verlor und sie hatte verfolgen können, wie Odile das Ruder übernahm. Sie war die Einzige, die bis dahin gesehen hatte, was ihm entstieg und seit diesem Tag war er mehr als das Biest, dem sie als Spitzel diente. Wann immer sie ihre Bezahlung einforderte, war es diese Szene, die sie vor Augen hatte und ihre Enttäuschung war groß, weil er niemals auf die Gestalt der Frau reagierte. Doch dieses Lächeln heute, dieses Erkennen und seine Reaktion darauf brachte sie dazu, sich mit Genuss unter ihm zu winden.

      Als die Pratze starb, war sie irrsinnig vor Schmerz und wahnsinnig vor Glück: Sie war die Letzte, die ihn jemals so gesehen hatte! Sie war die EINZIGE!

      Im Schlaf lächelte Dogan. Er atmete ruhig und die Schlangen bemerkten, wie er sich erholte. Sie entspannten sich mit ihm. Für eine Zeitlang, wenige Minuten nur, schien Dogan Ruhe zu finden. Langsam glitt er tiefer in den Schlaf, seine Atmung wurde schwerer, der Instinkt driftete ab. So schrillten die Alarmglocken fern und ungehört, als eine Stimme anfing, leise zu flüstern »... wenn der Wind weht, wippen Miras Locken. Wie Federn fühlten sie sich an, als sie vor dir auf dem Pferd saß ... erinnerst du dich an den Geruch ihrer Locken?«

      Die Stimme kam tief aus seinem Inneren und sie seufzte »Wie Gold schimmerten sie in der Sonne - blond wie die Deinen. Würden sie sich vermischen, dann wäre das ein schönes Bild. Wie die Löckchen sich um deine Zöpfe schlingen ...«

      Nun summte die Stimme eine liebliche Melodie. Ganz leise in seinem Kopf, unter seinem Verstand tauchte sie hindurch. Nur der Hauch von Worten, kaum hörbar, nicht mehr als eine Ahnung. Begleitet wurden sie vom Geruch der schwangeren Frau. Leicht, kaum wahrnehmbar.

       Seine Lider flatterten »Wie es sich wohl anfühlen würde diese schmalen Schultern zu halten, mit dem Finger über diesen Hals zu fahren, ihren Puls zu fühlen ...«, wisperte die Stimme »Ach, wie es sich wohl anfühlen würde ...«

      Die Schlangen wurden unruhig. Und geborgen in seiner eigenen Boshaftigkeit gab Dogan der Stimme aus der Dunkelheit die Antwort »... es würde sich gut anfühlen, dieser Kehle die Luft nehmen!« flüsterte er. »Es wäre großartig diese blauen Augen voller Angst erlöschen zu sehen und die Lippen zu betrachten die nach Luft schnappen. Und wenn sie tot wäre, würden ihre Locken wippen während der Wind über ihre Leiche weht. Und du und ich, wir beide würden dem Herzschlag des ungeborenen Kindes lauschen ... so lange bis er aussetzt. So lange, bis auch das Kind in ihr ausgelöscht