gerne zur Ruhe legen. Und während ich da stand und das Licht entzündete, schlugen sie mit der Axt nach mir. Hier, über der Schläfe. Ich weiß nicht mehr, ob es weh tat, ich habe keine Schmerzen mehr. Aber von dem Augenblick an, in dem es geschah, bin ich auf der Wanderschaft von hier fort. Ich entferne mich immer mehr und mehr. Du mußt mir folgen, Signe.«
»Ja, ich folge dir«, antwortete sie eifrig. »O wie böse sind sie gegen dich gewesen, Andreas!«
»Nein, nein,« sagte er vorwurfsvoll, »es ist nichts anderes geschehen, als was sich vollziehen mußte. Ich empfinde es jetzt als eine Befreiung. Hier soll niemand angeklagt werden. Sie trugen mich in das Boot hinunter, die Stufen hinab, die ich so gut kannte. Nun werde ich nie mehr die Lichter meiner Kindheit sehen. Dann ruderten sie mich an das andere Flußufer und senkten mich ins Schilf. Da liege ich nun.«
Eine Hand löste sich aus seinen regungslosen Mantelfalten und winkte nach rückwärts, diese Hand leuchtete weiß gegen die dunkle Tür.
»Jetzt kommen sie zurückgerudert«, sagte er.
Signe streckte verzweifelt die Arme nach ihm aus.
»Ich kann dich nicht mehr so deutlich sehen«, flüsterte sie. »Du entschwindest mir. Aber du bist nicht tot. Ich kann dein Herz schlagen hören.«
»Das ist nicht mein Herz,« sagte Andreas, »das sind die Ruder, die draußen im Boot an die Gabeln schlagen. Sie kommen.«
Er begann wieder in die Balken der Tür einzudringen; die schrägen Bretter, die Punkte der Nägel waren nun wie ein Gespinst durch seinen Körper zu sehen. Das letzte, was deutlich war, war seine weiße Hand, die sich durch die rostigen Beschläge des Schlosses nach Signe ausstreckte. Seine Stimme klang schon ganz ferne:
»Du mußt mir folgen, Signe.«
»Ich folge dir«, antwortete Signe beinahe unhörbar.
Sie war zum Kamin zurückgewichen, wo sie niedergeschmettert und ratlos stehenblieb. Sie schien auf etwas zu warten und lauschte stumm in das öde Haus.
Unten von der Brücke hörte man ein Boot, das anlegte. Die Ruder wurden geräuschvoll unter die Ruderbänke geworfen, und schwere Schritte trampelten über die Balken der Brücke.
Bald darauf wurde die große Tür auf ihren knirschenden Angeln zurückgeschoben. Draußen baumelte eine Laterne hin und her.
Zuerst kam Kaisa herein, sie trug die Laterne. Dann folgte Johannes. Die Tür blieb offenstehen, das Nachtdunkel erfüllte die Öffnung. Jetzt waren keine Sterne mehr zu sehen. Auch der Fluß war nicht sichtbar, nur das schwache Rauschen der langsam dahinströmenden Wasserfluten erfüllte die Stube mit einem kalten feuchten Hauch.
Die Fährleute blieben betroffen stehen und betrachteten die Kerzen auf dem Tisch. Signe sahen sie nicht gleich. Aber nun bewegte sie sich drüben am Kamin, und die alte Kaisa hob die Laterne über ihren Kopf.
»Ach, das ist Signe«, sagte sie.
Und als wünschte sie sich freundlich zu zeigen, wiederholte sie sanft:
»Bist du es, Signe?«
Signe rückte vom Kamin ab, um an den alten Leuten vorbei auf den Fluß hinaus sehen zu können. Ihr Blick streifte an allem Gegenwärtigen vorbei, um irgend etwas in der Dunkelheit dort draußen zu ergründen.
»Zum Kuckuck, was starrt sie denn an?« murmelte der Mann mißtrauisch.
Die Alte zischte ihm zu:
»Laß Signe gehen. Komm näher, Signe«, bat sie einschmeichelnd.
Signe glitt ein paar Schritte näher heran, aber blieb dann wieder stehen. Die kleine, lichte Gestalt mitten in der großen Stube sah unsäglich arm und dürftig aus.
»Bist du schon lange hier?« fragte Kaisa.
Signe schüttelte den Kopf.
Nein, sie war noch nicht lange hier.
»Und hast du es hier so schön mit den Lichtern ausgeschmückt?«
Signe nickte.
»Das ist ja wie am Weihnachtsabend«, sagte Kaisa. »Ist sonst jemand hier gewesen?«
Kopfschütteln, nein.
»Ist Ann-Mari noch nicht zurückgekommen?«
»Nein.«
Kaisa wandte sich dem Mann zu und sagte leise und beruhigend:
»Ich habe es ja gewußt.«
Johannes entzog sich ihr unwillig, mit sichtlichem Abscheu vor ihrer unnatürlich sanften Stimme.
Er setzte sich an den Tisch und beugte sich über die Tischplatte vor. Die ganze Zeit sah er Signe an. Es war, als fiele ihm erst jetzt irgend etwas Furchteinflößendes an ihr auf, von dem er den Blick nicht abwenden konnte.
»Ach ja, jetzt ist der Fremde fort«, sagte Kaisa.
»Ja, jetzt ist er fort«, flüsterte Signe. Kaisa hob die Laterne gegen sie und fragte verwundert:
»Weißt du es?«
Signe antwortete nicht, sondern starrte nur auf die geöffnete Tür und lauschte. Plötzlich fragte sie:
»Hört ihr nicht?«
»Was ist das?« fragte der Mann und sprang jäh auf. Er umklammerte mit den Händen die Tischplatte, um sich zu stützen.
»Jemand ruft drüben«, sagte Signe.
Sie stand mit halbgeschlossenen Augen da, sie war in ihrer eigenen Welt. Man konnte es ihr ansehen, daß sie die Worte der anderen nur als Fragen erfaßte, die zu ihr kamen, ohne daß sie ahnte woher.
»Man ruft«, sagte sie.
»Ich höre nichts«, rief der Mann heftig. »Was ruft man denn?«
» Hol über!« erwiderte Signe.
Johannes verschluckte einen Fluch.
»Ich höre nichts,« wiederholte er, »und ich habe diesen Ruf doch ein Menschenalter gehört.«
Er war sehr bleich geworden. Kaisa hob die Laterne.
»Du kennst sie ja,« sagte sie, »du weißt ja, was sie immer zusammenfaselt. Aber du brauchst etwas Starkes, ich hole Branntwein.«
Sie wollte in die Küche hinausgehen, aber Johannes hielt sie am Umhangtuch zurück.
»Bleib hier!« rief er. »Laß mich nicht allein mit der dort.«
Er deutete mit einer zitternden Hand auf Signe.
»Der dort«, wiederholte er. »Sieh nur, wie grau und still sie dasteht, sie ist das Gewissen.«
Im selben Augenblick hörte man draußen Stimmen und Schritte und donnernde Schläge an das Haustor.
»Der Lotsenälteste«, murmelte Kaisa verwundert. »Was will er so spät noch hier?«
XV. Die Rache
Jedesmal, wenn der Lotsenälteste draußen mit den Knöcheln an die Tür schlug, griff sich Johannes an die Brust, als ob das Klopfen ihm physischen Schmerz zufügen würde. Er war die Beute eines Schreckens, der sich nicht mehr dämpfen ließ – und alles nährte diesen Schrecken: die Geräusche der Menschen, die kamen, die Stille, in der er nichts mehr vernahm, die Einsamkeit, die drohte, die Gegenwart von Menschen, alles.
Seine ganze Gestalt brachte auch zum Ausdruck, wie hemmungslos er sich der Angst ausgeliefert hatte: seine lauernde Haltung, die auf die Absicht zu flüchten schließen ließ, aber auch zugleich die Angst vor der Einsamkeit der Flucht verriet, und sein flehentlicher Griff um Kaisas Arm: niemand durfte ihn verlassen.
Seine Augen sprachen von jener wilden Verwirrung,