IV. Das gemeine Recht – Der Raub in der Constitutio Criminalis Carolina
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In der Constitutio Criminalis Carolina Kaiser Karls V. von 1532 (CCC) findet sich der Tatbestand des Raubes in Art. 126 CCC – ohne jegliche Festschreibung der tatbestandlichen Merkmale.[69] Schaffstein sieht hierin ein Zeichen dafür, dass deren Kenntnis zu Zeiten der Carolina schlicht vorausgesetzt wurde.[70] In der Carolina heißt es unter der Überschrift „Straff der rauber“: „Item eyn jeder boßhafftiger überwundner rauber, soll nach vermöge vnser vorfarn, vnnd vnserer gemeyner Keyserlichen rechten, mit dem schwerdt oder wie an jedem ort inn disen fellen mit guter gewonheyt herkommen ist, doch am Leben gestrafft werden.“[71] Der Raub wurde in der Carolina in erster Linie als Delikt gegen den öffentlichen Frieden gesehen; Radbruch sieht den Raub in der Carolina denn auch als eine „Art Landfriedensbruch“, der als Rechtsgüter neben Eigentum und Vermögen auch Freiheit, Leib und Leben schützt.[72] Der Raubtatbestand war somit nicht als rein vermögensschädigendes Delikt ausgestaltet.[73]
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Dem „boßhafftigen, überwundnen Räuber“ drohte nach der Carolina die Todesstrafe durch das Schwert.[74] Jedoch wurde die Folge der Schwertstrafe zunächst noch einschränkend gehandhabt. So sollte sie lediglich demjenigen Räuber angedeihen, der seine Tat(en) auf öffentlicher Straße, bewaffnet oder wiederholt beging.[75] Hingegen war es gleichgültig, ob der Räuber adeliger Herkunft war, was eine klare Absage an das Adelsprivileg des berechtigten Fehderaubes darstellte.[76] Tatsächlich wurde das mittelalterliche Fehderecht bereits 1495 auf dem ersten Reichstag in Worms durch den ewigen Landfrieden abgeschafft.[77] Trotzdem kam es noch bis ins 16. Jahrhundert zu gewaltsamen Fehden und ritterlichen Raubzügen.[78] Das daraus resultierende hohe kriminalpolitische Bedürfnis einer abschreckenden Raubstrafbarkeit in Zeiten, in denen Wegelagerei und bewaffneter Raubüberfall auf Reisende an der Tagesordnung waren, war sicher auch Grund für die aus heutiger Sicht drakonische Strafpraxis der Carolina.[79] Historisch gesehen ist die Schwertstrafe allerdings eine relativ humane Form der Todesstrafe im Vergleich zu dem schmachvollen Hängen, das Dieben angedacht war.[80]
1. Vorbemerkung
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Im Zuge der Aufklärung rationalisierte sich der Umgang mit dem Recht. Insbesondere unter dem Einfluss des Descartes’schen Rationalismus entstand die Vorstellung, „dass man aus der Vernunft auch ein vollständiges Rechtssystem ableiten könne.“[81] Somit bemühte man sich im Bereich des (Straf-)Rechts um Systematisierung und Rationalisierung,[82] mithin um eine vollständige Aufzählung und möglichst detaillierte Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände.[83] Auch hinsichtlich des Raubtatbestandes erstrebte man eine möglichst präzise Formulierung, sodass in der Zeit ab dem 18. Jahrhundert wichtige Entwicklungsstufen hin zur heutigen Fassung des Raubtatbestandes auszumachen sind. Nachvollziehen lässt sich diese Entwicklung des Raubtatbestandes insbesondere anhand der zwei für diese Epoche zentralen Gesetzgebungswerke, dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR), das am 1. Juli 1754 in Kraft trat, sowie am Bayerischen Strafgesetzbuch, das ab dem 1. Oktober 1813 galt.
2. Allgemeines Preußisches Landrecht
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§ 1187 des ALR[84] formulierte den Raubtatbestand folgendermaßen: „Wer durch Gewalt an Menschen, bewegliche Sachen, wozu er kein Recht hat, seines Gewinns, Vortheils, oder Genusses wegen in Besitz nimmt, macht sich eines Raubes schuldig.“ An diesem Tatbestand zeigt sich zunächst, dass der Raub – auch in Abgrenzung zum Diebstahl – durch das Merkmal der Gewalt an der Person gekennzeichnet war.[85] Dieses Kriterium geht dabei im Wesentlichen auf Böhmers Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen zurück, wobei letztere für die Begehung eines Raubes nicht ausreichen sollte.[86] Böhmer hatte sich insbesondere mit seinem Lehrbuch „Elementa jurisprudentiae criminalis“ um die Rechtswissenschaft verdient gemacht, das als erstes Lehrbuch des Strafrechts von wissenschaftlichem Rang gilt.[87] Mit seiner Unterscheidung von Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen leitete Böhmer die Entwicklung der heute bestehenden Fassung des Raubtatbestandes in Abgrenzung zum Diebstahl ein.[88] So sei „durch die Aufstellung des Unterscheidungsmerkmals der Gewalt an Personen [die Abgrenzung von Raub und Diebstahl] auch im Sinne einer grundsätzlichen begrifflichen Trennung beider Delikte“ erfolgt.[89] Überdies diente nun das Tatbestandsmerkmal der Gewalt an Personen zur Begründung der gegenüber dem Diebstahl erhöhten Strafbarkeit.[90] Ursprünglich war der Raub seit der Carolina „ausschließlich der ‚violata securitas publica‘ wegen unter Strafe gestellt“, wurde also primär als Verbrechen gegen das Gemeinwesen und den öffentlichen Frieden verstanden.[91] Als man im Zuge der naturrechtlich geprägten Bestrebungen, den einzelnen Tatbeständen ein angemessenes Strafmaß hinzuzufügen, zwischen Staats- und Privatdelikten unterschied,[92] ermöglichte dies nach Landmesser gerade beim Raub, „wo sich Zweck und Hauptabsicht des Täters ja gegen das Privateigentum richten, […] [dessen] klare Zuordnung zu den Privatverbrechen“[93]. Dementsprechend hatte man nun bei der Strafzumessung „den nötigen Spielraum für eine sorgfältige Abstufung nach dem Grade des der Person zugefügten Schadens“, da das ALR hier vier verschiedene Stufen der Strafbarkeit unterschied.[94]
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Neben dem Tatbestandsmerkmal der Gewalt stellt sich auch die Frage, „inwieweit auch Drohungen den Tatbestand des Raubes erfüllen“[95] konnten. Diese Frage war schon zu Zeiten der gemeinrechtlichen Autoren problematisch,[96] Böhmer führte die (wohl auf Carpzov zurückgehende) Differenzierung zwischen vis absoluta und vis compulsiva fort.[97] Im ALR findet sich hierzu § 1188 ALR: „Auch schon derjenige, welcher einen Diebstahl ohne wirkliche Gewalt, jedoch unter Androhung gefährlicher Behandlung ausübt, hat als Räuber eine acht- bis zehnjährige Festungsstrafe, nebst Züchtigung am Anfange und Ende der Strafzeit, verwirkt.“
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Ein für uns interessanter, an dieser Stelle kurz zu nennender, Aspekt ergibt sich aus einem Vergleich von § 1188 ALR mit § 1255 ALR. In § 1255 ALR findet sich der Tatbestand der concussio: „Ist jemand durch Concussion genöthiget worden, Gelder oder Sachen ohne Vergeltung zu geben: so ist eine dergleichen Erpressung, nach Maaßgabe der dazu gebrauchten Mittel, gleich einem Diebstahle oder Raube zu bestrafen.“ Hierbei zeigt sich, dass auch das ALR für den Raub und die räuberische Erpressung verschiedene Tatbestände bereithielt und diese Unterscheidung offensichtlich „nach dem Kriterium ‚Nehmen oder Geben‘“[98] erfolgte.
3. Bayerisches Strafgesetzbuch (1813)
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In Art. 233 des Bayerischen StGB von 1813 wird der Raubtatbestand folgendermaßen formuliert: „Wer, um eine Entwendung zu vollbringen, einer Person Gewalt anthut, entweder durch thätliche Mißhandlungen oder durch Drohung auf Leib und Leben, der ist des Raubes schuldig, er habe seine habsüchtigen Absichten erreicht oder nicht.“[99] War noch im ALR unklar, wie der Gewaltbegriff beschaffen sein sollte, nahm das Bayerische StGB eine Ausdifferenzierung dergestalt vor, dass hierunter „thätliche Mißhandlungen“ oder „Drohung auf Leib und Leben“ zu verstehen ist. Im Hinblick auf die heutige Fassung des Raubtatbestandes ist dies bereits deshalb bemerkenswert, da ausdrücklich zwischen Gewalt und Drohung unterschieden wird und sich Letztere gerade nicht mehr als Unterfall des Gewaltmerkmals einordnen lässt. Eine weitere entscheidende Veränderung erfuhr der Tatbestand durch den Passus „um eine Entwendung zu vollbringen“. Für Landmesser markiert dieser Zusatz eine wichtige Entwicklungsstufe des Raubtatbestandes, da das Bayerische StGB anders als das ALR nun „den Raub nicht mehr als gewalttätige