ließ. Durfte er das Carry sagen?
»Warum haben sie es Mama gestattet, dass sie dich heiratete?«, fragte Carry. »Ich will es wissen.«
»Was haben sie dir gesagt, Carry?«, fragte Jonas. »Du hast ihnen diese Frage doch sicher auch gestellt.«
»Ich habe sie Nonna gestellt. Als ihr Mann noch lebte, war ich zu klein, um darüber nachdenken zu können.«
»Und was hat sie erwidert?«
»Mama wäre erwachsen gewesen und konnte bestimmen, wen sie heiraten wollte. Und sie hätte eben dich gewollt.«
»Ja, sie hat mich gewollt«, erwiderte Jonas. »Du wirst das auch noch erleben, Carry. Wenn man verliebt ist, wünscht man sich, mit dem anderen Menschen verbunden zu sein für ein Leben.«
»Ob ich das erlebe?«, fragte Carry.
»Bestimmt, mein Liebling. Du wirst noch ein langes Leben vor dir haben.«
»Du sollst mir nicht ausweichen, Papi. Mein Leben liegt in Gottes Hand. Gestern habe ich das zum ersten Mal richtig empfunden. Wenn Gott gewollt hätte, dass es beendet wird, wäre ich gestorben. Er hat mir Miriam geschickt. Aber das ist etwas anderes. Immer wurde mir gesagt, dass ich wegen meines Herzfehlers nicht so spielen dürfte, wie andere Kinder und mit anderen Kindern. Es war eine gute Ausrede für Nonna. Dafür musste sie nicht mal beichten. Es war eine Genugtuung für sie, so viel habe ich auch begriffen. Sie wurde ja dadurch dafür rehabilitiert, dass sie mir Umgang mit anderen Kindern verbot. Aber wenn sie mich wirklich lieb gehabt hätte, würde sie mir nicht alles so gesagt haben, wie sie es tat. Das musst du doch bestätigen.«
»Ja«, erwiderte er nach kurzem Zögern.
»Sie hätten nie erlaubt, dass Mama einen Deutschen heiratet, wenn dafür nicht gewichtige Gründe bestanden hätten. Ging es um Geld?«
Ihm stockte der Herzschlag, weil sie es instinktiv ahnte. Er hatte das damals nicht so deutlich erkannt.
»Es mag sein«, erwiderte er ausweichend.
»Du sollst es mir sagen«, verlangte Carry.
»Dein Großvater hatte damals ziemliche Verluste«, erwiderte Jonas zögernd.
»Und keinen Kredit mehr. Ich habe mal so was gehört, viel verstehe ich nicht davon.«
»Was hast du gehört?«
»Dass sein Ansehen auf dem Spiel stand. Um Mama hatte sich ein Conte beworben, und diese Verlobung kam nicht zustande. Carlotta unterhielt sich darüber mal mit Domenic. Du weißt doch, dass Domenic studiert hat. Er wusste ziemlich gut Bescheid in juristischen Dingen. Ich durfte ja nicht mit ihm reden, aber manchmal taten wir es doch. Nonna wollte es nicht wahrhaben, dass der Sohn ihrer Haushälterin studierte. Sie war so entsetzlich hochmütig.«
»Hast du Domenic gern, Carry?«, fragte Jonas.
»Du lenkst immer ab, Papi. Domenic hat eine Freundin. Unterhalten konnte ich mich trotzdem mit ihm. Ich bin lange nicht so hübsch wie seine Nicoletta. Er hat auch gesagt, dass es gut für mich sein wird, wenn ich bei dir leben kann, als Nonna starb. Es ist eine Sünde, dass ich so denke, aber ich war froh, als sie tot war.«
»Carry, was hast du gelitten!«, kam es gequält über Jonas’ Lippen.
»Ich weiß es nicht, Papi. Ich wünschte doch immer nur, bald bei dir sein zu können. Ich hatte alles. Ich lebte in einem Palazzo wie eine Prinzessin, und manche Mädchen beneideten mich. Ich hatte immer nur Sehnsucht nach dir. Warum ist Mama nicht bei dir geblieben?«
»Das Klima hier bekam ihr nicht.«
»Aber Mama gefiel München doch so gut«, sagte Carry leise. »Ich habe einen Brief gelesen, den sie an Nonna geschrieben hatte. Darin schrieb sie, dass München wundervoll sei.«
Das war damals, als sie noch nicht das Kind erwartete, dachte Jonas. Es behagte ihm nicht, über Lucia zu sprechen. Carry hatte ihre Mutter niemals kennengelernt. Sie wusste nicht, wie betörend sie gewesen war. Nein, Carry hatte nichts von ihr, nicht einmal das schwarze Haar.
»Wie viel Geld hast du ihnen eigentlich gezahlt, damit sie ihr Jawort zu eurer Heirat gaben?«, fragte Carry nun sehr direkt.
»Kind, ich habe das nicht so gesehen«, erwiderte Jonas gepresst. »Sie waren nur vorübergehend in Schwierigkeiten. Das kann jedem mal passieren. Lass uns doch von etwas anderem sprechen. Du könntest mir auch Vorwürfe machen.«
»Wieso? Ich weiß genau, was sie alles anstellten, damit ich bei ihnen bleiben musste. Daraus hat Nonna kein Hehl gemacht. Sie betonte ja immer, dass es nur zu meinem Besten sei, dass du bestimmt bald wieder heiraten würdest und ich dann eine Stiefmutter bekäme, der ich doch nur im Wege sein würde. Und Jahr um Jahr verging, und du hast nicht wieder geheiratet.«
»Ich habe auch nicht die Absicht«, sagte Jonas mit einem flüchtigen Lächeln. »Ich bin glücklich, dass wir zusammen sind, mein Liebling.«
*
Zur gleichen Stunde begann die Crew des Flugzeuges, nach ausgiebigem Schlummer, das glückliche Ende ihres abenteuerlichen Fluges zu feiern. Zeit dafür hatten sie, denn sie hatten drei zusätzliche Freitage für ihre Leistungen bekommen.
Conny Dahm war zwar nicht von seiner Fränzi erwartet worden und darum leicht missgestimmt gewesen, aber zu einer ausgedehnten Wiedersehensfeier wäre er am gestrigen Abend auch nicht aufgelegt gewesen.
In ihrem Stammhotel waren sie mit großem Hallo empfangen worden, aber schnell hatten sie sich auf ihre Zimmer zurückgezogen. Einen kleinen Zwischenfall verursachte nur Wendy, die Holger impulsiv einen Kuss gab und danke sagte.
Dann aber verschwand sie gleich in ihrem Zimmer. Anja erschien kurz darauf in der Verbindungstür.
»Das war aber mutig«, sagte sie. »Hoffentlich hat’s jetzt bei ihm gefunkt.«
»Das lag nicht in meiner Absicht. Ein anderer als Holger hätte uns nicht sicher auf die Erde gebracht.«
»Na, na, aber meinetwegen mach ihn zu deinem Helden, Wendy. Ich gönne ihn dir ja, aber ich möchte, wenn ich schon mal heirate, lieber einen Mann haben, um den ich nicht jeden Tag zittern muss.«
»Du zitterst doch auch nicht, wenn wir oben sind«, meinte Wendy.
»Na, heute war mir zweierlei.«
Dann hatte sie sich schnell zurückgezogen, und Wendy konnte noch ein bisschen an Holger denken, bevor ihr die Augen zufielen.
Potztausend dachte der, Wendy ist doch sonst so unnahbar. Aber lange dachte er auch nicht mehr darüber nach. Er nahm sich noch ein Fläschchen Whisky aus dem Kühlschrank, und nach einem kräftigen Schluck hatte er ebenfalls die nötige Bettschwere.
Nun aber war ein anderer Tag. Sie hatten lange geschlafen, ihr Frühstück ans Bett serviert bekommen und mit diesem die erfreuliche Nachricht, dass sie die zusätzlichen drei freien Tage bekämen. Das bedeutete fast eine Woche in München, ohne Dienst und mit der Aussicht, auch mal wieder eine Nacht durchzubummeln.
Seltsamerweise war es Holger diesmal gar nicht danach zumute. Erst recht nicht, als er dann neben Wendy saß und ihr zuprostete.
Sie bildeten schon über ein Jahr eine Crew, und er hatte gemeint, dass alles so gut ging, weil es keine privaten Bindungen zwischen ihnen gab, wie es sich doch manches Mal zwischen Piloten und Stewardessen anspann. Conny hatte seine Fränzi, und er liebte ein bisschen Abwechslung. Sich nur nicht zu sehr zu engagieren, war seine Devise, und Wendy hatte das, wenn auch wehmütig, zur Kenntnis genommen.
Anja war wechselnden Flirts auch nicht abgeneigt, aber sie war bewusst auf der Suche nach dem Richtigen, bei dem alles zusammenstimmte, was sie von einem Ehemann erwartete. Sie machte daraus kein Geheimnis.
Conny hatte seine Fränzi auch telefonisch nicht erreichen können, war ziemlich mürrisch und wollte sich nun mit Anja trösten. Aber die hatte einen anderen Mann ganz intensiv ins Auge gefasst, der mit einigen anderen Herren am gegenüberliegenden Tisch saß.
»Das