Zukünftiger. Ich habe heute Nacht von ihm geträumt, und da sitzt er.«
»Hast du gestern einen Schock bekommen?«, erkundigte sich Holger konsterniert.
»Ich bin völlig okay«, sagte Anja mit einem zufriedenen Lächeln. »Heute kommt der Wendepunkt in meinem Leben. Ich spüre es bis in die Zehenspitzen.«
Und tatsächlich sah im selben Augenblick jener Mann zu ihr herüber. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, und dann lächelte er ihr zu.
»Träume sind nicht immer Schäume«, murmelte Anja errötend.
»Jetzt spinnt sie«, sagte Conny.
»Kümmere du dich lieber um deine Fränzi. Sie könnte ja krank sein«, sagte Anja schlagfertig.
»Meine Güte, daran habe ich gar nicht gedacht«, rief er aus.
»Was denken Männer schon, wenn sie sich in ihrer Eitelkeit gekränkt fühlen«, sagte Anja.
»Und was denken sie wohl, wenn sie von einer hübschen jungen Dame wie elektrisiert angeschaut werden?«, murmelte Holger, als der Ober eine Rose und ein Kärtchen an den Tisch brachte und neben Anjas Gedeck legte.
»Sie haben anscheinend die gleiche Wellenlänge«, sagte Conny. »Ich rufe jetzt Fränzi noch mal an.«
Anja starrte auf die Karte.
»Bezauberndes Mädchen, wann können wir uns treffen«, las sie. »Ap. 142. Chris Andresen.«
»Den Zufall schenkt uns Gott, zum Schicksal muss der Mensch ihn erst gestalten«, sagte Anja flüsternd zu Wendy, ohne den Blick zu heben. »Er hat Appartement 142, und ich habe am 14.2. Geburtstag. Außerdem fängt sein Nachname mit den gleichen Buchstaben an wie mein Vorname. Und da soll ich gschamig sein, wie man hier in München sagt?«
Wendy war viel zu verwirrt, um alles gleich mitzukriegen. Wieder trat der Ober an den Tisch, wieder brachte er ein Kärtchen. Diesmal jedoch war es von Conny.
Fränzi am Blinddarm operiert. Habe mit ihrer Mutter gesprochen. Feiert allein weiter. Ich fahre zur Klinik.
Und in diesem Augenblick erhoben sich die vier Herren am Nebentisch.
Diskrete Blicke flogen zu Anja, und dann sagte einer leise, aber doch vernehmbar: »Viel Glück, Chris.«
Drei gingen, Chris blieb vor Anja stehen. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«, fragte er, sich auch den anderen nochmals vorstellend.
Holger zeigte sich der seltsamen Situation gewachsen.
»Eigentlich wollte ich mit Wendy einen Einkaufsbummel machen, aber dagegen hast du wohl nichts, Anja?«
»Nein«, erwiderte sie prompt.
Man musste es ihr lassen, sie wollte den Zufall ohne Umwege zum Schicksal gestalten.
»Ist das nicht ein bisschen komisch?«, fragte Holger Wendy, als sie den Speisesaal verlassen hatten.
»Dann könnte ich auch sagen, dass es komisch ist, wenn du wirklich einen Einkaufsbummel mit mir machen willst, Holger«, erwiderte sie schelmisch.
»Wir kennen uns schließlich schon eine Ewigkeit«, sagte er.
»Was wollen wir denn kaufen?«, fragte sie.
»Das wirst du schon sehen. Hoffentlich ist Anja da nicht an einen Gauner geraten.«
»So sieht er nicht aus«, meinte Wendy.
»So was brächte ich nicht fertig«, sagte er. »Einfach eine Rose schicken.«
»Wie beginnen eigentlich deine Flirts?«, fragte Wendy stockend.
»Das ist kein Thema«, brummte er. »Guter Gott, man fordert mal ein Mädchen zum Tanzen auf oder zu einem Drink, ohne jede Verpflichtung. Entscheiden kann man sich doch erst, wenn man sich richtig kennt, und wenn man zwischen den Kontinenten hin und her fliegt, bietet sich dazu keine Gelegenheit, es sei denn …«, er geriet ins Stocken.
»Es sei denn, man verliebt sich eines Tages doch in eine sehr aparte Stewardess, die sich sehr betont mit einem undurchdringlichen Schleier der Unnahbarkeit umgibt«, fuhr er dann fort.
Seine kräftige Hand umschloss ihren Arm. »Dann ist es aber ganz ernst, Wendy. Kein Flirt, kein Spiel, nicht bloß eine Laune.«
»Bei Anja ist es auch keine Laune«, sagte Wendy mit bebender Stimme. »Sie hat mal zu mir gesagt, dass sie gar nicht daran denkt, dem Mann, der ihr hundertprozentig gefällt, allein die Initiative zu überlassen. Sie meint, dass man das Glück beim Schopf packen müsse.«
Seine Hand fuhr in ihr dichtes Haar. »Das werde ich jetzt auch tun, Wendy. Einwendungen?«
Ihr Herz klopfte stürmisch. »Gestern der Kuss war wirklich als Dank gemeint, Holger«, flüsterte sie.
»Und nun willst du dir doch wieder den Mantel der Unnahbarkeit umhängen?«
»Nein, ich habe nur nicht den Schneid von Anja.«
»Willst du damit sagen, dass du schon länger was für mich übrig hast?«, fragte er staunend.
»Schon sehr lange«, gab sie zu.
»Und ich Esel habe es nicht wahrgenommen? Du hast es zugelassen, dass ich mit anderen flirte?«
»Bange war mir schon dabei, aber die Menschen sind halt verschieden.«
»Und mancher sieht den Wald vor Augen nicht«, murmelte er. »Also, dann werden wir mal Verlobungsringe kaufen.«
»Hast du dir das auch gut überlegt?«, fragte Wendy bebend vor Glück.
»Jetzt brauche ich nicht mehr zu überlegen, Mädchen. Meine Güte, ich habe immer gedacht, dass die Wendy auf einen Prinzen wartet, so hoheitsvoll wie sie immer war.«
»Ich habe ja meinen Prinzen gefunden«, sagte sie zärtlich.
»Dieses Raubein, der fluchen kann wie ein Bierkutscher? Na, du hast dir was Schönes eingehandelt, Schätzchen.«
Und mitten auf der Straße gab er ihr einen Kuss, den sie innig erwiderte.
Und was hatte sich Anja eingehandelt? Wie es den Anschein hatte, die Liebe auf den ersten Blick.
»Lange konnte ich nicht warten«, sagte Chris. »Erstens wusste ich nicht, ob du nicht schon ein paar Stunden später fort bist, zweitens bin ich auch nur geschäftlich hier und dann hat es so gefunkt, dass ich einfach weg war. Aber eins sage ich dir gleich, fliegen lasse ich dicht nicht mehr.«
So verschieden waren die Menschen, so verschieden konnte auch eine Liebe beginnen. Die einen wussten es sofort, die anderen brauchten länger, und manchmal gingen die Menschen auch an ihrem Glück vorbei, verloren sich, weil sie nicht den Mut hatten, den Augenblick des Zufalls zu nützen, der ihnen geschenkt wurde, und den sie dann zu ihrem Schicksal machen konnten. Wendy und Anja waren auf verschiedene Art glücklich und die dazugehörigen Männer auch.
Nur Conny war unglücklich, denn seiner Fränzi ging es nicht gut. Im letzten Augenblick war sie operiert worden, und war es nicht auch ein schicksalhafter Zufall, dass sie in der Behnisch-Klinik lag und einem geistesgegenwärtigen Dr. Norden ihr Leben zu verdanken hatte?
Natürlich hatte Conny keine Ahnung, dass dieser Dr. Norden wiederum nun mit dem Schicksal zweier Menschen beschäftigt war, die sich auch in diesem Flugzeug befunden hatten.
Er hielt eine heiße kleine Hand und atmete auf, als Fränzi die Augen aufschlug.
»Conny«, flüsterte sie, »es tut mir leid, dass ich dich nicht abholen konnte.«
Er küsste sie. Man konnte wohl sagen, dass die gesamte Crew dieses Flugzeuges mit sehr privaten Angelegenheiten beschäftigt war.
»Ich hatte schon ein paar Tage Schmerzen«, sagte Fränzi, »aber ich wollte doch am Flugplatz sein, wenn du kommst, und da habe ich dann immer wieder Tabletten geschluckt. Und dann kam dieser schreckliche Nebel und ich hatte solche Angst um dich. Da bin ich zusammengeklappt.«