Adolf Erik Nordenskiold

Die erste Umsegelung Asiens und Europas


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von den Samojeden bei Chabarowa gefangen werden, äußerst gering zu sein scheint. Dagegen aber sahen die Holländer bei ihren ersten Reisen in diese Gegenden eine bedeutende Menge dieser geselligen Tiere; aber auch damals kamen die Walrosse hier nicht in so großer Menge vor wie zu derselben Zeit auf Spitzbergen und der Bären-Insel, welche offenbar ihre Hauptheimat bildeten.

       Fanggerätschaften

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       Harpune für den Fang des Weißwals

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       Lanze

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       Harpune für den Walrossfang

      Geselligkeit und Neugierde scheinen Hauptcharakterzüge der Walrosse zu sein. Diese ihre Eigenschaften habe ich Gelegenheit gehabt zu beobachten, als ich einst an einem stillen, herrlichen nordischen Sommertag über das spiegelblanke, mit Treibeis bestreute Meer mitten zwischen einer bedeutenden Herde dieser Tiere hindurchfuhr. Ein Teil derselben folgte dem Boot ein langes Stück in aller Friedlichkeit, dann und wann einen grunzenden Laut von sich gebend; andere schwammen ganz nahe an das Boot heran und erhoben sich hoch aus dem Wasser, um die Fremdlinge in Augenschein zu nehmen, und wieder andere lagen so dicht gepackt auf dem Treibeis, dass dieses bis an den Rand im Wasser versenkt lag, während die im Meer umherschwimmenden Kameraden sich mit Gewalt einen Platz gerade auf dem vorher schon überfüllten Ruheplatz zu erzwingen suchten, obgleich eine Menge unbenutzter Eisstücke in der Nachbarschaft umhertrieb.

      IM »EISKELLER« SIBIRIENS

      Bei der Überfahrt nach der Waigatsch-Insel begegnete ich der Lena, welche jetzt erst nach dem vereinbarten Sammelplatz fuhr. Ich gab ihrem Kapitän Befehl, unverzüglich bei Chabarowa vor Anker zu gehen, Kohlen von der Express einzunehmen und sich fertig zu machen, sofort nach meiner Rückkehr von dem Ausflug gleichzeitig mit den übrigen Fahrzeugen die Anker zu lichten und weiter zu segeln.

      Am 31. Juli abends kehrte ich an Bord der Vega zurück, sehr froh und zufrieden mit dem, was ich auf meinem Ausflug nach der Waigatsch-Insel gesehen und eingesammelt hatte. Die Lena war jedoch noch nicht ganz in Ordnung, weshalb die Abreise bis zum Morgen des 1. August verschoben wurde. Hierauf lichteten alle Fahrzeuge die Anker und segelten oder dampften durch die Waigatsch-Straße oder Jugor-Schar in das Karische Meer ein.

      In den ältesten Berichten ist viel von hohen, mit Eis und Schnee bedeckten Bergen die Rede, welche in der Nähe der Straße zwischen der Waigatsch-Insel und dem Festland vorkommen sollen, sowie auch, dass dort die höchsten Berge der Erdoberfläche sein sollten, deren Spitzen sich bis zu einer Höhe von hundert deutschen Meilen erheben sollten. Die Ehre, die höchsten Berge der Erde zu besitzen, ist später von den Einwohnern im nördlichen Russland der Umgebung von Matotschkin-Schar zugeteilt worden, »wo die Berge sogar höher sind als der Bolschoj-Kamen«, ein einige Hundert Fuß hoher Hügel an der Mündung der Petschora – eine orographische Auffassung, welche einen neuen Beweis zu dem alten Satz liefert, dass »in dem Reiche der Blinden der Einäugige König ist«.

      Die meisten Fahrzeuge, welche durch Jugor-Schar in das Karische Meer segeln wollen, müssen dort einige Tage vor Anker liegen, um günstige Winde und Eisverhältnisse abzuwarten. Gute Häfen gibt es jedoch nicht in der Nachbarschaft des Sunds, brauchbare Ankerplätze kommen aber vor, teils in der Bucht bei Chabarowa am westlichen Eingang des Sunds und teils, nach den alten holländischen Karten, auf der östlichen Seite zwischen der Mestni-Insel und dem Festland. Von dem letztgenannten Ankerplatz habe ich jedoch keine eigene Erfahrung, und ebenso wenig habe ich gehört, dass norwegische Fangmänner dort geankert haben.

      Als wir 1878 durch Jugor-Schar segelten, war der Sund völlig eisfrei. Das Wetter war herrlich, aber der Wind so schwach, dass die Segel nur wenig Dienste leisteten. Infolgedessen ging die Fahrt nur langsam vorwärts, besonders, da ich die vier Fahrzeuge zusammenhalten wollte und das Segelschiff Express, dass es nicht zurückbleibe, von dem Dampfer Fraser bugsiert werden musste. Außerdem ging viel Zeit mit Dreggen und dem Heraufholen von Wasserproben verloren.

      Am Nachmittag des 1. August hatten wir den Sund passiert und dampften in das östliche davor gelegene Meer, welches das Ziel so vieler Spekulationen, Vermutungen und Schlusssätze umsichtsvoller Regierungen, gewinnlustiger Kaufleute und gelehrter Kosmographen schon seit dem 16. und 17. Jahrhundert gebildet hat und welches auch für die Geographen und Gelehrten unserer Zeit bis in die unmittelbarste Gegenwart ein Mare incognitum gewesen ist. Gerade dieses Meer ist es, welches den Wendepunkt aller früheren Nordostfahrten gebildet hat.

      Wenn man die kleine neuentdeckte Insel »Einsamkeit« nicht mit in Betracht zieht, so ist das Karische Meer nach Nordosten hin offen. Es wird im Westen von Nowaja Semlja und der Waigatsch-Insel, im Osten von der Halbinsel Taimur und im Süden von dem nördlichsten Teil des europäischen Russland, Beli-Ostrow und den bedeutenden Mündungsbuchten des Ob und des Jenissej begrenzt.

      Wo die Berge anfangen, zeigen sich zwischen denselben einige wenige oder nur äußerst unbedeutende Eisansammlungen, und selbst die Bergspitzen sind im Sommer frei von Schnee. Erst weiter nach Norden hin fangen die Gletscher an, welche noch weiter nördlich an Zahl und Größe zunehmen, bis sie schließlich ein zusammenhängendes Inlandeis bilden, welches, gleich dem Inlandeis auf Grönland und Spitzbergen, mit seiner gewaltigen Eishülle Berg und Tal ausgleicht und das Innere des Landes zu einer Eiswüste verwandelt und einen der Bildungsherde für die Eisberge und Gletscherblöcke bildet, welche in den Schilderungen von Seefahrern in den Polarmeeren eine so große Rolle spielen. Ich selbst habe das Inlandeis auf dem nördlichen Teil von Nowaja Semlja nicht besucht, aber ganz sicher kann die Erfahrung, welche ich auf Grönland gewonnen habe, auch auf die Eiswüsten Nowaja Semljas angewandt werden.

      Ebenso wie auf Spitzbergen ist auch hier ganz sicher das Eisfeld durch tiefe, bodenlose Klüfte unterbrochen, über welche die Schneestürme des Winters zerbrechliche Schneebrücken schlagen, welche die Öffnungen der Abgründe so vollständig bedecken, dass man unmittelbar am Rande stehen kann, ohne eine Ahnung davon zu haben, dass ein Schritt weiter unvermeidlicher Tod für denjenigen ist, welcher, ohne die gewöhnliche Vorsichtsmaßregel zu beobachten, durch ein Tau mit seinen Begleitern verbunden zu sein, seinen Weg über diese hart gepackte, aber durch keine gefrorene Schneerinde verbundene, blendend weiße, beinahe samtartige Fläche des Schneefeldes sucht. Wenn man, nach Beobachtung der nötigen Maßregeln zum Schutz gegen die Gefahr des Herabstürzens in diese Klüfte, sich weiter über das Eisfeld hin begibt, in der Hoffnung, dass die scheinbar ebene Fläche des Schnees gute Tagesmärsche gestatten werde, findet man sich leicht in seiner Hoffnung getäuscht. Man kommt nämlich an Stellen, wo das Eis überall von schmalen, durch gefährliche Klüfte begrenzten Talgängen mit bis zu fünfzehn Meter hohen steilen Wänden durchschnitten wird, über welche man erst nach endlosen Zickzackwanderungen an Stellen kommen kann, welche mit Schnee gefüllt und dadurch passierbar geworden sind.

      Im Sommer wiederum, nach dem Schmelzen des Schnees, erhält die Eiswüste ein ganz anderes Aussehen. Der Schnee ist verschwunden, und der Boden wird jetzt von einem grauen, tonartigen Staub beschmutzt, den Wind und Regen, wahrscheinlich von entfernten Berghöhen, auf die Gletscherfläche geführt haben. Zwischen dieser Tonerde und auch unmittelbar auf dem Eis selbst findet sich eine dünne Decke geringer Pflanzenorganismen. Die Eiswüsten der Polarländer bilden also auch die Heimat einer eigentümlichen Art von Flora, welche, so unansehnlich sie auch zu sein scheint, doch eine wichtige Bedingung für den Ausgang des Kampfes bildet, welcher hier Jahr auf Jahr und Jahrhundert auf Jahrhundert zwischen Sonne und Eis vor sich geht.

      Das Inlandeis auf Nowaja Semlja hat indessen eine zu unbedeutende Ausdehnung, als dass sich größere Eisberge bilden könnten. Deshalb kommen auch derartige Eisberge im Karischen Meer nicht vor, und selten trifft man auch nur größere, herumtreibende Gletschereisblöcke.

      Der Name »Eiskeller«, welchen das Karische Meer von einem berühmten russischen Forscher