ihr Conny bei ihr war.
*
»Fränzi Rommeis geht es besser«, sagte Loni zu Dr. Norden. »Das soll ich Ihnen von Dr. Behnisch ausrichten. Ihr Verlobter ist bei ihr, das scheint zu helfen. Er ist Kopilot von der Maschine die gestern Abend die dramatische Landung hatte.«
»Wie seltsam«, sagte Daniel Norden. »Mit dieser Maschine kam eine Studienfreundin von mir. Was macht Ihr Zahn, Loni?«
»Dem geht es wieder gut. Dr. Schröder ist ein fantastischer Zahnarzt.«
»Bitte, verlieben Sie sich nicht in ihn«, seufzte Daniel.
Loni lachte auf, und er hörte es gern, wenn sie lachte, denn sie hatte viele Schicksalsschläge hinnehmen müssen.
»Er ist doch viel jünger als ich«, sagte Loni. »Sie können ganz unbesorgt sein, Chef. Mich werden Sie so schnell nicht mehr los.«
»Und der Zahn wird gerettet?«
»Er bekommt eine schöne Krone. Darf ich Sie diskret darauf aufmerksam machen, dass Frau Göll schon wartet.«
»Bei ihr pressiert es doch nicht«, sagte Daniel. »Sie liest gern die Illustrierten. Geben Sie ihr ein bisschen Lektüre mit, Loni.«
»Mach ich sowieso. Ich hebe die Zeitschriften, die ich mir kaufe, auch für sie auf. Sie freut sich immer so.«
Frau Göll ging auf die Siebzig zu, und ihr Leben war einsam. Sie hatte ihre körperlichen Beschwerden, aber geistig war sie noch sehr rege und manchmal konnte man meinen, dass es nicht die Spritzen waren, die ihr halfen, sondern dass sie mal wieder eine Ansprache nötig hatte.
Wie tat es ihr doch gut, dass sie sich mit Dr. Norden unterhalten konnte, dass er sie nicht auf die Schnelle abfertigte. Schließlich war sie nur eine Kassenpatientin und bevor sie vor drei Jahren zu Dr. Norden kam, war sie auch als solche behandelt worden, hastig, so ganz nebenbei. Geschwätzig war sie nicht und auch nicht nervtötend mit irgendwelchem Klatsch. Sie war nur eine einsame alte Dame, die für sich lebte und um die sich niemand kümmerte.
Daniel hatte mehr Patienten, für die der Gang zum Arzt die einzige Abwechslung in einem kargen Leben war. Dass er Frau Göll extra bestellte, lag daran, dass sie Platzangst bekam, wenn das Wartezimmer so voll war.
»Der Nebel hat mir schon arg zu schaffen gemacht«, sagte sie.
»Nicht nur Ihnen, Frau Göll.«
»Sie sind jetzt wohl wieder dauernd unterwegs«, meinte sie mitfühlend.
»Man ist es ja gewohnt«, lächelte Daniel. »So, die Spritze hätten wir.«
»Wie Sie das machen«, sagte Frau Göll bewundernd. »Man merkt überhaupt nichts.« Schüchtern legte sie ein kleines Päckchen auf den Schreibtisch. »Für Ihr Bübchen, Herr Doktor, und einen schönen Gruß an die Frau Gemahlin.«
Es war zu rührend, wie sie sich immer wieder bemühte, ihre Dankbarkeit zu beweisen. Das letzte Mal hatte sie Schühchen für Danny gestrickt und diesmal Fäustlinge. Für den kräftigen kleinen Burschen war beides zu klein, aber es würde ja noch etwas Kleineres nachkommen, dem es dann passen würde. Daniel hätte es nicht über das Herz gebracht, ihr zu sagen, dass Danny diesen winzigen Sächelchen, die sie mit so viel Freude und Ackuratesse strickte und häkelte, schon entwachsen war.
Beglückt zog sie dann wieder mit einem Packen Zeitschriften von dannen. Die nächsten Patienten kamen. Daniel war bis gegen sechs Uhr beschäftigt. Dann fuhr er zu den Köglers. Mit diesem gequälten Patienten ging es zu Ende, und auch Frau Kögler wusste jetzt, dass die Stunde des Abschieds nahte. Sie war sehr gefasst, als Dr. Norden zu ihr sagte, dass er jetzt noch einen Krankenbesuch machen und dann wiederkommen würde.
»Vorhin hat er mich noch mal angeschaut«, sagte sie. »Nun kann ich ihm nur noch wünschen, dass er ruhig hinüberschlummert.«
Was sollte er da Tröstendes sagen? Franz Kögler wurde erlöst von seinem Leiden. Zurück blieben eine Frau und drei Kinder. Ganz allein wie Loni Enderle und Lenni würde Frau Kögler nicht sein.
Daniel fuhr zur Behnisch-Klinik, um nach Fränzi zu sehen. Das junge Mädchen hatte ihm vor zwei Tagen einen gewaltigen Schrecken eingejagt, als er feststellen musste, dass ihr Leben an einem hauchdünnen Faden hing. Blitzschnell hatte alles gehen müssen. Mit Blaulicht und Martinshorn in die Klinik und dann auch gleich auf den Operationstisch.
Dr. Behnisch traf er auf dem Gang, aber Dieter hatte nur für einen kurzen Wortwechsel Zeit. »Der kleinen Rommeis geht es besser. Ist noch mal gut gegangen«, sagte er. »Jetzt ist der Herzallerliebste da, das hilft.«
Daniel lernte Conny Dahm kennen. »Ich habe schon erfahren, was ich Ihnen zu verdanken habe«, sagte Conny beklommen. »Und ich Dummkopf dachte, dass Fränzi nichts mehr von mir wissen will, weil sie nicht am Flugplatz war.«
Und böse hätte es ausgehen können, weil sie ihn unbedingt empfangen wollte.
»Sie hatten ja auch großes Glück, dass Sie heil auf die Erde zurückkamen, wie ich hörte«, sagte Daniel. »Hoffentlich können Sie ein paar Tage bleiben.«
»Ja, das hat dieser abscheuliche Nebel uns wenigstens Gutes gebracht. Drei Tage Sonderurlaub und bis wir wieder starten müssen, wird es Fränzi hoffentlich bessergehen.«
Nicht nur uns Ärzten werden Menschenleben anvertraut, ging es Daniel durch den Sinn, als er die Klinik wieder verließ. Wie mochte es wohl einer Flugzeugbesatzung zumute sein, wenn sie ihre Passagiere in Gefahr wussten? Und wie oft waren sie wohl in Gefahr, ohne es zu ahnen. Und schließlich hatte es eine Arztfrau wohl doch noch besser als eine Pilotenfrau oder die eines Schiffskapitäns, der gleich viele Wochen unterwegs war.
Was war er froh, dass die hübsche kleine Fränzi sich auf dem Wege der Genesung befand. Es war dann schrecklich genug, dass er Franz Kögler die Augen zudrücken musste, wozu seine Frau nicht mehr fähig gewesen war.
»Würden Sie bitte meine Eltern anrufen, Herr Doktor?«, fragte sie bebend. »Ich kann nicht mehr. Jetzt kann ich einfach nicht mehr.«
Das war begreiflich. Bis zuletzt hatte sie sich so tapfer gehalten. Jetzt versagten ihre Kräfte.
Er gab ihr jetzt ein starkes Beruhigungsmittel und blieb, bis ihre Mutter kam.
Währenddessen verständigte er das Beerdigungsinstitut. Auch das hatte er schon oft getan.
»Ich hätte es nicht durchgestanden, wenn Sie nicht gewesen wären, Herr Doktor«, flüsterte Frau Kögler. »Der Franz war doch so gern zu Hause. Ich hätte ihn nicht in einem Krankenhaus sterben lassen können.«
Sie war auch jetzt noch eine tapfere Frau. Einige Zeit würde noch vergehen, bis sie sich wieder zurechtfinden würde in einem veränderten Leben.
Die Nacht sank herab auf die große Stadt, in der es so viele Häuser, so viele Menschen, so viele Schicksale gab.
Viele mochten jetzt traurig sein und weinen und viele andere glücklich lachen, wie Holger und Wendy, wie Anja und Chris.
Und viele würde es geben, die so besinnlich beisammensaßen wie Jonas, Carry, Miriam und Tante Hanne, schwankend zwischen Kummer und Freude.
Carry hatte Miriam nachdenklich angeblickt, als sie sagte, dass der Arzt, den Dr. Norden und seine Frau empfohlen hatten, Semmelbrot heiße.
Miriam hatte gemeint, dass das Mädchen darüber lachen würde, wie es für einen Teenager verzeihlich wäre. Carry lachte nicht.
»Ja, dann werde ich mich mal mit Dr. Semmelbrot in Verbindung setzen«, sagte Jonas.
»Sie können auch gern vorher noch mit Dr. Norden sprechen, Jonas«, sagte Miriam.
Ein unergründlicher Ausdruck war in seinen Augen, als er sie jetzt anblickte. »Sie schätzen ihn sehr«, sagte er.
»Es gibt wenige Menschen, auf die man sich so verlassen kann«, erwiderte Miriam, und sie dachte daran, dass Daniel ihr tausend Mark in die Handtasche gesteckt hatte, ohne viele Worte darüber zu machen, ohne dass sie es