und sie selbst womöglich eine neue Freundin gewann, dann würde diese Reise umso erinnernswerter sein.
»Ich gehe mal nach unten und sehe in unserer Kabine nach Steph. Warum gehst du nicht auf einen Drink aufs Pooldeck, und wir bringen Natalie mit, damit ihr euch kennenlernt?«
»Okay, aber lass dich von deiner Freundin nicht so sehr ablenken, dass du mich vergisst.«
Natalie runzelte die Stirn, als sie an Didis und Pamelas Kabine vorbeikam. Mehr als tausend Kabinen auf diesem Dampfer, und sie musste die Kabine gleich nebenan haben.
Ihre Stimmung, die seit dem Aufstehen morgens um vier bei fünfzehn Zentimeter Schnee im Keller gewesen war, hob sich, als sie die Kabine betrat. Die Innenausstattung bot einen gelungenen Balanceakt zwischen Zweckmäßigkeit und Komfort und erzeugte ein heiteres Ambiente. Natalie durchquerte den Raum, öffnete die Glasschiebetür und trat auf den Balkon hinaus, der ihr einen großzügigen Blick auf die hochaufragenden Hotels von Miami Beach erlaubte.
»Großartig, nicht?« Links von ihr standen Didi und Pamela an der Reling.
Nostalgie überkam sie, während sie stumm nickte. Obwohl sie Didi und Pamela schon oft zusammen gesehen hatte, war sie eifersüchtiger denn je, denn für die beiden war die Reise eine romantische Auszeit, während sie selbst überzählig war. Steph hatte zwar versprochen, ihr Gesellschaft zu leisten, weil Yvonne das Casino besuchen und mit ihrem Kumpel tauchen gehen wollte, aber mit der besten Freundin abzuhängen war etwas anderes als mit einer Geliebten den Mond über karibischen Gewässern zu betrachten.
Sie schüttelte den Gedanken ab und kehrte in die Kabine zurück. Ihr Blick fiel auf die Uhr, die auf der Frisierkommode lag. Das hieß wohl, dass ihre Kabinengenossin schon hiergewesen war.
Sie öffnete den Schrank und musterte den dunklen Anzug, die weißen Hemden, die schwarzen Anzugschuhe und die Sneaker. Keine Röcke, keine Kleider. Keine Pumps. Keine leuchtendbunten Hawaiihemden. »Na super. Eine Leichenbestatterin als Kabinengenossin.«
Natalie konnte dem Drang nicht widerstehen. Sie zog die Schubladen auf, bis sie auch die übrigen Dinge ihrer Mitbewohnerin gefunden hatte: Cargo-Shorts, noch mehr Hemden, Tank Tops in verschiedenen Farben und einige Boxer-Shorts, wie sie ein Teenager tragen mochte. Nicht sehr abwechslungsreich, überhaupt kein Flair.
Im Bad fand sie etwas, das aussah wie der Rasierbeutel eines Mannes. Schuldbewusst angesichts ihrer Schnüffelei schaute sie dennoch hinein. Darin befanden sich ein Rasierer, Sonnencreme, Babyshampoo und alles für die Zahnpflege. Nicht das geringste Make-up. Keine Gesichtscreme. Keine Feuchtigkeitscreme. Wie konnte eine Frau ohne Feuchtigkeitscreme überleben?
Als es an der Tür klopfte, ließ sie das Necessaire erschrocken fallen. Schnell hob sie es auf und stellte es auf die Ablage zurück.
Es war Steph. »Gefällt dir deine Kabine?«
»Prima. Wo seid ihr?«
»Wir sind eine Etage tiefer. Und wir haben keinen Balkon, nur ein großes Fenster.«
»Ihr könnt jederzeit kommen und unseren benutzen, wenn es euch nichts ausmacht, dass Pamela und Diva gleich nebenan wohnen.«
»Du meinst Didi.«
»Sag ich doch.«
Steph lachte. »Vielleicht funkt es ja zwischen dir und deiner Kabinengenossin – dann könnt ihr die beiden die ganze Nacht mit eurem Gestöhne wachhalten.«
Natalie schauderte und öffnete die Schranktür, um Steph die schlichte Kleidung zu zeigen. »Ich glaube kaum. Irgendwas sagt mir, dass sie nicht mein Typ ist.«
»So würde Yvonnes Kleiderschrank auch aussehen, wenn ich ihr nicht die Sachen kaufen würde, in denen ich sie sehen möchte.« Sie schloss die Schranktür und öffnete die Kabinentür. »Lass uns nach oben gehen und die anderen begrüßen. Yvonne schlug vor, dass wir uns alle auf dem Pooldeck zu einem Drink treffen. Zeit, die Party in Gang zu bringen.«
»Du hast vollkommen recht«, erwiderte Natalie mit wachsender Entschlossenheit. Sie schickte sich an zu gehen, wandte sich dann aber noch einmal um, nahm ihre Uhr ab und legte sie neben die andere auf die Frisierkommode.
Steph war völlig außer Atem, als sie über die mit Teppich ausgelegten Stufen auf Deck 11 anlangten. »Ich fasse es nicht – ich habe null Kondition.«
»Du könntest den Urlaub nutzen, um wieder in dein Fitnessprogramm einzusteigen.«
»Warum sollte ich? Wenn ich nicht esse, will ich im Liegestuhl liegen und lesen. Und künftig nehme ich vielleicht einfach den Fahrstuhl.«
»Albernes Huhn. Es waren doch nur zwei Treppen.«
»Yvonne steht da drüben an der Reling.«
Natalie erblickte das vertraute Gesicht, konnte die Frau dahinter allerdings nicht richtig ausmachen. Sie sah nur lange Beine in olivgrünen Cargo-Shorts und Sandalen.
Yvonne winkte und stieß die Frau neben sich mit dem Ellbogen an.
Die Frau richtete sich auf und lächelte in ihre Richtung. Beim Anblick ihrer Erscheinung wäre Natalie fast stocksteif stehengeblieben. Sie war groß und schlank, ihr dunkelbraunes Haar war nirgendwo auf dem Kopf länger als zwei Zentimeter, und unter ihrem weißen Hemd trug sie nichts als ein schwarzes Tank Top.
»Bist du sicher, dass das eine Frau ist?«, fragte Natalie Steph, möglichst ohne ihre Lippen zu bewegen und heftete sich ein Lächeln ins Gesicht.
»Sei nett.« Steph legte Yvonne den Arm um die Taille und wandte sich um, um die anderen einander vorzustellen.
Natalie wartete nicht darauf. »Du musst Kelly sein.«
»Schuldig«, antwortete diese und bot ihr die Hand an. Ihre kristallklaren blauen Augen blickten fest in Natalies. »Und du musst Natalie sein. Ich freue mich, dass du mit von der Partie bist.«
»Ja … ja, danke«, stammelte Natalie. »Danke, dass du angeboten hast, deine Kabine mit mir zu teilen.«
»Sie ist ja nicht groß, aber ich glaube, wir haben Platz genug. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass wir uns viel dort aufhalten werden, wo es an Bord so viel zu unternehmen gibt.«
Natalie plante auf der Stelle all die Dinge, die sie unternehmen würde, um sich beschäftigt zu halten. Die Vorstellung, Zeit mit Didi und Pamela zu verbringen, erschien ihr gar nicht mehr so abwegig. »Und so viele Häfen … Ich wette, wir werden kaum etwas voneinander sehen.«
»Außer dass wir jeden Abend wie die Kühe zum Stall zum Dinner streben.«
Ein entzückendes Bild, dachte Natalie.
Ein Kellner blieb stehen, um ihnen eisgekühlte Getränke in Erinnerungsgläsern anzubieten.
»Diese Runde geht auf mich«, sagte Kelly gutgelaunt. »Ich empfehle den Rum Runner. Das ist der rote.«
Natalie pflückte sich ein Glas vom Tablett. »Auf eine gute Zeit.«
»Und neue Freundinnen«, erwiderte Kelly.
Kelly stopfte sich das Hemd in die Hose und zog den Reißverschluss ihrer Chinos hoch, die ihr locker auf den Hüften saßen. Die Hosen stammten aus der Zeit, als eine Knieverletzung sie zu einer Joggingpause gezwungen hatte. Innerhalb von zwölf Wochen hatte sie acht Pfund zugenommen, diese aber rasch wieder verloren, als sie ihr Trainingsprogramm wieder aufnahm. Sie gab es auf, ihren Haarwirbel glätten zu wollen und trat auf den Balkon, um auf Natalie zu warten, die sich im Bad zum Dinner ankleidete. Wie sie das in dem winzigen Raum schaffte, war Kelly ein Rätsel, aber sie wusste es zu schätzen, dass nicht alle Menschen jede Schamhaftigkeit abgelegt hatten, wie es bei ihr nach vier Jahren Navy der Fall war.
Natalie war eine interessante Frau und aus der Nähe betrachtet noch viel attraktiver, als es von der Galerie über dem Atrium aus den Anschein gehabt hatte. Ihr Haar war glänzend und geschmeidig, und das Rotbraun brachte ihre wunderschönen grünen Augen gut zur Geltung. Gewöhnlich stand Kelly nicht auf Make-up, aber Natalie trug genau die richtige Menge – sie betonte ihre natürlichen Vorzüge, übermalte sie