1. Systematik und Struktur 36 Der Raub ist ein als selbstständiges Delikt (delictum sui generis) ausgestalteter Diebstahl mit qualifizierten Nötigungsmitteln.[179] Es handelt sich nicht um eine bloße (unselbstständige) Qualifikation des Diebstahls (§ 242 StGB) oder der Nötigung (§ 240 StGB). Dies ergibt sich daraus, dass § 249 StGB weder in den achtzehnten noch in den neunzehnten Abschnitt eingestellt wurde, aus der gegenüber der sonst einschlägigen Idealkonkurrenz zwischen Diebstahl und Nötigung einschlägigen erheblichen Strafrahmenerhöhung,[180] dem Erfordernis eines Finalzusammenhangs (Rn. 75) zwischen Diebstahl und Nötigung (der bei Idealkonkurrenz im Schuldspruch nicht zum Ausdruck käme)[181] sowie aus der Gleichrangigkeit der geschützten Rechtsgüter Freiheit und Eigentum (Rn. 39). Die Selbstständigkeit des Raubes gegenüber Diebstahl und Nötigung führt u.a. dazu, dass weder eine Verwerflichkeitsprüfung gemäß § 240 Abs. 2 StGB durchzuführen ist noch die (privilegierenden) Strafantragserfordernisse der §§ 247, 248a StGB greifen. Dies hat zur Folge, dass auch ein Bagatellraub von Amts wegen zu verfolgen ist, die Gewalt kompensiert die Geringwertigkeit.[182] Auch die Qualifikationen des Diebstahls (§§ 244, 244a StGB) sind nicht anwendbar, entsprechende Regelungen finden sich jedoch weitgehend (bis auf den Wohnungseinbruchsdiebstahl) auch beim Raub (§ 250 StGB). 37
Als zweiaktiger Tatbestand setzt sich § 249 StGB aus einem Diebstahl (§ 242 StGB) und einer gegenüber § 240 StGB qualifizierten Nötigung zusammen.[183] Dabei setzt der Raub nicht lediglich die bloße Addition dieser beiden Delikte voraus, sondern vielmehr deren Verknüpfung, wobei die Anforderungen an diese Verknüpfung umstritten sind (Rn. 74).[184] Diese Verknüpfung und das dadurch kumulierte Unrecht[185] erklärt auch das hohe Strafmaß des § 249 StGB (nicht unter einem Jahr) und die daraus folgende Einordnung des Delikts als Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB).[186] Für minder schwere Fälle sieht § 249 Abs. 2 StGB eine Herabsetzung des Strafrahmens auf mindestens sechs Monate, höchstens fünf Jahre vor. 38 Qualifiziert wird der Raub durch § 250 StGB, den „einfachen“[187] schweren Raub in § 250 Abs. 1 StGB und den „besonders“[188] schweren Raub in § 250 Abs. 2 StGB, sowie durch die Erfolgsqualifikation des § 251 StGB, den Raub mit Todesfolge. Auch hier ist der Strafrahmen gemäß § 250 Abs. 3 StGB in minder schweren Fällen reduziert (ein Jahr bis zehn Jahre). Eine Privilegierung existiert nicht, die §§ 249 Abs. 2, 250 Abs. 3 StGB sind Strafzumessungsvorschriften.[189] § 252 StGB und § 316a StGB werden als raubähnliche Delikte angesehen (→ BT Bd. 5: Petra Wittig, Raubähnliche Delikte, § 31). 2. Geschützte Rechtsgüter 39 Der Raub schützt nach h.M. gleichrangig das Eigentum und die persönliche Freiheit der Willensentschließung und -betätigung,[190] also die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung desjenigen, gegen den die Nötigungsmittel eingesetzt werden. Sofern man diese Gleichrangigkeit der geschützten Rechtsgüter zugrunde legt, ist es verkürzt, den Raub entweder als qualifizierte Nötigung oder als qualifizierten Diebstahl anzusehen. 40
Da das Eigentum durch die Wegnahme beim Raub nicht auf den Täter übergeht, sondern vielmehr beim Opfer verbleibt (vgl. § 935 Abs. 1 BGB), ist auf die nach § 903 BGB vorausgesetzte uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit des Eigentümers abzustellen.[191] 41 Die Interpretation des Raubes auch als Freiheitsdelikt wird durchaus kritisch gesehen, u.a. weil als Nötigungserfolg nur die Duldung der Wegnahme vorausgesetzt wird.[192] Doch liegt in dieser Willensbeugung eben auch ein Angriff auf die personale Freiheit, aus der dem Täter Widerstand gegen die Wegnahme droht.[193] Dagegen ist wegen des gegenüber der Nötigung (§ 240 StGB) qualifizierten Nötigungselements (Gewalt gegen Personen oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) als zumindest mittelbares Schutzgut auch Leib und Leben des Nötigungsopfers anzusehen.[194] Die bei § 242 StGB im Hinblick auf die Strafantragsbefugnis relevante Frage, ob auch der Gewahrsam geschützt ist, spielt für das Offizialdelikt des § 249 StGB keine Rolle.[195] II. Voraussetzungen des § 249 StGB 42 Der Grundtatbestand des § 249 setzt objektiv die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache (und damit den objektiven Tatbestand des Diebstahls, § 242 StGB) mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben sowie subjektiv Vorsatz bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale sowie rechtswidrige Zueignungsabsicht hinsichtlich der fremden beweglichen Sache voraus. 1. Raubmittel 43 Neben den objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Diebstahls muss auch eine (gegenüber § 240 StGB) qualifizierte Nötigung verwirklicht sein. Nötigungsmittel sind Gewalt gegen eine Person und Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben. Eine wahlweise Feststellung einer der Alternativen ist zulässig.[196] aa) Begriffsbestimmung 44 Der Wortlaut des § 249 Abs. 1 StGB ist gegenüber dem des § 240 Abs. 1 StGB enger, denn er fordert nicht nur Gewalt, sondern Gewalt „gegen eine Person“. Gewalt gegen eine Person ist jeder unmittelbar oder auch mittelbar körperlich wirkende Zwang, um einen (gegen die Wegnahme) geleisteten oder zumindest erwarteten Widerstand zu brechen.[197] Grundsätzlich ist vom Begriff „Gewalt gegen eine Person“ in § 249 StGB (zu § 255 StGB → BT Bd. 5: Bernd Heinrich, Erpressung und räuberische Erpressung, § 32 Rn. 103) sowohl vis absoluta (willensbrechende Gewalt) als auch vis compulsiva (willensbeugende Gewalt) erfasst.[198] Da auch die Gewalt i.S.d. § 240 StGB personenbezogen auszulegen ist (→ BT Bd. 4: Brian Valerius, Nötigung, Bedrohung und Zwangsheirat, § 5 Rn. 40 f.), ist die Bedeutung der qualifizierten Gewalt noch wenig geklärt.[199] Zum einen geht es um eine stärkere Betonung der Richtung der Gewalt, zum anderen beinhaltet die Formulierung aber auch eine Einschränkung gegenüber dem Gewaltbegriff des § 240 StGB. Schon im Hinblick auf die unterschiedlichen Begrifflichkeiten ist die Lehre von einem einheitlichen Gewaltbegriff, wonach Gewalt und Gewalt gegen eine Person denselben Inhalt haben, zu Recht abzulehnen.[200] Vielmehr ist bei § 249 StGB eine „tatbestandsspezifische, restriktive Auslegung“ maßgeblich.[201] Zudem wirft die in der Definition der (Raub-)Gewalt angelegte „spezifische Gewaltfinalität“ (Gewaltanwendung zur Überwindung tatsächlich geleisteten bzw. lediglich erwarteten Widerstands) ungeklärte Fragen auf, die zu einer wenig überzeugenden Gewaltdogmatik führt.[202] bb) Körperliche Zwangswirkung 45 Die räuberische Gewalt muss sich zumindest mittelbar