Reena Hera

Vollweib


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Salzwasser. Vorsichtig nahm ich einen Schluck Wasser aus einer der Flaschen, die der Notfallkoffer enthielt.

      »Wie lange konnte ich mit meinem geringen Wasservorrat wohl überleben«?

      Ich hatte vor Jahren in der Zeitung gelesen, dass ein 20-jähriger Bursche in Vorarlberg eine Woche ohne Wasser überlebt hatte. Er trank, nachdem man ihn in einem dunklen Kellerloch vergessen hatte, immer nur seinen frischen, warmen Urin, immer wieder dasselbe Nass. Rundumlauf nennt man so etwas dann wohl. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie das hier in meinem Fall möglich sein sollte. Ich hatte ja keinen Schwanz, mit dem ich leichter in eine Flasche pinkeln hätte können. Als Frau wird es wohl etwas schwierig werden, an meinen Urin heranzukommen, so im Meer schwimmend. Ich wollte jede Stunde einen kleinen Schluck vom Wasser nehmen. »Hoffe, die Menge reicht zum Überleben,« machte ich mir Mut.

      Mut, eine Eigenschaft, die ich mir aufgrund der Zugehörigkeit zu meiner Burschenclique, meinem Rudel, trotz der stark übertriebenen Fürsorge meiner Mutter, angeeignet hatte.

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      Ich habe alles in meiner verspäteten Sturm und Drang Periode nachgeholt. Die Abenteuer mit Pickel und Steigeisen an den 45 bis 65 Grad steilen Eisflanken der Alpen, beim Extremskifahren im Tiefschnee in Steilrinnen, die Weltreisen mit dem Rucksack als Tramperin, die Weltumsegelung. Wovor immer meine Mutter ihr Mädchen fernhalten wollte, wurde spät aber doch von mir sehr intensiv, ja sogar exzessiv ausgelebt. Auch – und besonders – die bis dato nicht vorhandenen sexuellen Erfahrungen. Vorerst war da aber noch eine Hürde, sprich meine Mutter, zu überwinden, oder sollte ich sagen … Kerkermauern niederzureißen. Selbst eine deutsche Tante, die sich bei mir beliebt machte, indem sie meiner Großmutter, Mutter und den prüden Tanten gegenüber nachfolgenden Aufschrei tätigte, war nicht in der Lage, diese Hürde zu überwinden.

      »Ihr könnt zwar Kinder wie am Fließband produzieren, aber mein 10-jähriger Sohn weiß mehr über Sex und Liebe als ihr!«

      Und wie ich mir da das Lachen verkneifen musste. Ich zählte inzwischen sogar 20 Jahre, hatte unzählige Schwänze in der Hand gehabt und gewichst, war aber immer noch Jungfrau. Nach einer Ski-und Hüttentour mit Glühwein und Jägertee, glaubte diese Tante, meine Zurückhaltung soweit zu Fall gebracht zu haben, dass ein hübscher Kollege von ihr den Part einer männlichen Kurtisane bei mir übernehmen konnte. Genauer genommen war es ein Freund ihrer Tochter aus Deutschland.

      War das kalt gewesen, an diesem Skitag in den Grailtaler Bergen. Mehr als Minus 25 Grad hatten wir gemessen. Das verlangte nach Hüttenzauber, offenem Feuer im Kamin, und im Kachelofen wohlige Wärme. Auch in unseren Bäuchen sollte es wohlig warm werden. Wir hatten Jägertee sowie einige Gläser Glühwein getrunken, und die Stimmung war entsprechend ausgelassen.

      Durch den Alkohol enthemmt, erfreute ich mich über den Zuspruch meiner Eroberung. Die Mutter war im Tal geblieben und damit weit vom Tatort entfernt. Tante und Cousine hatten mit ihrem Begleiter, meinem Verführer, geplant, dass dieser mich zuerst mit der Hüttenromantik locker machen und dann später im Hotel ohne viele Umschweife vernaschen sollte. Alles lief vorerst nach Plan. Obwohl als hervorragende Skifahrerin bekannt, hätte ich mich zuerst beinahe noch selbst außer Gefecht gesetzt. Ich war, wohl aufgrund des ungewohnten Alkoholkonsums, zu Sturz gekommen. Dabei fiel ich genau mit meinem Hinterteil zwischen After und Muschi auf einen abgebrochenen Haselnussstock. Einige Millimeter weiter vorne gelandet, wäre ich wohl von dem Stock aufgespießt worden, brutal entjungfert und womöglich dabei verblutet. Ich hatte schon immer, was solche Unfälle betraf, ein unwahrscheinliches Glück. Auf diese Art sollte es nun doch nicht passieren.

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      Dieser Gedanke ließ irgendwie Hoffnung in mir aufkeimen, so im Meer treibend. Wer immer da im Universum die Fäden zieht, die müssen noch etwas Besonderes mit mir vorhaben, so oft wie ich dem Teufel schon von der Schaufel springen durfte.

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      Mein Casanova und ich kamen damals irgendwie unten im Ort an und erwischten gerade noch den Zug – leider in die falsche Richtung. Wollte mir auch noch mein Unterbewusstsein einen Streich spielen? Nach einer langen Odyssee erreichten wir schließlich das Hotel meiner vermeintlichen Eroberung. Meine Tante lag schon im Bett, sturzbetrunken und wurde von meiner Mutter mit Fragen nach ihrer verschollenen Tochter gequält. Sie bekam nur Gekicher und Lachen als Antwort.

       »Heut Nacht passiert’s, heut Nacht passiert’s,« und weiter »Bumsen, mausen, Ohrensausen! Hahahaha, hihihihhihi, die wird heut Nacht vernascht, die wird gebumst, da wird gelacht!«

      Etwas Schlimmeres, ja Grauenvolleres hätte man meiner Mutter nicht sagen können. Ich hatte mich inzwischen mit meinem männlichen Begleiter in das Zimmer meiner Cousine geschlichen. Ja, geschlichen, wollte ich doch unter keinen Umständen mit dem Racheengel zusammen treffen. Nicht mit Aussicht auf eine erotische Lehrstunde. Ich war soweit – meine Mutter offensichtlich auch!

      Wie eine Furie war sie durch das ganze Hotel gefegt, auf der Suche nach ihrer verlorenen Tochter. Ich glaube nicht, dass ich die Episode noch näher erläutern muss. Um zu verhindern, dass meine Mutter an alle Hotelzimmer klopft, mussten wir aus dem Hotel zu einer wohlgesonnenen Verwandten flüchten. In das Hotel getraue ich mich bis heute nicht mehr zu gehen.

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      Ich war dann zu meinem Glück mit etwa 22 Jahren Skilehrerin, wie so viele Studentinnen in den Wintermonaten. Da ich das Geld brauchte, und damit mein Studium großteils selbst finanzieren konnte, hatte meine Mutter ausnahmsweise nichts dagegen. Sie war sich der Gefahr, die dieser Ferienjob auch für Mädchen mit sich brachte, offensichtlich nicht bewusst. Gott, was hätte ich mich damals von Männern und sogar Frauen „schnackseln“ lassen können.

      Die Touristen wollten vor allem ihren Spaß. Ich jedoch nahm das Unterrichten sehr ernst. Unzählige wilde Draufgänger bissen sich an meiner Unschuld die Zähne aus. Da waren auch viele verheiratete Männer mit Familie darunter, die mich am liebsten noch auf der Tanzfläche vernascht hätten. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Erst nach einer sehr ernsten Verwarnung meines Skischulleiters wachte ich notgedrungen auf.

       »Rebecca, so leid es mir tut, ich muss auf deine Dienste verzichten.«

      Ich war am Boden zerstört, hatte ich mir doch so viel Mühe gegeben.

       »Deine jungen Männer wollen mehr Spaß.«

      »Ach soooo? Ich denke die wollen Schifahren lernen?«

      Der Skischulleiter schaut mich an und schüttelt ungläubig seinen Kopf!

       »Und dem Rest der Touristen sollst du das Schifahren nicht so schnell, und besonders nicht so gut beibringen, wir wollen die auch noch das nächste Jahr und die Jahre darauf als Kunden haben!«

      Das hat man davon, wenn man zu seriös ist. Erst mit Mark bin ich so richtig aufgewacht, nachdem ich auf Anraten meines Schischulleiters einige Wochen dem Treiben auf der Piste und beim Après Ski zugeschaut hatte. Sozusagen als unbeteiligter Zaungast. Besonders das aprés nach dem Aprés Ski war für mich ein ausgesprochen interessantes Neuland.

      Mark war ein großer, sportlicher, sehr hübscher Adonis, lustig und eine Frohnatur. Er war der Beste meiner Gruppe, fiel aber trotzdem als Schlusslicht der Gruppe andauernd hin und fabrizierte einen Sturz nach dem anderen. Bis ich mir nach Tagen die Frage erlaubte:

       »Mark, ich weiß, du bist der Beste in meiner Gruppe und trotzdem liegst du immer im Schnee?«

      Er stellte sich dabei so ausgesprochen dumm an, dass ich ihm, um den Rest der Gruppe nicht warten zu lassen, letztendlich sogar immer aufhelfen musste.

      »Du verstehst auch gar nichts!«, war seine Antwort und dabei schaut er mir mit feurigem Blick tief in die Augen.

      »Was soll ich verstehen? Und was denkt sich deine Freundin, wenn du dauernd in meinen Armen liegst?« Beim Aufstehen fiel er mir nämlich immer gleich wieder mit viel Schwung in die Arme.

      Er schüttelte den Kopf über so viel Naivität und ließ sich gleich wieder in den Schnee fallen. »Ich will dich, du naive Berghexe!«, war seine Antwort.