Adolf Erik Nordenskiold

Die erste Umsegelung Asiens und Europas


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Kälte und des geringen Salzgehalts des oberen Wassers sehr mächtig wird, obgleich früh gebrochen, nicht von den Meeresströmungen fortgeführt und über ein auch im Winter offenes Meer verteilt werden kann. Der größte Teil des Eises, welches sich im Winter im Karischen Meer bildet, und vielleicht auch ein Teil von dem, welches von dem Polarbassin dort hinuntertreibt, wird im Gegenteil gegen die Ostküste Nowaja Semljas angehäuft, wo es während des Sommers die drei Sunde versperrt, welche das Karische Meer mit dem Atlantischen Ozean verbinden. Es sind diese Eisverhältnisse, welche das Missglücken aller älteren Nordostfahrten verursacht und dem Karischen Meer seinen schlechten Ruf und den Namen »Eiskeller« eingetragen haben. Jetzt wissen wir, dass es sich nicht so gefährlich damit verhält, wie man früher glaubte, dass das Eis des Karischen Meeres größtenteils schmilzt und dass man deshalb dieses Meer während des Sommers sehr wohl für die Schifffahrt benutzen kann.

      Im Allgemeinen war unsere Kenntnis des Karischen Meeres noch vor einigen Jahrzehnten nicht nur unvollständig, sondern auch unrichtig. Man glaubte, dass sein Tierleben äußerst arm wäre und dass alle Meerespflanzen fehlten; man hatte keine Senkbleiuntersuchungen, außer unmittelbar an der Küste, veranstaltet; die Richtigkeit der Karten wurde mit Recht stark in Zweifel gezogen. Jetzt ist dies alles sehr wesentlich verändert. Die Küstenlinien, welche das Meer begrenzen, sind auf den Karten festgestellt; man kennt die Eisverhältnisse, die Strömung, die Tiefe der verschiedenen Teile des Meeres, und man weiß, dass die alte Vorstellung über seine Armut an Tieren und Pflanzen völlig unrichtig ist.

      Zunächst will ich zu dem Bericht über unsere Fahrt durch das Karische Meer zurückkehren. Hierüber enthält mein Tagebuch Folgendes:

      2. August. Fortdauernd herrliches Wetter und kein Eis. Die Lena scheint sich von den übrigen Fahrzeugen entfernen zu wollen und bemerkt nicht die Flagge, die als übereingekommenes Zeichen gehisst ist, dass ihr Kapitän an Bord der Vega kommen oder sich wenigstens mit seinem kleinen Fahrzeug bis auf Hörweite nähern soll. Die Fraser wird deshalb entsandt, um die Lena einzuholen, was auch gegen Abend gelingt.

      3. August. Am Morgen kam Kapitän Johannesen an Bord der Vega. Ich gab ihm Befehl, Dr. Almqvist sowie die Leutnants Hovgaard und Nordqvist an Bord zu nehmen und mit denselben nach Beli-Ostrow abzugehen, wo sie während sechsunddreißig Stunden Freiheit hatten, zu jagen und Volk, Tiere und Pflanzen nach ihrem Belieben zu studieren; darauf sollte die Lena, wenn möglich, durch die Straße zwischen der Insel und Jalmal nach Dicksonshafen weiterfahren, wo auch die übrigen Fahrzeuge zusammentreffen sollten.

      Im Laufe des Tages hatten wir viel verteiltes und zerfressenes Eis angetroffen, welches uns durch seinen dämpfenden Einfluss auf den Seegang nur hätte von Nutzen sein können, wenn es nicht den gewöhnlichen Begleiter des Grenzeises, einen dichten Nebel, im Gefolge gehabt hätte, welcher sich jedoch mitunter etwas aufklärte.

      Gegen Abend bekamen wir Beli-Ostrow in Sicht. Diese Insel bildet, vom Meer aus gesehen, eine ganz gleichmäßige Ebene, welche sich nur wenig über das Wasser erhebt.

      4. August. Ein leises Schaukeln gab am Morgen zu erkennen, dass das Meer, wenigstens für eine bedeutende Strecke luvwärts, wieder eisfrei war. Schon gestern nahm der Salzgehalt im Wasser ab und der Tongehalt zu, und jetzt ist das Wasser nach Filtrierung beinahe trinkbar. Es hat eine gelbgraue Tonfarbe angenommen und ist fast undurchsichtig, sodass das Schiff in Tonschlamm zu segeln scheint. Wir sind offenbar im Stromgebiet des Ob und des Jenissej.

      5. August. Noch immer unter Segel im Karischen Meer, in welchem das eine oder andere Stück Eis umhertrieb. Das Eis hörte vollständig auf, als wir nordwestlich von Beli-Ostrow waren. Mehrere Male während des Tages hatten wir nur neun Meter Tiefe, was jedoch infolge der ebenen Beschaffenheit des Meeresbodens nicht gefährlich ist. Nebel, starker Seegang und eine knappe, aber ziemlich harte Brise verzögerten unser Fortkommen.

      Am 6. August um 3 Uhr morgens bekamen wir Land in Sicht. Im Nebel waren wir ein Stück in den Auslaufbusen des Jenissej hineingefahren, sodass wir umwenden mussten, um nach unserem Bestimmungsort Dicksonshafen zu kommen. Die Mastspitzen der Express waren über die Eilande nach Norden hin sichtbar, und bald lagen beide Fahrzeuge südlich von einem Eiland vor Anker, von dem wir annahmen, dass es die Dickson-Insel sei; als aber kurz darauf auch die Fraser an unsere Seite kam, erfuhren wir, dass dies ein Missverständnis war. Der Strand, welcher, von unserem ersten Ankerplatz aus gesehen, zum Festland zu gehören schien, gehörte in Wirklichkeit zu dieser ziemlich ausgedehnten Insel, innerhalb derer der Hafen selbst gelegen war.

      Der Hafen, welcher jetzt von Leutnant Bove auf der Karte verzeichnet ist, wurde 1875 von mir entdeckt und Dicksonshafen genannt [zu Ehren seines Mäzens Oskar Dickson]. Es ist der beste bekannte Hafen an der ganzen Nordküste Asiens und wird in Zukunft sicher eine große Bedeutung für die Ein- und Ausfuhr Sibiriens erlangen.

      Bei unserer Ankunft sahen wir sechs wilde Rentiere auf der Dickson-Insel weiden, von denen eins von Palander erlegt, die anderen aber vergebens gejagt wurden. Außerdem sahen wir einige Bären, und überall zwischen den Steinhaufen fand man Überbleibsel von Lemmingen und Füchsen. Im Übrigen war das höhere Tierleben ziemlich armselig.

      Ich bin überzeugt, dass noch der Tag kommen wird, wo es große Magazine und viele das ganze Jahr hindurch bevölkerte Wohnstätten am Dicksonshafen geben wird. [Der Hafen ist heute ein bedeutender Umschlagplatz für das Hinterland des Jenissej-Gebietes.] Jetzt aber ist die Gegend bis nach Goltschicha völlig unbewohnt, obgleich früher zahlreiche, das Fluss- und Meeresufer entlang über die Jenissej-Mündung hinaus bis an die Pjäsina aufgeführte Wohnhäuser vorhanden waren. Diese sind seit langer Zeit verlassen, an erster Stelle wohl infolge des Abnehmens der Jagd, wahrscheinlich aber auch deshalb, weil die einfachen und anspruchslosen Sitten der alten Zeit auch hier an der fernen Nordküste Sibiriens neuen Bedürfnissen gewichen sind, welche schwer in einer Zeit zu befriedigen waren, in der noch keine Dampfboote den Verkehr auf dem Flussgebiet des Jenissej vermittelten.

      Die Simovien an der Mündung des Jenissej bildeten seinerzeit die am weitesten nach Norden vorgeschobenen festen Wohnstätten der europäischen Völkerstämme. Gelegen, wie sie es waren, am Fuße der kahlen Tundra, beständigen Schneestürmen im Winter und schweren Nebeln während des größeren Teils des hier so kurzen Sommers ausgesetzt, scheint es, als ob dieselben ihren Bewohnern nicht viele Gelegenheiten zu Genüssen hätten bieten können, und der Anlass, warum man gerade diese Gegend zum Aufenthalt gewählt hatte, besonders in einem an ausgezeichnetem Boden so reichen Land wie Sibirien, scheint sich schwer erklären zu lassen.

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      Für die Einwohner dieser Gegenden soll kein besonders guter Vorrat an russischen Frauen vorhanden sein, wenigstens beklagte sich der Kosak Theodor, welcher in den Jahren 1875 und 1876 einige verunglückte Versuche machte, mir als Lotse zu dienen, und welcher selbst ein schon ältlicher, runzelig gewordener Junggeselle war, dass das schöne oder schwächere Geschlecht unter den Russen sehr wenig vertreten wäre. Er lenkte das Gespräch sehr oft auf die Vorteile gemischter Ehen, indem er – ich weiß nicht, ob von Erinnerungen oder Hoffnung inspiriert – meinte, dass ein Dolganenweib die wünschenswerteste Partie für einen heiratslustigen Mann in jener Gegend wäre.

      Etwas weiter nach Süden, aber noch weit nördlich von der Waldgrenze, gibt es jedoch ganz wohlhabende Bauern, welche große, aus vielen Häusern bestehende Simovien bewohnen, in denen ein gewisser Luxus herrscht, wo man auf Teppichen von Pelzwerk geht, wo die Fenster ganz sind, die Heiligenbilder mit Gold- und Silberplatten bedeckt, die Wände mit Spiegeln versehen und mit zierlich gemalten Kupferstichporträts russischer Kaiser und Generale bekleidet sind. Diesen Wohlstand erwarben sie sich durch ihren Handel mit den Eingeborenen, welche mit ihren Rentierherden auf der Tundra nomadisieren.

      Treibholz, teils kleinere Zweige und Wurzelstücke, teils ganze Bäume mit noch daran sitzenden Teilen von Zweigen und Wurzeln, kam im innersten Teil einiger geschützter Buchten des Dicksonshafens in solcher Menge vor, dass sich der Seefahrer dort ohne Schwierigkeit mit dem erforderlichen Brennmaterial versehen kann. Die Hauptmasse des Treibholzes, welches der