Sven Elvestad

Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten


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mit krummem Rücken über den Tisch vorgebeugt dahockte.

      »Ja, bald bekommen wir ein Unwetter,« sagte der Lotsenälteste abschließend, »solch ein Unwetter, wie es in den Tropen häufig ist, aber wie es auch manchmal hier oben in unseren Breitengraden vorkommen kann.«

      Er wischte sich die schweißfeuchte Stirn mit dem Taschentuch.

      »Das legt sich wie eine furchtbare Last auf das Gemüt,« fuhr er fort, »verflucht, daß das gerade heute nacht kommen mußte.«

      In die Augen des Lotsenältesten war plötzlich ein hilfloser, verwirrter Ausdruck gekommen, der nicht vom Trinken allein herrührte.

      »Als ich drüben in meiner Stube saß,« sagte er, »mußte ich an die alten Geschichten von der See denken. Wir zwei kennen die See einigermaßen, was, Segelmacher, aber was wissen die Landkrabben von dem Leben der Meere und der Schiffe. Sie machen große Reisen, um Wüsten und Bergketten zu erforschen, sie schreiben dicke Bücher mit Berichten über fremde Völkerschaften, aber die See, die kennen sie nicht. Was wissen sie von dem Nebelleben auf der Doggerbank oder von der furchtbaren Seelenangst, die sich vor einem Tropensturm über das Meer ausbreitet? Oder von all den Signalen? Den Signalen, die auf irgendeine unergründliche Weise von Schiff zu Schiff gehen? Was wissen sie von diesen geheimnisvollen Besuchen, die die Schiffer auf dem Meere bekommen? Diesen Besuchen, von denen wir Seeleute nicht gerne sprechen, wenn wir auf festem Land sind, weil sie hier gleichsam so abenteuerlich und lügnerisch klingen, aber die draußen auf der See mit zur Ordnung der Natur gehören. Obgleich –«

      Er sah sich um.

      »Obgleich es hier drinnen auch wie auf der See ist. Dein Dachboden erinnert an ein Wrack, das verlassen ist. Solch ein sturmgepeitschtes Wrack mit herabhängenden Segelfetzen, wie es einem in einer Mondscheinnacht auf dem Meere begegnen kann, das liegt akkurat so still wie die Werkstatt hier. Alle Seeleute fürchten sich vor solchen Wracks und weichen ihnen im Bogen aus, um nur nicht das Verdeck mit den gebrochenen Masten sehen zu müssen. Hier drinnen leben unsere alten Geschichten wieder auf. Akkurat so war es auch heute abend bei mir. Das machte dieser verdammte Geruch von fauligem Meerwasser.«

      Er sah zum Segelmacher hinüber, der nur nickte. Der Segelmacher spürte immer Freudenschauer, wenn von den mystischen Ereignissen auf dem Meer die Rede war.

      »Erinnerst du dich noch«, fuhr der Lotsenälteste fort, »an den Steuermann auf der ›Elida‹, der mitten auf dem Atlantischen Ozean einen fremden Mann in der Kajüte des Kapitäns sah? Er stürzte auf das Verdeck, um den Kapitän zu holen, und als sie wieder in die Kajüte hinunterkamen, war niemand da, aber sie sahen, daß jemand einen neuen Kurs auf der Karte eingezeichnet hatte. Ja, du erinnerst dich an diese Geschichte, wie ich sehe. Der Mann kam von einem Schiff in Seenot, viele Meilen weit weg. Und noch lange nachdem er unten in der Kajüte gewesen war, hing dieser scharfe Geruch an den Kajütenwänden. Viele solche Erinnerungen kamen heute abend über mich. Höre nun –«

       Er lehnte sich über den Tisch vor und legte seine Hand vertraulich auf die des Segelmachers.

      »Ich hatte heute abend den Besuch eines Mannes,« sagte er, »der mir ein Geheimnis anvertraute. Aber nachdem er fort war, fühlte ich ganz deutlich, daß auch andere zu Besuch in meiner Stube weilten, aber andere, die ich nicht sehen konnte, so wie es nachts auf der See vorkommen kann. Sie kamen erst, nachdem er fort war. Und ich hatte vergessen, ihn zu fragen, wie viele tot waren und wie viele noch am Leben.«

      »Um Himmels willen, wovon redest du eigentlich?« fragte der Segelmacher.

      »Von den Toten. Ich kann ja nicht wissen, wie viele tot sind. Davon hat er nichts gesagt.«

      »Welche Toten meinst du?«

      »Die von der ›Glücksprobe‹.«

      Der Segelmacher fuhr zusammen. War der Lotsenälteste übergeschnappt? Wäre es nicht am besten, die Alte zu wecken?

      Der Lotsenälteste sagte leise und ernst, so ernst, daß seine Stimme zitterte:

       »So sollte sich am zwanzigsten Jahrestag doch etwas begeben.«

      »Aber was hat sich denn begeben, Lotsenältester?«

      »Ja, was hat sich begeben? Was hat sich ereignet?«

      Der Lotsenälteste sprach nun halb zu sich selbst und strich sich gedankenvoll den Bart:

      »Ich habe keinen Eid geschworen«, sagte er. »Ich bin nicht meineidig. Ich habe ihm mein Versprechen gegeben. Aber er hat mir keinen Schwur abgenommen.«

      Plötzlich rief er laut:

      »Er ist zurückgekommen! Einer von ihnen ist zurückgekommen.«

      *

      Der Segelmacher sah ihn erschrocken an, aber von dem Lotsenältesten ging ein so eindringlicher Ernst aus, daß der Segelmacher unwillkürlich unter seinen Bann geriet. Der Lotsenälteste fuhr fort:

      »Ich hatte heute abend den Besuch von Andreas von der ›Glücksprobe‹.«

       Als der alte Segelmacher diesen Namen hörte, begann er zu zittern.

      »Gestern ... das Wirtshaus«, murmelte er, aber er beendete den Satz nicht. Sein Blick sprach deutlich genug. Gestern im Wirtshaus hatte doch gerade der Lotsenälteste alle davor gewarnt, noch weiter an die alte Brigg zu denken. Er hatte den Fluch an die Wand gemalt. Und nun ... so stand es im offenen Blick des Segelmachers zu lesen ... nun hatte sich der Lotsenälteste selbst im Netz des Fluchs verstrickt.

      »Von diesem Schiffe kommen wir nie los, Lotsenältester«, flüsterte der Segelmacher. »Wir können dagegen ankämpfen soviel wir wollen, wir werden nie damit fertig.«

      Der Lotsenälteste stand auf. Er wankte, und der Segelmacher eilte herbei, um ihn mit seiner schiefen Schulter zu stützen.

      »Das ist eine häßliche, drückende Luft hier«, sagte der Lotsenälteste. »Das Atmen fällt mir schwer.«

      Um den Hals hatte er ein wollenes Tuch, das er löste. Er ging mühsam zu dem kleinen Fenster hin und riß es auf. Dann sah er hinaus. »Wie ich es mir gedacht habe. Der Himmel ist so dick wie ein Polster.«

      Er suchte die Dunkelheit mit seinen scharfen Lotsenaugen zu durchdringen.

      »Mir scheint, dort drüben am andern Flußufer bewegt sich etwas. Ist das nicht ein Boot drüben im Schilf?«

      Der Segelmacher konnte nichts sehen.

      »Ich habe bessere Augen als du,« sagte der Lotse, »vielleicht ist wer da, vielleicht auch nicht. Möglicherweise ist jemand von den anderen gekommen. Mach das Fenster zu!«

      Der Segelmacher führte ihn an den Tisch zurück und bemühte sich eifrig um ihn, um ihn zu beruhigen. Dann wischte er den Holzsessel mit dem Rockärmel ab. Aber der Lotsenälteste wollte sich nicht mehr setzen.

      »Wir müssen jetzt gehen«, sagte er,

      »Ich auch?«

      »Ja, du auch. Ich will dich mithaben. Darum bin ich hergekommen.«

      »Wo sollen wir hin?«

      »Ins Wirtshaus.«

       »Zu der alten Hexe? So spät! Sie wird schon zugesperrt haben.«

      »Macht nichts. Man wird uns schon aufmachen. Ich muß mit Andreas reden.«

      »Andreas!« Dem alten Segelmacher gab es wieder einen Ruck, und er drehte langsam den Kopf über die Schulter zurück, als ob er fürchtete, ein Gespenst aus der Dunkelheit hervortreten zu sehen. Er beeilte sich, die Gläser zu füllen, und trank hastig.

      »Andreas ist gekommen. Hast du nicht verstanden?« rief der Lotsenälteste unwirsch. »Ich wollte ihm ja mein Wort halten. Aber dann kam diese furchtbare Ahnung über mich, daß noch andere Gäste in der Stube sein könnten. Die ganze Luft war von Hast und Ungeduld erfüllt. Und diese Ungeduld drang mir ins Herz und setzte sich hier fest.«

      Er zog den Rock über der Brust zusammen.

      »Und dann kam es mir