Karl Vorlander

Immanuel Kant: Der Mann und das Werk


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wohlhabender Eltern waren, die von vornherein ihre, Kinder völlig aus eigenen Mitteln erhalten zu wollen erklärten, sich beim Dekan ihrer Fakultät prüfen und von ihm ein testimonium initiationis ausstellen lassen, das denn auch unser Immanuel bei dem philosophischen Dekan Prof. Langhansen mit Leichtigkeit bekommen hat; war doch die von F. A. Schultz entworfene Prüfungsordnung[9] auf einen gewesenen Fridericianer wie zugeschnitten. Die gegen neun Taler kostende Immatrikulation erfolgte bei ihm nicht, wie bei mehreren anderen seiner Genossen, unentgeltlich: ein Beweis, dass die Verhältnisse seines Vaters noch nicht ganz schlecht gewesen sein können, oder aber, dass er seinen Stolz darein setzte, nicht als arm zu erscheinen.

      Äußeres Leben

      Die Hauptveränderung in Kants äußerem Leben war wohl, dass er jetzt das Elternhaus verließ, wenn wir auch nicht mit Bestimmtheit behaupten können, dass dies sofort geschah. Um seine Selbständigkeit zu wahren, bewarb er sich auch nicht um Aufnahme in das für ärmere Studierende begründete Alumnat. Hier hätten Ober- und Unterinspektoren seinen Fleiß beaufsichtigt, wie auch sonst die Hausordnung seine Freiheit in jeder Weise beschränkt.[10] Aber er suchte sogar nicht einmal, wie viele andere Studiosen, u. a. auch ein Jahrzehnt später sein jüngerer Bruder, ein Stipendium zu erlangen, das in der Regel doch nur Theologen zuteil ward. Sondern er erwarb sich das Notwendigste zu seinem Lebensunterhalt lieber als Vorlesungs-Repetitor jüngerer oder weniger begabter Kommüitonen "für eine billige Belohnung, die jeder aus freiem Wülen gab". So hat er lange mit seinem Freunde stud. jur. Wlömer, mit dem er bis zu dessen Tode (1797) in vertrautem Verhältnis blieb, auf einer Stube gewohnt. Später gab ihm ein jüngerer juristischer Freund Kallenberg "eine freie Wohnung und ansehnliche Unterstützung". Von einem dritten wohlhabenden Bekannten, dem Sohn des Kaplans Laudien aus Tüsit, berichtet unsere Quelle (Kants alter Landsmann und Studienfreund, Kriegsrat Heüsberg), dass er bei den "Zusammenkünften zum Unterricht" die Kosten für die dabei aufgetischten Erfrischungen, d. h. den damals noch ziemlich teuren Kaffee und das dazu gehörige Weißbrot, getragen und Kant auch sonst in Notfällen unterstützt habe. Ähnliches hören wir von seinem Conabiturienten und alten Duzfreund, dem langjährigen Königsberger Arzte Dr. Trümmer, der ihm ebenfalls den gewährten Unterricht durch "viele Beihilfe" dankte. Wenn wir dazu nehmen, dass ihn auch ein in der Stadt ansässiger, bemittelter Oheim mütterlicherseits, der Schuhmachermeister Richter, unterstützte, der u. a. die Druckkosten seiner ersten Schrift ganz oder zum Teil getragen hat, und dass auch der Professor der Medizin Bohlius, dem er diese Erstlingsschrift als "Beweistum der Dankbarkeit" für das "besondere Merkmal" erzeigter "Gütigkeit" widmete "in seiner Kindheit und Jugend ihm und seinen Eltern wohlgetan" (Borowski): so begreifen wir, wie Studiosus Kant, der ja vom Elternhaus her an Sparsamkeit gewöhnt war, sich, ohne besonders zu darben, durch die Universitätsjahre durchschlagen konnte. Zumal in einer Zeit, in der nach einer kgl. Verordnung von 1735 ein Königsberger Student von einer Jahressumme von – vierzig Reichsthalern "vorjetzo notdürftig" sollte "subsistieren" können; wie denn noch 30 Jahre später Ludwig von Baczko, der sich freilich auch mit wenigem zu behelfen wußte, bei einem Organisten bloß 60 Taler im Jahr für Wohnung nebst Heizung und Essen bezahlte. Ja, unser Kant konnte sich sogar – er "behalf sich freilich sehr sparsam", aber "ganzer Mangel traf ihn nie" – schon während seiner Studienzeit eine größere Anzahl philosophischer Bücher anschaffen, die er auch seinen Freunden lieh. Diese halfen ihm dafür nötigenfalls auch einmal mit – Kleidern aus: wenn sich gerade seine Kleidungsstücke beim Handwerker zur Reparatur befanden und er einen notwendigen Ausgang machen mußte, so blieb einer der Kommilitonen tagsüber in seinem Quartier, und Kant ging – in einem "gelehnten" Rock, Beinkleidern oder Stiefeln aus. Hatte ein Kleidungsstück ganz ausgedient, so legte die ganze Gesellschaft zusammen, ohne dass man an Wiedergabe dachte.

      Guten Humor hat er also schon damals besessen. Dass er übrigens auch mit anderen Studierenden Verkehr pflegte und für sie auch einzutreten sich nicht scheute, geht aus der aktenmäßig festgestellten Tatsache hervor, dass er in seinem dritten Semester einmal in Sachen eines stud. Hofmann vor dem akademischen Senat erschien, um in dessen Namen von einem dritten Kommilitonen, dem der andere "einen Rock und Weste abgelehnt", die schuldige Summe von 8 Gulden 22½ Groschen zurückzufordern. Dagegen hat er allerdings weder Reiten, Fechten und Tanzen gelernt, wie der junge Lessing, noch gedichtet und geliebelt, wie der junge Goethe in seinem Leipziger Klein-Paris, I obschon es auch in dem damaligen Königsberg an Zerstreuungen verschiedenster Art nicht fehlte. An ausgelassenen Belustigungen hatte er keine Freude, noch weniger an "Nachtschwärmereien", pafür war die aus dem Vaterhause mitgebrachte Grundstimmung zu ernst, wie er denn auch selten gelacht haben soll. So wird er denn auch wohl kaum an der sonntäglichen "Pantoffelparade" in der Vorhalle der Kneiphöfsehen "Thumkirche" teilgenommen haben, in der die lustigen Studios nach dem Gottesdienst Spalier zu bilden pflegten, um die aus der Kirche kommenden jungen Damen durch diese "Zensurgasse" laufen zu lassen: obwohl er schon damals Hang zur Satire zeigte und seinen Kameraden die Lektüre der Spötter Montaigne und Erasmus empfahl. Ebenso wie vom Kneipen, hielten ihn auch von dem unter den Königsberger Studenten stark ausgebildeten finanziellen Borgsystem seine in dieser Beziehung besonders strengen Grundsätze fern, und durch sein bloßes Beispiel gewöhnte er auch die näheren Freunde unmerklich an die gleichen Gesinnungen. Seine liebste Erholung war das eifrig betriebene Billardspiel, das damals vielfach für die Studierenden eine Quelle des – Geldverdienens bildete.[11] Das Kleeblatt Kant, Heilsberg und Wlömer – beide letzteren Litauer – hatte es darin zu solcher Geschicklichkeit gebracht, dass sie selten ohne Gewinn nach Hause gingen, Heilsberg u. a. sogar seinen französischen Sprachlehrer ganz von dieser Einnahme bezahlen konnte. Das Ende vom Lied war freilich, dass zuletzt niemand mehr mit den gefürchteten Gewinnern spielen wollte; worauf sie dann als neuen "Erwerbsartikel" – das L‹Hombrespiel wählten, in dem Kant sich ebenfalls tüchtig erwies. In seine Studienzeit fiel auch die 200 jährige Jubelfeier des Bestehens der Albertina, die sich mit zahlreichen Redeakten, Ehrenpromotionen, Gastereien und Umfahrten vom 27. August bis Mitte September hinzog und erst im Oktober mit einer Pregelfahrt der Studenten auf illuminierten Booten und mit einer Theatervorstellung von Corneilles Polyeukte endigte. Ob und wieweit sich der nun schon ältere Studiosus Kant daran beteiligt hat, wissen wir nicht.

      Nun aber von seiner äußeren Lebensweise während der Universitätszeit zu der wichtigeren Frage: Was bedeuten diese Jahre für seine innere Entwicklung? Zunächst: was bot die damalige alma mater Albertina ihren Zöglingen?

      Die Universität und ihre Lehrer

      Langgestreckt, altersgrau und niedrig zog sich, wie ähnlich noch heute, die "alte Universität" am südlichen Pregelufer hin, baulich verbunden mit dem Kneiphöfschen Gymnasium: und dem Dom so benachbart, dass "alles wie eins aussieht" (Hippel), ein Symbol für ihr inneres Gepräge zu Kants Studienzeit. Denn hauptsächlich aus kirchlichen Rücksichten, um dem isolierten Protestantenlande im äußersten Nordosten Lehrer und Prediger zu schaffen, war sie vor zwei Jahrhunderten gegründet worden, und von einer höheren Schule hob sich, namentlich in der philosophischen Fakultät, wie wir gleich sehen werden, ihr Betrieb wenig genug ab. Dem gedrückten Eindruck von außen aber entsprach auch ihre Stellung im Staate und ihr geistiger Habitus. Wenn man an das geistreiche Spottwort Kronprinz Friedrichs nach einem kurzen Besuche Königsbergs vom Jahre 1739 denkt, diese Stadt könne "besser Bären aufziehen als zu einem Schauplatz der Wissenschaften dienen", und Müßiggang und Langeweile schienen ihre "Schutzgötter" zu sein: so wundert man sich nicht mehr, dass mit der entlegenen Provinz überhaupt auch die Königsberger "Akademie", wie sie von den Einheimischen gewöhnlich genannt wurde, ein Stiefkind der Berliner Regierung blieb. Ihre Lehrer waren aufs erbärmlichste besoldet: noch im November 1752 bekamen z. B. von den neun Professoren der juristischen Fakultät die drei ersten Ordinarien nur ein geringes, der vierte und sämtliche fünf Außerordentlichen – überhaupt kein Gehalt! Dabei wurden sie von oben noch, wie Schuljungen, zu eifrigerer Erfüllung ihrer Pflichten angespornt. Der Rektor war angewiesen, sich bei den Dekanen nach Fleiß und Unfleiß der einzelnen Dozenten zu erkundigen und das Ergebnis höheren Orts zu melden. Als dem tyrannischen Friedrich Wilhelm I. einmal auf seine Erkundigung zwei Professoren genannt worden waren, die in den letzten Jahren aus Mangel an Zuhörern nicht gelesen hätten, verordnete der erzürnte König, dass sie "ihres Unfleißes halber entweder