Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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käme. Dies habe ich be­grif­fen.

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      113.

      A

      Von ei­ner vol­len herz­haf­ten Wür­di­gung uns­rer jet­zi­gen Mensch­heit aus­zu­ge­hen: – sich nicht durch den Au­gen­schein täu­schen las­sen: die­se Mensch­heit ist we­ni­ger »ef­fekt­voll«, aber sie giebt ganz an­de­re Ga­ran­ti­en der Dau­er, ihr Tem­po ist lang­sa­mer, aber der Takt selbst ist viel rei­cher. Die Ge­sund­heit nimmt zu, die wirk­li­chen Be­din­gun­gen des star­ken Lei­bes wer­den er­kannt und all­mäh­lich ge­schaf­fen, der »As­ke­tis­mus« i­ro­ni­ce –. Die Scheu vor Ex­tre­men, ein ge­wis­ses Zu­trau­en zum »rech­ten Weg«, kei­ne Schwär­me­rei; ein zeit­wei­li­ges Sich-Ein­le­ben in en­ge­re Wert­he (wie »Va­ter­land«, wie »Wis­sen­schaft« u.s.w.).

      Dies gan­ze bild wäre aber im­mer noch zwei­deu­tig: – es könn­te eine auf­stei­gen­de oder aber eine ab­stei­gen­de Be­we­gung des Le­bens sein.

      B

      Der Glau­be an den »Fort­schrit­t« – in der nie­de­ren Sphä­re der In­tel­li­genz er­scheint er als auf­stei­gen­des Le­ben: aber das ist Selbst­täu­schung;

      in der hö­he­ren Sphä­re der In­tel­li­genz als ab­stei­gen­des.

      Schil­de­rung der Sym­pto­me.

      Ein­heit des Ge­sichts­punk­tes: Un­si­cher­heit in Be­treff der Wert­h­maa­ße.

      Furcht vor ei­nem all­ge­mei­nen »Um­sonst«.

      Ni­hi­lis­mus.

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      114.

      That­säch­lich ha­ben wir ein Ge­gen­mit­tel ge­gen den ers­ten Ni­hi­lis­mus nicht mehr so nö­thig: das Le­ben ist nicht mehr der­maa­ßen un­ge­wiß, zu­fäl­lig, un­sin­nig in un­se­rem Eu­ro­pa. Eine solch un­ge­heu­re Po­ten­zirung vom Wert­h des Men­schen, vom Werth des Übels u.s.w. ist jetzt nicht so nö­thig, wir er­tra­gen eine be­deu­ten­de Er­mä­ßi­gung die­ses Wert­hes, wir dür­fen viel Un­sinn und Zu­fall ein­räu­men: die er­reich­te Macht des Men­schen er­laubt jetzt eine Her­ab­set­zung der Zucht­mit­tel, von de­nen die mo­ra­li­sche In­ter­pre­ta­ti­on das stärks­te war. »Gott« ist eine viel zu ex­tre­me Hy­po­the­se.

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      115.

      Wenn ir­gend Et­was uns­re Ver­mensch­li­chung, einen wah­ren tat­säch­li­chen Fort­schrit­t be­deu­tet, so ist es, daß wir kei­ne ex­ces­si­ven Ge­gen­sät­ze, über­haupt kei­ne Ge­gen­sät­ze mehr brau­chen …

      wir dür­fen die Sin­ne lie­ben, wir ha­ben sie in je­dem Gra­de ver­geis­tigt und ar­tis­tisch ge­macht;

      wir ha­ben ein Recht auf alle die Din­ge, die am schlimms­ten bis­her ver­ru­fen wa­ren.

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      116.

      Die Um­leh­rung der Rang­ord­nung. – Die from­men Falsch­mün­zer, die Pries­ter, wer­den un­ter uns zu Tschan­dala’s: – sie neh­men die Stel­lung der Char­la­t­ans, der Quack­sal­ber, der Falsch­mün­zer, der Zau­be­rer ein: wir hal­ten sie für Wil­lens-Ver­der­ber, für die großen Ver­leum­der und Rach­süch­ti­gen des Le­bens, für die Em­pö­rer un­ter den Schlecht­weg­ge­kom­me­nen. Wir ha­ben aus der Dienst­bo­ten-Kas­te, den Su­dra’s, un­fern Mit­tel­stand ge­macht, un­ser »Volk«, das, was die po­li­ti­sche Ent­schei­dung in den Hän­den hat.

      Da­ge­gen ist der Tschan­da­la von Ehe­mals oben­auf: vor­an die Got­tes­läs­te­rer, die Im­mo­ra­lis­ten, die Frei­zü­gi­gen je­der Art, die Ar­tis­ten, die Ju­den, die Spi­el­leu­te, – im Grun­de alle ver­ru­fe­nen Men­schen­klas­sen –.

      Wir ha­ben uns zu eh­ren­haf­ten Ge­dan­ken em­por­ge­ho­ben, mehr noch, wir be­stim­men die Ehre auf Er­den, die »Vor­nehm­heit« … Wir Alle sind heu­te die Für­spre­cher des Le­bens –. Wir Im­mo­ra­lis­ten sind heu­te die stärks­te Macht: die großen an­dern Mäch­te brau­chen uns … wir con­strui­ren die Welt nach un­serm Bil­de –.

      Wir ha­ben den Be­griff »Tschan­da­la« auf die Pries­ter, Jen­seits-Leh­rer und die mit ih­nen ver­wach­se­ne christ­li­che Ge­sell­schaft über­tra­gen, hin­zu­ge­nom­men was glei­chen Ur­sprungs ist, die Pes­si­mis­ten. Ni­hi­lis­ten, Mit­leids-Ro­man­ti­ker, Ver­bre­cher, Las­ter­haf­ten, – die ge­samm­te Sphä­re, wo der Be­griff »Gott« als Hei­lan­d ima­gi­nirt wird …

      Wir sind stolz dar­auf, kei­ne Lüg­ner mehr sein zu müs­sen, kei­ne Ver­leum­der, kei­ne Ver­däch­ti­ger des Le­bens …

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      117.

      Fort­schrit­t des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts ge­gen das acht­zehn­te (– im Grun­de füh­ren wir gu­ten Eu­ro­pä­er einen Krieg ge­gen das acht­zehn­te Jahr­hun­dert –):

      1) »Rück­kehr zur Na­tur« im­mer ent­schie­de­ner im um­ge­kehr­ten Sin­ne ver­stan­den, als es Rous­seau ver­stand; – weg vom Idyll und der Oper!

      2) im­mer ent­schie­de­ner an­ti­idea­lis­tisch, ge­gen­ständ­li­cher, furcht­lo­ser, ar­beit­sa­mer, maß­vol­ler, miß­traui­scher ge­gen plötz­li­che Ver­än­de­run­gen, an­ti­re­vo­lu­tio­när;

      3) im­mer ent­schie­de­ner die Fra­ge der Ge­sund­heit des Lei­bes der »der See­le« vor­an­stel­lend: letz­te­re als einen Zu­stand in Fol­ge der ers­te­ren be­grei­fend, die­se min­des­tens als die Vor­be­din­gung der Ge­sund­heit der See­le.

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      118.

      Wenn ir­gend Et­was er­reicht ist, so ist es ein harm­lo­se­res Ver­hal­ten zu den Sin­nen, eine freu­di­ge­re, wohl­wol­len­de­re, Goe­thi­sche­re Stel­lung zur Sinn­lich­keit; ins­glei­chen eine stol­ze­re Emp­fin­dung in Be­treff des Er­ken­nens: so­daß der »rei­ne Thor« we­nig Glau­ben fin­det.

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      119.

      Wir »Ob­jek­ti­ven«. – Das ist nicht das »Mit­leid«, was uns die Tho­re zu den ferns­ten und frem­des­ten Ar­ten Sein und Cul­tur auf­macht; son­dern uns­re Zu­gäng­lich­keit und Un­be­fan­gen­heit, wel­che ge­ra­de nicht »mit­lei­det«, son­dern im Ge­gent­heil sich bei hun­dert Din­gen er­götzt, wo man ehe­dem litt (em­pört oder er­grif­fen war, oder feind­se­lig und kalt blick­te –). Das Lei­den in al­len Nuan­cen ist uns jetzt in­ter­essant: da­mit sind wir ge­wiß nicht die Mit­lei­di­ge­ren, selbst wenn der An­blick des Lei­dens uns durch und durch er­schüt­tert und zu Thrä­nen rührt: – wir sind schlech­ter­dings des­halb nicht hül­f­rei­cher ge­stimmt.

      In die­sem frei­wil­li­gen An­schau­en-wol­len von al­ler Art Noth und Ver­ge­hen sind wir stär­ker und kräf­ti­ger ge­wor­den, als es das 18. Jahr­hun­dert war; es ist ein Be­weis un­se­res Wachst­hums an Kraft (– wir ha­ben uns dem 17. und 16. Jahr­hun­dert ge­nä­her­t). Aber es ist ein tie­fes Miß­ver­ständ­niß, uns­re »Ro­man­tik«