brauchten nicht lange zu warten. Ein bisschen erstaunt war Daniel jedoch, dass Miriam in einem Wagen vorfuhr, der von einem Chauffeur gesteuert wurde. Nicht etwa ein Taxi war es, sondern einer von jenen ganz komfortablen Wagen, wie Generaldirektoren oder Minister sie zu benutzen pflegten.
Miriam war allerdings auch erstaunt gewesen, als Jonas diesen Wagen zu seinem Haus beordert hatte.
»Hermannke kann auf Sie warten, Miriam«, hatte er erklärt. »Er bekommt jetzt ohnehin ein paar freie Tage.«
Ihr war es richtig peinlich, so bei den Nordens vorzufahren, um Daniel dann ihre missliche Situation schildern zu müssen. Aber vorerst wurde sie herzlichst begrüßt, auch von Fee. Daniel stellte fest, dass Miriam sich sehr verändert hatte, wenn er das auch nicht laut sagte.
»Denk bloß nicht, dass ich eine Erbschaft gemacht habe, weil ich mit so einem feudalen Wagen vorfahre«, erklärte sie rasch. »Ich bin ganz unverhofft zu dieser Ehre gelangt.«
»Aber du willst doch nicht nur ein paar Minuten hierbleiben«, meinte Daniel. »Dazu gibt es doch wohl zu viel zu erzählen.«
»Allzu lange will ich deine kostbare Zeit nicht in Anspruch nehmen, Daniel und ich hoffe, dass Sie keine falschen Schlüsse gezogen haben, als ich anrief, Frau Norden.«
»I wo«, erwiderte Fee, »Daniels Freunde sind auch meine Freunde.«
»Und du brauchst nicht so formell zu sein, Miriam. Das ist Fee.«
Danny kam auch und wollte guten Tag sagen. Lenni hatte schon den Tisch gedeckt.
»Daniel Norden als Ehemann und Vater«, sagte Miriam gedankenvoll. »Einer von uns, der tatsächlich das Große Los gezogen hat.«
Ihre Augen wurden feucht, als sie den kleinen Danny betrachtete, und ihm schien das nicht zu behagen, denn er ging freiwillig mit Lenni.
»Habe ich ihn erschreckt?«, fragte Miriam beklommen.
»Aber nein«, sagte Daniel. »Er hält jetzt seinen Mittagsschlaf.«
»Er spürt, wenn jemand Kummer hat«, baute Fee der anderen eine Brücke.
»Du hast eine schwere Zeit hinter dir, Miriam?«, fragte Daniel.
»Sieht man es mir an?«
»Ich will es nicht leugnen. Was können wir für dich tun?«
»Ich muss mich einmal mit einem Menschen aussprechen, der mich kennt«, sagte sie leise. Ein Schluchzen war in ihrer Stimme.
Es war kein Thema, das man beim Essen erörtern konnte, und so erzählte Miriam erst vom gestrigen Flug.
»Da habt ihr ja noch mal Glück gehabt«, sagte Daniel. »Ich hörte ein Flugzeug brummen, als ich heimkam und hatte Sorge, dass es heil herunterkommen würde.«
»Und unter solchen Umständen haben Sie eine Bekanntschaft gemacht, die Sie beglückt«, sagte Fee spontan.
Miriam nickte. »Gestern fühlte ich mich am Ende. Ich hatte nur noch den Wunsch, mit einem Freund zu sprechen, und mir war es gleichgültig, ob ich weiterleben würde. Aber dann war da Carry, und ihretwegen bin ich dann doch hergekommen. Carry hat ein Loch in der Herzscheidewand. Sie muss schnellstens operiert werden, und ich wollte dich fragen, welcher Arzt dafür infrage kommt. Aber sag bitte nicht Benten, Daniel.«
Daniels Augenbrauen schoben sich zusammen. »Er war damals hinter dir her«, sagte er. »Ich erinnere mich. Als Herzchirurg hat er einen guten Ruf, und mittlerweile hat er zwei Ehen hinter sich gebracht. Ich muss nachdenken, wer für diesen Fall infrage kommen könnte.«
»Semmelbrot«, sagte Fee, und Miriam sah sie konsterniert an.
»Er heißt so, dagegen kann man nichts machen«, sagte Fee erklärend, »aber er ist ein ausgezeichneter Herzspezialist. Natürlich ist Benten prominenter. Er tut ja auch viel für die Publicity. Aber Semmelbrot hat jetzt schon einen sehr guten Ruf, obgleich er noch jung ist. Du gibst mir doch recht, Daniel?«
»Wie immer, mein Schatz, aber dieser Herr Henneke möchte vielleicht einen bekannteren Arzt haben.«
»Er wird sich auf dein Urteil verlassen, Daniel«, sagte Miriam. Mit warmen Worten sprach sie von Jonas und auch von Tante Hanne, die von Dr. Behnisch operiert worden war.
»Von ihr hörte ich, dass Dieter auch verheiratet ist«, sagte sie.
»Den haben wir verkuppelt«, lächelte Daniel. »Mit unserer Kollegin Jenny Lenz. Sie verstehen sich prächtig. Darf ich mal indiskret fragen, was aus deiner Verlobung geworden ist, Miriam?«
Er wollte, dass sie endlich mal über sich sprach. Ihre Andeutung, dass ihr das Leben nichts mehr bedeutet hatte, hatte ihn aufhorchen lassen und bedrückte ihn nachhaltig.
»Nichts, außer schlimmen Erkenntnissen und ein paar Monaten Gefängnis als Draufgabe«, erwiderte sie bitter.
»Mein Gott, wieso das?«, fragte Daniel, während Fee Miriam bestürzt ansah.
»Wegen eines Unfalls, den man mir in die Schuhe schieben wollte«, sagte Miriam bitter.
Ein kurzes Schweigen trat ein. Daniel atmete schwer. »Hier ging vor Jahren das Gerücht, dass du bei einem Unfall ums Leben gekommen wärest«, sagte er dann.
»Fast«, sagte Miriam mühsam. »Ich habe über ein Jahr im Hospital zugebracht. Man war zuerst nicht sehr interessiert, mich am Leben zu halten. Anscheinend bin ich aber recht zäh. Mein Körper ist voller Narben. Vielleicht sprechen wir ein andermal darüber. Mir ist Carry jetzt wichtiger.«
»Es ist nur eine Formalität, sich mit Semmelbrot darüber zu unterhalten«, sagte Fee. »Warum mussten Sie ins Gefängnis, Miriam?«
»Richard war überaus beliebt. Ist die Kunde nicht bis hierher gedrungen, dass der bekannte, vielfach ausgezeichnete Bakteriologe Dr. Wording bei jenem Unfall zu Tode kam?« Sarkastisch und fast hart war jetzt ihre Stimme.
»Wir lesen so selten Zeitung«, sagte Daniel.
»Doch, ich kann mich jetzt erinnern«, warf Fee ein, »aber nur undeutlich. Wie man eben etwas liest über einen Menschen, der zwar einen bekannten Namen hat, den man aber nicht persönlich kennt. Und man vergisst es. War er mit Ihnen im Wagen?«
»Nein, er fuhr in seinem auf mich zu, und dies mit der Absicht, mich ins Jenseits zu befördern«, erklärte Miriam. »Es ist eine lange und unschöne Geschichte. Und sie klingt unwahr, wie mir immer wieder gesagt wurde. Immerhin fand sich dann nach Monaten doch ein Augenzeuge, der meine Schilderung bestätigte. Man muss bedenken, dass fast zwei Jahre vergangen waren, bevor es zu der Verhandlung kommen konnte, da man mich erst eingehend auf meinen Geisteszustand untersuchen musste, ob ich überhaupt verhandlungsfähig sei. Und ich muss sagen, dass ich tatsächlich fast verrückt war, weil ich nicht begreifen konnte, dass ein Mensch, mit dem man einmal verbunden war, so etwas tun konnte. Rick wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Er war am Ende, drogensüchtig und nur noch voller Hass, denn er wollte ja so gern leben. Er erinnerte sich meiner, die er schon Jahre vorher wegen eines ganz jungen Dinges verlassen hatte. Ich sollte ihm helfen, und ich versuchte es auch. Aber die Hilfe, die er wollte, konnte ich ihm nicht geben. Ich musste sie ihm verweigern. Ich beschaffte ihm nicht die Opiate, die er haben wollte. Er hasste mich, weil ich leben durfte, weil ich gesund war und Erfolg hatte. Sein Hass war maßlos, weil er von mir nicht bekam, was für mich doch erreichbar gewesen wäre. Ich riet ihm, eine Entziehungskur zu machen. Und das brachte ihn so in Wut, dass er sich in seinen Wagen setzte und mich verfolgte. Ich konnte ihm entkommen, aber plötzlich kam er aus einer Seitenstraße auf mich zu. Ich weiß nicht, ob ich diese Sekunden jemals vergessen werde. So, das wäre es. Nun bin ich es los. Es klingt unglaubhaft, nicht wahr?«
»Ich zweifle nicht daran, weil du es sagst, Miriam«, sagte Daniel leise, während Fee voller Erschütterung in Miriams aufgewühltes Gesicht blickte. »Du hast Entsetzliches durchgemacht.«
»Allein in der Zelle«, sagte Miriam monoton, »immer diesen Gedanken überlassen, von Feindseligkeit umgeben. Und dann hat man mich abgeschoben wie eine Verbrecherin.