doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und Mund, die sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet nicht mit der Hand allein.
In deiner Nähe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich einen heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird wohl und wehe dabei.
Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, für eine einzige Nacht! Nirgends auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!« –
»Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra’s.
Gerne, fürwahr, würde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwürdiger, denn ich liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein Nothschrei weg von dir.
In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Höhle ist ein guter Hafen. Und am liebsten möchte ich jedweden Traurigen wieder auf festes Land und feste Beine stellen.
Wer aber nähme dir deine Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich zu schwach. Lange, wahrlich, möchten wir warten, bis dir Einer deinen Gott wieder aufweckt.
Dieser alte Gott nämlich lebt nicht mehr: der ist gründlich todt.« –
Also sprach Zarathustra.
Der hässlichste Mensch
– Und wieder liefen Zarathustra’s Füsse durch Berge und Wälder, und seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war dankbar. »Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand ich!
An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern; klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele fliessen!« – –
Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit Einem Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere-, nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod.
Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere legte sich ihm über den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen aufthat, Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum wie ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage überfiel Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas mit den Augen angesehn habe: erröthend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte er den Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle verlasse. Da aber wurde die todte Öde laut: vom Boden auf nämlich quoll es gurgelnd und röchelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte Wasser-Röhren gurgelt und röchelt; und zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme und Menschen-Rede: – die lautete also.
»Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Räthsel! Sprich, sprich! Was ist die Rache am Zeugen?
Ich locke dich zurück, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein Stolz sich hier nicht die Beine bricht!
Du dünkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das Räthsel, du harter Nüsseknacker, – das Räthsel, das ich bin! So sprich doch – wer bin ich! «
– Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte, – was glaubt ihr wohl, dass sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen Holzschlägern widerstanden hat, – schwer, plötzlich, zum Schrecken selber für Die, welche ihn fällen wollten. Aber schon stand er wieder vom Boden auf, und sein Antlitz wurde hart.
»Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist der Mörder Gottes! Lass mich gehn.
Du ertrugst Den nicht, der dich sah, – der dich immer und durch und durch sah, du hässlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!«
Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nach Worten zu suchen. »Bleib!« sagte er endlich –
– bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst!
Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn tödtete, – dem Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.
Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also – meine Hässlichkeit!
Sie verfolgen mich: nun bist du meine letzte Zuflucht. Nicht mit ihrem Hasse, nicht mit ihren Häschern: – oh solcher Verfolgung würde ich spotten und stolz und froh sein!
War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht folgen: – ist er doch einmal – hinterher! Aber ihr Mitleid ist’s –
– ihr Mitleid ist’s, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. Oh Zarathustra, schütze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der mich errieth:
– du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher ihn tödtete. Bleib! Und willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der Weg ist schlecht.
Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich bin’s, der hässlichste Mensch,
– der auch die grössten schwersten Füsse hat. Wo ich gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden.
Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend; dass du erröthetest, ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra.
Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber dazu – bin ich nicht Bettler genug, das erriethest du –
– dazu bin ich zu reich , reich an Grossem, an Furchtbarem, am Hässlichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, ehrte mich!
Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der Mitleidigen, – dass ich den Einzigen fände, der heute lehrt »Mitleiden ist zudringlich« – dich, oh Zarathustra!
– sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die zuspringt.
Das aber heisst heute Tugend selber bei allen