unterirdischer, häßlicher, realistischer, pöbelhafter, und ebendeshalb »besser«, »ehrlicher«, vor der »Wirklichkeit« jeder Art unterwürfiger, wahrer; aber willensschwach, aber traurig und dunkel-begehrlich, aber fatalistisch. Weder vor der »Vernunft«, noch vor dem »Herzen« in Scheu und Hochachtung; tief überzeugt von der Herrschaft der Begierde (Schopenhauer sagte »Wille«; aber Nichts ist charakteristischer für seine Philosophie, als daß das eigentliche Wollen in ihr fehlt). Selbst die Moral auf Einen Instinkt reducirt (»Mitleid«).
Auguste Comte ist Fortsetzung des 18. Jahrhunderts (Herrschaft von cœur über la tête, Sensualismus in der Erkenntnistheorie, altruistische Schwärmerei).
Daß die Wissenschaft in dem Grade souverän geworden ist, das beweist, wie das 19. Jahrhundert sich von der Domination der Ideale losgemacht hat. Eine gewisse »Bedürfnißlosigkeit« im Wünschen ermöglicht uns erst unsere wissenschaftliche Neugierde und Strenge – diese unsere Art Tugend …
Die Romantik ist Nachschlag des 18. Jahrhunderts; eine Art aufgethürmtes Verlangen nach dessen Schwärmerei großen Stils (– thatsächlich ein gut Stück Schauspielerei und Selbstbetrügerei: man wollte die starke Natur, die große Leidenschaft darstellen).
Das 19. Jahrhundert sucht instinktiv nach Theorien, mit denen es seine fatalistische Unterwerfung unter das Tatsächliche gerechtfertigt fühlt. Schon Hegel’s Erfolg gegen die »Empfindsamkeit« und den romantischen Idealismus lag im Fatalistischen seiner Denkweise, in seinem Glauben an die größere Vernunft auf Seiten des Siegreichen, in seiner Rechtfertigung des wirklichen »Staates« (an Stelle von »Menschheit« u.s.w.). – Schopenhauer: wir sind etwas Dummes und, besten Falls, sogar etwas Sich-selbst-Aufhebendes. Erfolg des Determinismus, der genealogischen Ableitung der früher als absolut geltenden Verbindlichkeiten, die Lehre vom milieu und der Anpassung, die Reduktion des Willens auf Reflexbewegungen, die Leugnung des Willens als »wirkender Ursache«; endlich – eine wirkliche Umtaufung: man sieht so wenig Wille, daß das Wort frei wird, um etwas Anderes zu bezeichnen. Weitere Theorien: die Lehre von der Objektivität, »willenlosen« Betrachtung, als einzigem Weg zur Wahrheit; auch zur Schönheit (– auch der Glaube an das »Genie«, um ein Recht auf Unterwerfung zu haben); der Mechanismus, die ausrechenbare Starrheit des mechanischen Processes; der angebliche »Naturalismus«, Elimination des wählenden, richtenden, interpretirenden Subjekts als Princip –
Kant, mit seiner »praktischen Vernunft«, mit seinem Moral-Fanatismus ist ganz 18. Jahrhundert; noch völlig außerhalb der historischen Bewegung; ohne jeden Blick für die Wirklichkeit seiner Zeit, z. B. Revolution; unberührt von der griechischen Philosophie; Phantast des Pflichtbegriffs; Sensualist, mit dem Hinterhang der dogmatischen Verwöhnung –.
Die Rückbewegung auf Kant in unserem Jahrhundert ist eine Rückbewegung zum achtzehnten Jahrhundert: man will sich ein Recht wieder auf die alten Ideale und die alte Schwärmerei verschaffen, – darum eine Erkenntnißtheorie, welche »Grenzen setzt«, das heißt erlaubt, ein Jenseits der Vernunft nach Belieben anzusetzen …
Die Denkweise Hegel’s ist von der Goethe’schen nicht sehr entfernt: man höre Goethe über Spinoza. Wille zur Vergöttlichung des Alls und des Lebens, um in seinem Anschauen und Ergründen Ruhe und Glück zu finden; Hegel sucht Vernunft überall, – vor der Vernunft darf man sich ergeben und bescheiden. Bei Goethe eine Art von fast freudigem und vertrauendem Fatalismus, der nicht revoltirt, der nicht ermattet, der aus sich eine Totalität zu bilden sucht, im Glauben, daß erst in der Totalität Alles sich erlöst, als gut und gerechtfertigt erscheint.
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96.
Periode der Aufklärung, – darauf Periode der Empfindsamkeit. Inwiefern Schopenhauer zur »Empfindsamkeit« gehört (Hegel zur Geistigkeit).
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97.
Das 17. Jahrhundert leidet am Menschen wie an einer Summe von Widersprüchen (»l’amas de contradictions«, der wir sind); es sucht den Menschen zu entdecken, zu ordnen, auszugraben: während das 18. Jahrhundert zu vergessen sucht, was man von der Natur des Menschen weiß, um ihn an seine Utopie anzupassen. »Oberflächlich, weich, human«, – schwärmt für »den Menschen« –
Das 17. Jahrhundert sucht die Spuren des Individuums auszuwischen, damit das Werk dem Leben so ähnlich als möglich sehe. Das 18. sucht durch das Werk für den Autor zu interessiren. Das 17. Jahrhundert sucht in der Kunst Kunst, ein Stück Cultur: das 18. treibt mit der Kunst Propaganda für Reformen socialer und politischer Natur.
Die »Utopie«, der »ideale Mensch«, die Natur-Angöttlichung, die Eitelkeit des Sich-in-Scene-setzens, die Unterordnung unter die Propaganda socialer Ziele, die Charlatanerie – das haben wir vom 18. Jahrhundert.
Der Stil des 17. Jahrhunderts: propre, exact et libre.
Das starke Individuum, sich selbst genügend oder vor Gott in eifriger Bemühung – und jene moderne Autoren-Zudringlichkeit und -Zuspringlichkeit – das sind Gegensätze. »Sich-produciren« – damit vergleiche man die Gelehrten von Port-Royal.
Alfieri hatte einen Sinn für großen Stil.
Der Haß gegen das Burleske (Würdelose), der Mangel an Natursinn gehört zum 17. Jahrhundert.
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98.
Gegen Rousseau. – Der Mensch ist leider nicht mehr böse genug; die Gegner Rousseau’s, welche sagen »der Mensch ist ein Raubthier«, haben leider nicht Recht. Nicht die Verderbniß des Menschen, sondern seine Verzärtlichung und Vermoralisirung ist der Fluch. In der Sphäre, welche von Rousseau am heftigsten bekämpft wurde, war gerade die relativ noch starke und wohlgerathene Art Mensch (– die, welche noch die großen Affekte ungebrochen hatte: Wille zur Macht, Wille zum Genuß, Wille und Vermögen zu commandiren). Man muß den Menschen des 18. Jahrhunderts mit dem Menschen der Renaissance vergleichen (auch dem des 17. Jahrhunderts in Frankreich), um zu spüren, worum es sich handelt: Rousseau ist ein Symptom der Selbstverachtung und der erhitzten