(schwarz, dunkel, finster) abgeleitet wurde, und brachten damit den Diebstahl mit einer nächtlichen, heimlichen Begehungsweise in Verbindung, während der Raub durch Gewalt definiert sei.[29] Insbesondere die „Glossa ordinaria schafft[e] […] die Grundlage späterer Lehren: Der Raub wird durch das Merkmal der Gewalt charakterisiert“[30]. Daher sei er auch als „das schwerere Delikt und strenger zu bestrafen, nicht weil es offen, sondern weil es mit Gewalt geschieht.“[31] Somit hat sich im römischen Recht eine Verselbstständigung des Raubes gegenüber dem Diebstahl wohl nicht vollzogen, sondern wurde erst im Nachhinein durch die Glossatoren angestrebt, wo eine „Gegenüberstellung von heimlicher Wegnahme bei furtum und gewaltsamem Vorgehen bei rapina“ erfolgte.[32]
1. Überblick
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Von besonderem Interesse gerade aus deutscher Sicht ist die Rechtsentwicklung ab der germanisch-fränkischen Zeit. Erst mit dem 3. Jahrhundert n.Chr., mit der Völkerwanderung, treten die germanischen Stämme nachhaltig in die abendländische Geschichte ein.[33] Erkenntnisse über das Rechtsverständnis der Germanen[34] lassen sich insbesondere aus deren Rechtsaufzeichnungen, den seit dem 6. Jahrhundert aufgezeichneten germanischen Stammesrechten (leges barbarorum), gewinnen.[35]
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Das germanische Stammesrecht ist hierbei wesentlich durch die Begriffe der Fehde und der Versühnung sowie der Sippe als der grundlegenden rechtlichen sowie sozialen Einheit zu charakterisieren.[36] Verwirklichte ein Germane gegenüber einem anderen freien Germanen ein Delikt, war dies eine Kränkung der gesamten Sippe des Opfers.[37]Auf diese Verletzung der Sippenehre wurde mit der sog. Fehde reagiert,[38] die ihrerseits eine „offene Kampfansage an die Sippe [!] des Täters“[39] darstellte und der Art nach auch Raubhandlungen miteinschließen konnte.[40] Da die Verteidigung der Ehre zumeist einen größeren Personenkreis betraf und den Widerstand der Fehdegegner hervorrief, konnten Fehdehandlungen über eine lange Dauer hinweg fortgeführt werden, was nicht selten in regelrechten Fehdekriegen mündete.[41] Aus diesem Grund bestand ein großes Interesse an der alternativ zur Fehde möglichen Versühnung: Mit einer Vereinbarung von Ausgleichszahlungen konnten bestehende Fehden beendet werden bzw. auf diese verzichtet werden.[42] Hierfür wurde in den germanischen Stammesrechten ein Kompositionensystem (von lat. compositio) festgelegt, welches für Vermögensbeeinträchtigungen, Verletzungen und Tötung Bußsätze vorsah, deren Höhe für die Opferseite einen ehrmäßig akzeptablen Richtwert darstellen sollten.[43] Auch das Delikt des Raubes findet sich in den Bußkatalogen, etwa im Edictum Rothari, einer Gesetzessammlung des Langobardenkönigs Rothari von 643. Hierbei ist etwa für den Straßenraub eine Buße von 20 solidi (1 solidus = 1 Schilling)[44] vorgesehen, im Falle eines Blutraubes bzw. Raubmords ist neben dem Wergeld eine Buße von 80 solidi zu zahlen[45], eine immens hohe Summe, vergleicht man diesen Betrag mit dem Bußsatz der fränkischen Königsbannbuße (60 solidi)[46].
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Neben den germanischen Rechtsbüchern,[47] sind die seit dem 13. Jahrhundert entstandenen Rechtsbücher[48] eine zentrale Quelle für die Beschäftigung mit dem germanischen bzw. germanisch-deutschen Recht. Durch das Aufkommen der Städte seit dem 12. Jahrhundert entstanden zahlreiche Rechtssammlungen in Form von Stadtrechten, in die auch das örtliche Gewohnheitsrecht einfloss. „Zum Kernbestand der Stadtrechte […] gehören von Anfang an auch strafrechtliche Regelungen, die den Stadtfrieden sichern.“[49] Mit dem Aufkommen dieser neuen Rechtsquellen ging das Bedürfnis nach der Aufzeichnung des Rechts einher. Bei diesen Aufzeichnungen handelt es sich jedoch keineswegs um staatlich angeordnete Kodifikationen, sondern vielmehr um private Rechtssammlungen, sog. „Rechtsbücher“[50] oder „Rechtsspiegel“[51]. Größte Bedeutung kommt hierbei dem sog. Sachsenspiegel, der zwischen 1220 und 1235 von dem sächsischen Adligen Eike von Repgow aufgezeichnet wurde,[52] sowie dem später zusammengestellten Schwabenspiegel (ca. 1275) zu.
2. Die Verklärung des „germanischen Rechts“ im 19. Jahrhundert
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Wie oben bereits ausgeführt (Rn. 3), stellt sich bei der Beschäftigung mit der geschichtlichen Entwicklung des Raubes insbesondere die Frage nach einer sich nach und nach herausbildenden Eigenständigkeit des Tatbestandes. Eine besondere Relevanz erhielt diese Frage nach einer klaren, von anderen Delikten abgrenzbaren Tatbestandsformulierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Zuge der zu dieser Zeit aufkommenden Strafzweckdiskussion bemühte man sich um „eine Präzisierung der Tatbestände mit eindeutigen Merkmalen und klaren Abgrenzungen“.[53] Zudem herrschte angesichts des aufkommenden nationalen Bewusstseins ein verstärktes Bestreben nach einer Kodifikation des Strafrechts.[54] Dies erforderte auch die Herausarbeitung eines eigenen nationalen Rechts.[55] Hierzu suchte man insbesondere nach Abgrenzungsmerkmalen zwischen deutschem und römischem Recht, um so eine „typisch germanische“ Tatbestandsformulierung zu entwickeln.
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Diese Suche nach genuin „deutschem“ bzw. „germanischem“ Recht zeigte sich auch und gerade in der damaligen Auseinandersetzung mit dem Diebstahls- und (in Abgrenzung dazu) dem Raubtatbestand. So stellte man beim Vergleich von römischem und germanischem Recht fest, dass im germanischen Recht für den Diebstahl die Todesstrafe vorgesehen war, der Raub aber entweder nicht oder wesentlich geringer bestraft wurde.[56] Dagegen sei im römischen Recht der Raub gegenüber dem Diebstahl härter geahndet worden.[57] Hieraus folgerte man, dass bei den Germanen eine heimliche Tatbegehung (wie beim Diebstahl) gegenüber der offenen (wie beim Raub) deutlich negativer konnotiert gewesen sei; sie gelte als falsch und verschlagen und somit als besonders verwerflich.[58] So sei bei den Germanen der „Dieb feige und schleichend […], im Räuber […] [sehe man aber] den kühnen und verwegenen Mann und hatte [. . .] Achtung vor seiner Manneskraft.“[59]
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Diese Vorstellung, dass der Raub als offen und „mannhaft ausgetragenes“ Delikt im germanischen Recht als weniger verwerflich als der Diebstahl als heimliches Delikt galt und sich darin der „Kern des Unrechtsverständnisses“[60] der Germanen zeige, ist bis heute verbreitet. Doch lohnt es sich, diese Ansicht, die von Siems später treffend als „Lehre von der Heimlichkeit des Diebstahls“[61] bezeichnet wurde, kritisch zu hinterfragen. So stellt sich, gerade angesichts des historischen Kontexts, in dem die „Lehre von der Heimlichkeit des Diebstahls“ aufkam, die Frage, inwieweit die Annahme eines spezifisch germanischen Diebstahls- und Raubbegriffs ideologisch geprägt ist. So steht etwa Siems dieser „Lehre von der Heimlichkeit“ aufgrund des Mangels diese Lehre unterstützender Belegstellen höchst kritisch gegenüber.[62] Dieser Quellenknappheit waren sich die damaligen Vertreter der Lehre von der Heimlichkeit durchaus bewusst. Jedoch wurde die fehlende Quellengrundlage etwa von Amira damit abgetan, dass der „Vorwurf fehlender Quellengrundlage […] [ein] unzulässiges Argument e silentio […] sei“.[63] Diese fehlende Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit kritischen Fragen lässt darauf schließen, dass andere Beweggründe hinter der Verfechtung eines spezifisch germanischen Diebstahlsbegriffs gestanden haben müssen. Im Zuge der Bemühungen um die Ausbildung eigenen nationalen Rechts strebte man (wohl gerade angesichts der spärlichen Quellenlage) danach, „den Geist, der darin [in den germanischen Rechtsinstituten] waltet“[64] zu erkennen und machte so als „Charakter des Diebstahls […] die Heimlichkeit fest, die nicht zum Begriff des römischen furtum gehört habe“[65] aus. Für die nachhaltige Etablierung dieser Lehre war nach Siems[66] Wildas Schrift „Strafrecht der Germanen“ von 1842 entscheidend, indem sie ihr die nötige Reputation auch bei anderen Autoren verschaffte.[67] (Scheinbar) unterstützt wurde die Lehre von der Unterscheidung von Mord und Totschlag, die ebenfalls nach dem Merkmal der Heimlichkeit erfolgte, sodass die Unterscheidung nach der Heimlichkeit zu einem allgemeinen Prinzip erhoben wurde.[68] Die später ideologische Aufladung eines dem „germanischen Geist“