KG MacGregor

Liebe in Sicht


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in Key West hatte sie Hunderte von Frauen gesehen, die weit älter aussahen als sie waren, weil sie sich zu sehr der Sonne ausgesetzt hatten. Außerdem – wenn sie sich in Cargo-Shorts und Tank Top sonnte, würde es doof aussehen, wenn sie anschließend etwas anderes trug.

      Eine Frau in ihrer Nähe sammelte ihre Sachen zusammen und ging, und Kelly schnappte sich ihren Liegestuhl. Sie freute sich, als sie feststellte, wer neben ihr saß: die junge Frau, die sie zusammen mit der Rothaarigen gesehen hatte. »Hallo, ich habe dich gestern Abend beim Dinner gesehen.« Sie streckte die Hand aus. »Kelly Ridenour.«

      »Tach, Mensch. Jo Atkinson.«

      »Ah, Australierin.« Kelly wusste die Begrüßungsfloskel richtig zuzuordnen. »Woher kommst du?«

      »Brisbane. Kennst du das?«

      »Nein, aber es steht auf meinem Wunschzettel. Du hast ja einen langen Weg hinter dir.«

      Jo nickte und legte ihr Buch beiseite. »Ich bin mit meiner großen Schwester unterwegs. Sie wollte noch mal richtig einen draufmachen, bevor sie fünfzig wird.«

      Schwestern – das erklärte den vertraulichen Umgang der beiden miteinander, dachte Kelly. »Wie ich sehe, liest du das gleiche Buch wie eine der Frauen aus meiner Gruppe. Sie verschlingt diese Bücher geradezu, und ich glaube, sogar ihre Partnerin schnappt sich manchmal eines davon.« Das war Kellys Art, die lesbischen Karten auf den Tisch zu legen.

      Jo grinste wissend. »Ich habe einen ganzen Koffer voll mit. Ich bin ein Liebesroman-Junkie.«

      »Und wo ist deine Freundin?«

      »In meinem Fall gibt’s keine Freundin. Die kriegt meine Schwester Julie immer alle ab.«

      »Deine Schwester ist auch lesbisch?«

      »So ist es. Scheint doch genetisch zu sein.«

      Mit ihrer Sonnenbrille auf der Nase sah Kelly zu, wie Natalie an Deck kam und ihr Handtuch auf einem Liegestuhl am Pool ausbreitete. Sie war so in die Betrachtung versunken, wie Natalie sich aus ihrem Pareo wickelte, unter dem ein blauer Bikini zum Vorschein kam, dass sie nicht mitbekam, was Jo gesagt hatte. »Wie bitte?«

      »Ich sagte, die hübschen Mädel kriegen immer die hübschen Mädel ab.« Jo griff nach ihrem Glas mit dem spiralförmigen Strohhalm und trank einen Schluck Frozen Lemonade. »Sieh selbst.«

      Während Kelly sich Jo zugewandt hatte, war die rothaarige Schwester erschienen und hatte den Liegestuhl neben Natalie in Beschlag genommen.

      »Fremde kennt Julie nicht. Sie könnte Unterricht im Flirten geben.«

      »Sie hat demnach auch keine Freundin?«

      »Sie hat Dutzende.«

      »Dutzende?« Kelly fand den Gedanken alarmierend, dass Natalie einer australischen Nymphomanin zum Opfer fallen könnte, die es einzig auf ein sexuelles Abenteuer abgesehen hatte, und sie verspürte den wilden Drang, zu ihr zu eilen und ihr eine Warnung zuzuflüstern. Dann schaltete sich ihr gesunder Menschenverstand wieder ein, und sie schüttelte den Kopf angesichts ihrer Überreaktion. Wenn Natalie sich an Bord mit einer attraktiven Frau anfreunden wollte, war das ihr gutes Recht. »Wie kommt’s, dass du keine Freundin hast? Julie lässt doch sicher die eine oder andere übrig?«

      Jo zuckte die Achseln. »Es gibt da eine, die mir gefällt, aber ich weiß nicht, wie sie mich findet. Tja … Ich glaube, sie mag mich schon, aber vielleicht nicht so. Sie hält mich wahrscheinlich bloß für eine gute Freundin.« Die mangelnde Zuversicht stand Jo ins Gesicht geschrieben.

      »Vielleicht fragt sie sich aber auch, warum du dich nicht mit ihr verabredest.«

      »Weil ich ein Schisshase bin.« Sie hob ihr Buch hoch. »Ich lebe in dieser Welt.«

      Plötzlich tauchte Julie bei ihnen auf, schnappte sich den Drink ihrer Schwester und nahm einen großen Schluck. »Gottverdammt heiß hier draußen.«

      Jo stellte sie einander vor. »Soll ich dich darauf hinweisen, dass deine zehn Minuten in der Sonne neun Minuten zu lang waren?«

      »Ich weiß, aber sie war so süß.« Julie sah Kelly an und wies mit dem Kopf zu Natalie hinüber. »Findest du nicht, dass sie süß ist?«

      »Ich finde, sie ist …« Sie wandte sich zu Natalie um und sah, wie Steph sich auf die Liege neben ihr fallen ließ. »Ich finde, sie ist sehr süß.«

      »So lässt sich’s aushalten, oder?«, meinte Steph und unterschrieb den Beleg für ihre Bloody Mary. Ihr Badeanzug war ein Einteiler mit einem grün-gelben Blumenmuster. »Yvonne war im Internetcafé und hat gelesen, dass in Rochester letzte Nacht noch mal fünfzehn Zentimeter Schnee gefallen sind.«

      Natalie nahm ihren Orangensaft und stieß mit Steph an. »Als ich heute Morgen auf dem Balkon saß, dachte ich, dass ich das jeden Winter machen möchte.«

      »Können wir doch! Du verkaufst an Didi, und wir gehen alle zusammen auf Kreuzfahrt, bis dir das Geld ausgeht.«

      »Sehr witzig.«

      »Im Ernst, Nat. Ich weiß nicht, warum du mit dem Kapitel nicht endlich abschließt. Die Arbeit in der Boutique macht dir doch gar keinen Spaß mehr. Überlass sie Didi und mach was anderes.«

      »Zum Beispiel? Ich habe mich aus einem tollen Job verabschiedet und alles, was ich hatte, in den Laden gesteckt.«

      »Aber es war immer Didis Laden, vor allem seit er angefangen hat, Gewinn zu machen. Davor hat sie deine Investition gebraucht. Jetzt, wo sich das bezahlt macht und ihr euch den Gewinn teilt, hat sie beides – den Profit und das Prestige.«

      »Und ich bin nichts. Willst du das sagen? Nachdem ich mich acht Jahre lang abgerackert habe?«

      »Du bist nicht nichts. Ich denke, du hast allen bewiesen, dass du weißt, wie man ein Unternehmen zum Erfolg führt. Aber jetzt bist du unglücklich in dem Laden, warum also bleiben? Du könntest vermutlich zu Kodak zurückkehren, wenn du wolltest, oder dein eigenes Unternehmen aufziehen.«

      »Ich könnte wieder glücklich werden mit meiner Arbeit. Mir gefällt nämlich, was ich tue. Mir gefällt nur nicht, wie die Sache mit Didi läuft … und mit Pamela.«

      Steph lehnte sich zurück und zog ihre leuchtendgelbe Sonnenblende tiefer in die Stirn. »Ich sage es dir nur ungern, aber der Zug ist abgefahren. Außerdem ging es dir total gut mit der Trennung, bis Pamela aufgetaucht ist. Ein ganz normaler Fall von Eifersucht. Das geht vorbei.«

      Das hatte Natalie sich selbst auch schon tausendmal gesagt. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass der Umzug in ihr Eigenheim in Corn Hill – ein renovierungsbedürftiger Altbau, den Steph für sie gefunden hatte – ein willkommener Neustart gewesen war nach der tristen Langeweile, die ihr Leben mit Didi zum Schluss bedeutet hatte. Anfangs hatte sie die Hoffnung gehegt, jemand Neues kennenzulernen, eine Frau, die nicht jede ihrer Entscheidungen kritisierte, wie Didi es praktisch vom Augenblick ihres Kennenlernens an getan hatte. Doch nach einigen Monaten hatte sie gemerkt, dass sie einsam war und sich nach der vertrauten Zweisamkeit, wenn nicht gar Intimität zurücksehnte. Sie hatten nach der Arbeit wieder mehr Zeit miteinander verbracht, waren zusammen essen und einkaufen gegangen, und Natalie hatte angefangen, mit dem Gedanken zu spielen, sie beide könnten wieder zusammenkommen. Dann war plötzlich Pamela aufgetaucht, und Natalies Zwiespältigkeit hatte sich in besagte Eifersucht verwandelt.

      »Wie ist deine Kabinengenossin?«

      Die Frage unterbrach Natalie in ihren Gedanken, und sie blickte automatisch dort hinüber, wo sie Kelly mit der jungen Australierin hatte plaudern sehen, der Schwester der attraktiven Rothaarigen, die zu ihr gekommen war und sich vorgestellt hatte. »Sie ist … ganz in Ordnung. Sie hat mir heute Morgen Kaffee gebracht.«

      »Ach, wirklich?« Steph richtete sich auf und betrachtete sie interessiert.

      Natalie winkte Kelly zu, als diese zu ihnen hinüber sah. »Keine große Sache. Offenbar läuft sie morgens als Erstes ein paar Runden auf dem Promenadendeck, und als sie sich einen Kaffee geholt hat, hat sie mir eben einen mitgebracht.« Natalie erzählte nicht, dass Kelly