Sven Elvestad

Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten


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Scheiben mit Staubhäutchen überzogen waren, ließen keine Helligkeit durch.

      Unter der Lampe stand ein Tisch, der ebenfalls mit Geräten überfüllt war. Er war wie ein Nähtisch, aber in vergrößerter Form, alles war riesenhaft, die Scheren eine halbe Elle lang, die Nadeln wie Spieße, auch der Fingerhut hatte eine andere Form, ein grober Leinenhandschuh mit einer Platte aus Eisen im Innern. Der Segelmacher schob ein paar Holzstühle an den Tisch und bot dem Lotsenältesten Platz an. Doch zuerst versicherte er sich, daß die Fenster mit Holzläden verschlossen waren, so daß niemand hereinschauen konnte.

      Der Lotsenälteste setzte sich mit einer Art feierlichen Würde, man konnte ihm ansehen, daß er der Träger einer wichtigen Botschaft war.

       Anfangs verhielt er sich schweigend, er saß hochaufgerichtet da, von der Last seiner Sendung beklommen. Er war blaß – wenn man in diesem wettergebräunten kupferfarbenen Gesicht von Blässe sprechen konnte. Es war eher eine Art grün, das sich am deutlichsten um die Augen lagerte. Der Blick war aufwärts auf einen Punkt der Zimmerdecke gerichtet, den er vielleicht festhalten wollte, um den Kurs nicht zu verlieren. Der Segelmacher beugte sich über den Tisch zu ihm vor und spürte nun deutlich den Branntweingeruch.

      »Du hast getrunken, Lotsenältester«, flüsterte er freundlich – denn er war froh, Nachsicht üben zu können.

      »Das habe ich,« erwiderte der Lotsenälteste, noch immer zur Höhe blickend, »das habe ich ...«, er sagte es wie ein Geständnis.

      »Aber du weißt, Segelmacher, daß das nicht meine Gewohnheit ist. Aber die Dinge, die ich heute abend erlebt habe, haben mich so nachdenklich gestimmt, daß ich mir eine kleine Herzstärkung leisten mußte. Daraus darfst du mir keinen Vorwurf machen, Segelmacher.«

       Der Segelmacher schien darüber ganz erschrocken. Er hob beschwörend die Hand.

      »Nein, nein, nein«, rief er. »So war es nicht gemeint.«

      Plötzlich bekam er Angst, daß er mit seiner heiseren Stimme zu laut geschrien hatte. Er schielte über die Schulter zurück, und mit einschmeichelnder Freundlichkeit fuhr er im Flüsterton fort:

      »Ich nehme ja selbst ein kleines Schnäpschen ...«

      Er erhob sich und schleppte sich vorsichtig zur Tür hin, wo er mit dem Ohr am Schlüsselloch lauschte.

      » ... wenn ich spüre, daß ich –«

      So geräuschlos es in den ausgetretenen Pantoffeln möglich war, schlich er sich in die dunkelste Ecke der Werkstatt, wo das Segel von der Decke herabhing. Während er an dem Lotsenältesten vorbeipassierte, brachte er seinen Satz zu Ende:

      » ... daß ich die Trostlosigkeit dieses Lebens nicht mehr aushalten kann.«

      Der Lotsenälteste merkte, daß der andere nach Branntwein suchte. Das Schlurfen der Pantoffel und das geheimnisvoll versteckte Wesen des Segelmachers und sein Verschwinden zwischen den Falten des dunklen Segels – all dies rief in dem umnebelten Hirn des Lotsenältesten die Vorstellung eines seltsamen mystischen Vorgangs hervor: es war eine große Reise, die sein Freund da unternahm, eine Reise zu fremden Himmelsstrichen. Im nächsten Augenblick kam der Freund aus den Falten des Segels mit der Flasche in der Hand zum Vorschein.

      XIII. »Andreas ist gekommen!«

       Inhaltsverzeichnis

       Nach den ersten Gläsern wurde der Lotsenälteste mitteilsamer. Aber er sprach anfangs so rätselhaft und unverständlich, daß der Segelmacher ihn ernstlich für betrunken hielt. Und da der Segelmacher meinte, daß er hinter dem andern nicht zurückzustehen brauchte, fing ein eifriges Nippen an den Gläsern an.

      »Das war schön von dir, daß du aufgestanden bist«, sagte der Lotsenälteste. »Das werde ich dir nie vergessen, prost! Ich mochte nicht länger allein daheim bleiben. Ich mußte mit jemandem reden. Du weißt, ich bin sonst so gerne in meinem kleinen Heim. Ich kann es mir so recht gemütlich machen mit meiner Pfeife – und mit einem ganz winzig kleinen Gläschen.«

      Er maß die Größe des Glases zwischen zwei Fingern, und dieses Maß schien unwahrscheinlich klein für den schwer angeheiterten Mann.

      »Mir fehlt es nie an Gesellschaft,« fuhr er fort, »meistens habe ich an mir selbst genug. Ich habe an soviel zurückzudenken, an all meine Erlebnisse in der Jugendzeit. Ich habe ein schönes Stück Welt gesehen.«

      »Das hast du«, sagte der Segelmacher, der die Natur hatte, es mit allen zu halten. Er merkte, daß der Lotsenälteste aus einem bestimmten Grunde gekommen war und sich jetzt nicht entschließen konnte anzufangen – wie es die Art der Menschen hier war.

      Der Lotsenälteste stieß mit ihm an und trank, dann blieb er eine Weile sitzen und betrachtete das leere Glas in seiner Hand. Endlich sagte er:

      »Aber das Allermerkwürdigste habe ich doch heute abend in meiner Stube erlebt.«

      »Etwas Unangenehmes?« fragte der Segelmacher mit so schneidend falschem Mitgefühl, daß es sich anhörte, als wollte er eigentlich sagen: es wird sich doch nicht so verflucht glücklich fügen, daß ihm ein Malheur zugestoßen ist?

      Der Lotsenälteste hob warnend die Hand:

      »Noch habe ich nichts gesagt. Merke wohl! Noch kann niemand von mir behaupten, daß ich mein Wort gebrochen habe. Aber die Last wird mir vielleicht doch zu schwer. Ich hätte ihm nicht versprechen sollen zu schweigen. Aber anfangs habe ich nicht darüber nachgedacht. Ich war zu überwältigt von diesem merkwürdigen Ereignis, von diesem Besuch. Aber wie ich nur wieder allein war, begann es mir aufzudämmern, wie schwer es für einen Menschen ist, ein solches Geheimnis für sich zu behalten. Da war auch vieles, das ich nicht verstand. Ich sagte zu mir selbst: Darüber kannst du nachdenken, wenn du im Bett liegst. Begib dich nun zur Ruhe! Aber ich hatte eine Art Fieber im Blut. Es war mir unmöglich, zur Ruhe zu gehen. Und das Schlimmste war, daß mir das Alleinsein unbehaglich zu werden anfing. Das ist doch zum Lachen – haha! Das ist mir nicht vorgekommen, seit ich ein kleines Kind war und erschreckt wurde. Ich bin eigentlich nie darauf gekommen, womit ich erschreckt worden bin, aber heute abend erinnerte ich mich so deutlich daran. Dieselbe Angst kam wieder über mich alten Mann. Aber auch heute abend konnte ich nicht verstehen, woher das Unheimliche kam.«

       »Es wird die Unruhe von der See sein«, sagte der Segelmacher. »Manchmal kann auch über mich so etwas kommen.«

      »Nein, das ist nicht die Unruhe von der See. So etwas spüre ich immer ganz anders. Wie oft habe ich in Unwetternächten am Fenster gestanden und auf Trauerkunde vom Meer gewartet, aber das war immer ein ganz anderes Gefühl. Heute abend hatte ich auch die Vorahnung eines Unglücks, aber eines Unglücks, das näher war. Das gewissermaßen in meiner eigenen Stube daheim war. Vielleicht hat es etwas mit der Luft zu tun gehabt. Es ist eine wunderlich drückende Luft heute abend, findest du nicht, Segelmacher, die Sterne verschwinden einer nach dem andern, und der Himmel im Osten ist schon ganz schwarz. Und außerdem ist ein so wunderbarer Geruch in der Luft, jedenfalls spürte ich es so in meiner Stube, ein Geruch wie von fauligem Kielwasser. Sieh doch nach, wie das Wetter ist, Segelmacher.«

      »Ja, ja«, flüsterte der Segelmacher, ganz verwirrt von den ungewöhnlichen Worten des Lotsenältesten, und schleppte sich zwischen Segeln und Tauenden zum Fenster, um einen Spalt zu öffnen. Sein Räuspern und seine schleichenden Schritte machten den Eindruck, als wäre er auf dem Wege, sich auf seinem eigenen Dachboden zu erhängen.

      »Es trübt sich,« meldete er heiser vom Fenster her, »wir bekommen morgen früh Unwetter, aber noch ist es still.«

      Der Segelmacher kehrte auf seinen Platz zurück. Der Lotsenälteste hatte ihn sehr neugierig gemacht. Aber seine Neugierde hatte auch einen Anstrich von Schadenfreude, teils, weil der Lotsenälteste zuviel getrunken hatte, und teils, weil er so wirr herumredete – der Lotsenälteste, der sonst einen so überlegenen Ton anschlug, er war ja die höchste Instanz an diesem Orte.

      Auch jetzt vergaß der Lotsenälteste nicht die Würde zu wahren,