brechen, sondern diesem zuvorkommen.[239] Diese Abgrenzung überzeugt nicht. Es lässt sich wohl kaum rechtssicher feststellen, ob der Täter keinen Widerstand erwartet, weil er einen solchen von vornherein verhindern möchte (dann „Überraschungsgewalt“) oder ob er Widerstand erwartet und diesen vorsorglich ausschalten will (dann „Vorsorgegewalt“).[240] Im Hinblick auf den Unrechtsgehalt besteht zudem kein Unterschied. Entscheidend ist nicht die nachgeordnete Frage der Gewaltfinalität (die in den Fällen der „Überraschungsgewalt“ durchaus vorliegen kann), sondern bereits das Maß der körperlichen Zwangswirkung (Rn. 45 ff.).
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Zudem stellt sich die Frage, ob der (erwartete) Widerstand durch mindestens willkürliches Verhalten erfolgen muss. Nach Ansicht der Rspr. reicht es auch aus, wenn der Täter durch Kraftentfaltung eine unwillkürliche Abwehrhandlung des Gewahrsamsinhabers überwindet.[241] Es soll auch genügen, wenn beim Opfer eine von dessen Willen unabhängige physische Reaktion eintritt, die seine Widerstandsmöglichkeit gegen die Wegnahme beeinträchtigt.[242] Dem ist zuzustimmen, wenn die anderen Voraussetzungen von Raubgewalt, also insbesondere eine nicht nur unerhebliche körperliche Zwangswirkung, vorliegen.
ee) Gewalt in Mehrpersonenverhältnissen
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Gewaltadressaten können nach überwiegender Ansicht sowohl der Gewahrsamsinhaber (gleich, ob er Eigentümer ist oder nicht) als auch ein (schutzbereiter) Dritter sein, soweit dieser gegen den Gewahrsamsbruch einschreiten will und kann.[243] Schutzbereite Dritte können z.B. Personen sein, die zum Schutz des Gewahrsams verpflichtet sind (z.B. Sicherheitspersonal) oder auch solche, die dazu freiwillig bereit sind.[244] Hierbei reicht es wiederum aus, wenn der Täter nur einen potentiellen Widerstand im Hinblick auf die Duldung der Wegnahme ausschalten will.[245] Aber auch wenn der Täter nur irrig davon ausgeht, der Dritte sei schutzbereit, liegt Gewaltfinalität vor und damit – sofern auch ein Finalzusammenhang mit der Wegnahme besteht – ein vollendeter Raub,[246] da auch in diesen Fällen ein Angriff auf die Willensfreiheit vorliegt und diese nicht ausschließlich in Bezug auf den Schutz des Gewahrsams an einer Sache, sondern umfassend vom Tatbestand des § 249 StGB erfasst wird.
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Wie bei § 240 StGB (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 44) kann nach h.M. die Nötigung auch als „Dreiecksnötigung“ begangen werden. In diesen Fällen sind die Personen, gegen die Gewalt ausgeübt wird (Gewaltopfer, auch „Gewaltmittler“ → BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 44), und diejenigen, die zur Duldung der Wegnahme genötigt werden sollen (Nötigungsopfer), nicht personenidentisch. Der Unterschied zur Konstellation des „schutzbereiten Dritten“ liegt somit darin, dass bei dieser Gewalt- und Nötigungsopfer personengleich sind. In den Fällen der „Dreiecksnötigung“ muss nach zutreffender Ansicht letztlich (auch) auf das Nötigungsopfer körperlich (und nicht nur psychisch) eingewirkt werden (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 44).[247] Wenn dies der Fall ist, bedarf es keiner weiteren Einschränkung, etwa, dass das (unmittelbare) Gewaltopfer in einem besonderen Näheverhältnis zum Nötigungsopfer stehen muss oder ihm schutzpflichtig ist.[248] Nicht ausreichend ist somit die Gewaltanwendung gegen Personen ohne (vom Täter vorgestellte) Widerstandsbereitschaft, z.B. das Quälen eines Kindes, um die Eltern (durch psychischen Zwang) zur Duldung der Wegnahme zu bewegen. Diese sind keine schutzbereiten Dritten (hier das Kind) und auf die Nötigungsopfer (hier die Eltern) wird lediglich psychischer Zwang ausgeübt. In einer solchen Konstellation kann jedoch eine (konkludente) Drohung vorliegen.[249]
ff) Gewalt durch Unterlassen
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Umstritten ist, ob eine Gewaltausübung i.S.d. § 249 StGB auch durch Unterlassen erfolgen kann (zur Nötigung gemäß § 240 StGB durch Unterlassen → BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 46; zur davon zu trennenden Frage des Finalzusammenhangs Rn. 75). Dies wird weitgehend unstreitig bejaht, wenn in einem Dreipersonenverhältnis der garantenpflichtige Täter einen Dritten nicht davon abhält, räuberische Gewalt anzuwenden.[250] Str. ist dagegen, ob Gewaltausübung durch Unterlassen auch in Zweipersonenverhältnissen möglich ist, wenn nach aktiver Gewaltanwendung durch den Täter ein Vorsatzwechsel erfolgt.[251] Hier werden beispielhaft insbesondere die Fesselungs- oder Einsperrungsfälle angeführt, bei denen der Täter das Opfer zunächst ohne Wegnahmevorsatz fesselt oder einsperrt und erst danach den Entschluss fasst, bei fortdauernder Fesselung oder Einsperrung dem Opfer eine Sache wegzunehmen.[252] Nötigungsmittel ist hier nicht die aktive Herbeiführung der Gewaltsituation, sondern ihre pflichtwidrige Nichtbeendigung bei faktischer Beseitigungsmöglichkeit durch den aufgrund eines pflichtwidrigen Vorverhaltens aus Ingerenz garantenpflichtigen Täter.[253]
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Gegen die Möglichkeit räuberischer Gewalt durch Unterlassen wird angeführt, Gewalt gegen eine Person setze denklogisch ein aktives Tun, ein Gewaltverhalten, und vom Wortlaut her keinen Erfolg voraus,[254] sodass eine Gewaltanwendung durch (bloßes) Unterlassen bereits begrifflich ausscheide.[255] Der aggressive Eingriff in die Freiheitssphäre des Opfers zur Sacherlangung sei Kennzeichen des Raubunrechts.[256] Gegen ein solches „naturalistisches Begriffsverständnis“ spricht schon, dass Gewalt begrifflich auch eine Erfolgskomponente in Form einer körperlichen Zwangswirkung voraussetzt, die auch bei einer fortdauernden passiven Gewalt gegeben ist.[257] Der Gewaltbegriff ist als Einheit zwischen Gewalthandlung und Gewalterfolg (die körperliche Zwangswirkung) zu verstehen.[258] Das Fehlen einer körperlichen Kraftentfaltung[259] wird durch § 13 Abs. 1 Halbs. 2 StGB kompensiert, der gerade die Entsprechung des Unterlassens im Hinblick auf das aktive Tun verlangt (sog. Modalitätenäquivalenz), um eine Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassungsdelikts bejahen zu können. Maßgeblich ist damit, ob hier das (garantenpflichtige) Unterlassen der Beseitigung der Zwangssituation gemäß § 13 Abs. 1 Halbs. 2 StGB einem positiven Tun entspricht. Der BGH hält eine Gewaltanwendung durch Unterlassen zumindest bei einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen aktiver Gewaltanwendung und nachfolgendem Wegnahmevorsatz einer aktiven Gewalt für entsprechend.[260] Dies wird bestritten, da die „Zwangswirkung durch entsprechende Passivität“ einer „aktiv-aggressiven Gewalt“, die den Unrechtsgehalt des Raubes kennzeichnen soll, nicht gleichgestellt werden könne.[261] Dem kann entgegengehalten werden, dass Gewalt nach der hier vertretenen Ansicht vor allem durch die Erfolgskomponente, nämlich die körperliche Zwangswirkung zur Überwindung eines Widerstandes und eben nicht durch eine bestimmte Handlungsmodalität, etwa eine erhebliche Kraftentfaltung oder Aggressivität, gekennzeichnet ist, sodass die Gleichwertigkeit des Unterlassens mit dem aktiven Tun schon durch den Eintritt des Gewalterfolgs und das Vorliegen einer Garantenstellung begründet wird.[262]
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Letztlich wird angeführt, dass die „Unterlassungslösung“ zu „ungereimten“ Ergebnissen führe: Wer das Opfer „nur“ fesselt und dann einen Wegnahmevorsatz fasst, werde gegenüber dem (u.U. brutaleren) Täter benachteiligt, der vis absoluta anwendet, z.B. sein Opfer bewusstlos schlägt, deshalb die von ihm geschaffene Zwangssituation nicht mehr aufheben kann und dann erst den Wegnahmevorsatz fasst.[263] Dies ist aber unabhängig von der Schlüssigkeit dieses Einwands[264] keine Frage des Gewaltbegriffs, sondern eine Frage der Finalität der Personengewalt zur Ermöglichung der Wegnahme. Im Ergebnis ist also anzuerkennen, dass Gewalt gegen eine Person auch durch Unterlassen erfolgen kann, wenn eine faktische Beseitigungsmöglichkeit für den garantenpflichtigen Täter besteht. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass in diesen Fällen auch eine Begehung durch positives Tun in Form der konkludenten Drohung in Betracht kommt (Rn. 64).