Leni Behrendt

Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman


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sie wenigstens Pflichten. Denn: Etwas fürchten, hoffen und sorgen muß der Mensch für den kommenden Morgen – und das fehlt Thea eben.«

      »Nanu, Frauchen, du kannst ja poetisch sein!« schmunzelte der Gatte. »Ob unsere Tochter das nicht doch von dir hat?«

      »Ach, Philipp, mir ist gar nicht zum Scherzen zumute. Was mag Thea oben treiben?«

      »Sie liest Gedichte von der Liebe Leid«, brachte Philchen so trocken heraus, daß die anderen herzlich lachen mußten. Auch Frau Ottilie.

      Und das war es, was Philchen bezweckt hatte.

      *

      Und es war tatsächlich so. Thea suchte Trost in der Poesie. Sie schwelgte darin und hatte somit gar keine Zeit, in »Leid zu versinken«. Sie war wohl noch etwas wehleidiger als sonst, klagte noch ein wenig mehr, benahm sich jedoch im großen und ganzen ziemlich vernünftig.

      Außerdem geschah etwas, das der Familie Hadebrecht wirklich Anlaß zur Besorgnis gab. Die Hausherrin erkrankte, was man zuerst nicht weiter tragisch nahm, weil man es für eine Erkältung hielt. Doch als das Fieber nicht weichen wollte und die Kranke zusehends verfiel, begann man sich ernstlich um sie zu sorgen.

      Man berief hintereinander zwei Ärzte, die nach einer gründlichen Untersuchung die Überzeugung äußerten, die Kranke habe kein organisches Leiden, das Herz sei sogar ganz gut intakt. Also müßte es mit den Nerven zusammenhängen, und ein entsprechender Kuraufenthalt wäre nur zu empfehlen.

      Doch davon wollte die Kranke nichts wissen. Sie sträubte sich dagegen mit einem Eigensinn, der an der sonst so sanften, nachgiebigen Frau fremd war. Sie wollte nichts weiter als im Bett liegen, die nötige Betreuung und Unterhaltung haben – und ausgerechnet durch Silje Berledes, die erst zu der Kranken kam, als diese ihr Erscheinen ausdrücklich wünschte.

      Keinen von ihren Angehörigen mochte Frau Ottilie so gern um sich haben wie dieses junge Menschenkind, von dem sie auch die bitterste Medizin willig nahm. Silje verstand es aber auch ganz besonders gut, mit der Kranken umzugehen – und niemand wußte so lieb von Thomas zu plaudern wie dessen Stieftochter.

      Nicht genug konnte die Mutter über das Leben ihres so schmerzlich betrauerten Ältesten hören, jede kleinste Begebenheit war ihr wichtig. Und als Silje gar erzählte, daß sie die Schülerin des Künstlers gewesen war, mußte sie die Geige holen – und diese herzinnige, zärtliche Musik wurde der Kranken jedesmal zur Feierstunde.

      Und Silje gelang es sogar, Frau Ottilie zum Kuraufenthalt zu überreden. Darüber waren die Angehörigen froh, und Thea erbot sich sofort, die Mutter zu begleiten.

      Doch da hatte sie die Rechnung ohne die eigensinnige Rekonvaleszentin gemacht. Gegen eine Begleitung war sie durchaus nicht, sie wünschte diese sogar. Aber dafür käme nur Silje in Frage – basta!

      »Lassen wir ihr den Willen«, entschied der Gatte. »Seien wir froh, daß sie überhaupt noch einen hat – und daß wir sie noch haben.« –

      So fuhr denn Frau Ottilie ganz zufrieden mit der gewünschten Begleitung ab, belämmert von Thea, die sich in dieser argen Welt nicht mehr zurechtfinden konnte. Wo gab’s denn so was, daß eine Mutter ihr Kind zugunsten eines fremden Mädchens zurücksetzte!

      Geduldig hörten Vater, Bruder und Tante diese eigentlich berechtigten Klagen mit an; doch die Schwägerin Ilona packte ihre Koffer. Dieses ewige Geplärre fiel ihr einfach auf die Nerven, sie hielt es nicht mehr länger in diesem »Eulennest« aus. Da fuhr sie doch lieber zu ihren Eltern, die unbeschwert von allen Kümmernissen ihr Leben genossen!

      Doch schon drei Wochen später mußte sie aus dieser unbekümmerten Atmosphäre in das geschmähte Haus zurückkehren, weil sie den Eltern im Wege war. Ilona war nämlich bei einer Bobfahrt so unglücklich gestürzt, daß das Rückgrat verletzt zu sein schien. Genaues stand noch nicht fest, aber man konnte nie wissen. – Jedenfalls konnte sie das eine Bein nur mühsam bewegen und auch dann nur unter Schmerzen.

      Ratlos standen die Eltern vor ihrer jammernden Tochter, wußten absolut nichts mit ihr anzufangen. Aber wozu hatte sie denn einen Gatten, dem sie vertrauensvoll ihr »Kleinod« in die Hände gegeben hatten? Also telegraphiert und den Mann herbeigerufen an die Stätte seiner Pflicht!

      Und da dieser Mann seine Pflichten ernst nahm, erschien er auch umgehend sehr zur Erleichterung seiner Schwiegereltern. Sie legten es ihm nahe, daß die Frau nun einmal zu ihrem Manne gehöre, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als mit ihr die Heimreise anzutreten, wogegen sie sich gar nicht sträubte.

      Und nun hatte man wieder eine Kranke im Hause – und was für eine! Da man sie nicht aufregen wollte, mußte man sich ihren unbeherrschten Launen fügen. Hauptsächlich der Gatte. Die anderen ließen es bei einem täglichen Pflichtbesuch bewenden, der jedoch jedesmal eine Nervenprobe für sie wurde. Aber sie muckten nie auf, weil Ilona ihnen leid tat. Denn mit neunundzwanzig Jahren sich nur mühsam vorwärtsbewegen können – vielleicht gar bis zum Lebensende – das war schon etwas, das tiefe Tragik in sich barg.

      Es verging kaum ein Tag, an dem Ilonas Eltern nicht an ihren Schwiegersohn schrieben, ihn beschworen, Kapazitäten mit der Behandlung der »heißgeliebten Tochter« zu betrauen. Dazu schickten sie Geld, viel Geld – doch sie selbst ließen sich nicht im Hadebrecht-Haus blicken.

      »Schofles Pack!« schimpfte Philipp, während sich beim Anblick des Sohnes sein Herz schmerzlich zusammenzog. Müde und blaß sah Eike aus, wie um Jahre gealtert. Der hatte schon sein Päckchen zu tragen, der arme Kerl! Das Schlimmste war, daß man es ihm nicht erleichtern konnte.

      Von alledem ahnten Frau Ottilie und Silje nichts. Sie lebten in dem Badeort wie in einem Paradies dahin. Fragten nicht nach heute oder morgen. Ließen sich treiben wie Menschen, denen jede Sorge fernlag. Wie Kletten hingen sie aneinander, die alternde Frau und das bezaubernde junge Menschenkind, dem so mancher Männerblick aufleuchtend folgte.

      Doch das bemerkte Silje Berledes nicht. Sie widmete sich ganz ihrer Schutzbefohlenen, die mit jedem Tag wohler und vergnügter wurde. Und als der sie betreuende Arzt verkündete, daß sie nun wieder ganz auf der Höhe wäre, sah sie ihn ungläubig an.

      »Wirklich, Herr Doktor, fehlt mir bestimmt nichts mehr?« forschte sie mißtrauisch, und er lachte.

      »Wirklich, gnädige Frau. Sie haben sich in den fünf Wochen hier ganz prächtig erholt und könnten, wenn Sie wollten, Bäume aus der Erde reißen. Aber lassen Sie das gnädige Fräulein nicht mehr von Ihrer Seite, das in seiner herzbezwingenden Fröhlichkeit wie ein Jungquell auf sie wirkt.«

      Nun, das hatte Frau Ottilie auch gar nicht vor. So trafen sie selbander im Hadebrecht-Haus ein, wo sie erst jetzt von dem Unfall Ilonas erfuhren. Man hatte ihn absichtlich verschwiegen, um die Erholung der Genesenden nicht zu beeinträchtigen.

      »Schade …«, meinte Ottilie bedauernd. »Ich habe mir das Nachhausekommen glückhafter vorgestellt. Ist es denn wirklich so arg mit Ilona?«

      »Sieh sie dir an, Mutter«, entgegnete Eike bedrückt, was sie denn auch tat.

      Ihr Herz zog sich beim Anblick der Verletzten zusammen, aber nicht Ilonas wegen allein, sondern auch um des Sohnes willen, der nun vielleicht sein Leben lang an eine leidende Frau gebunden war. Denn daß er diese nicht aufgeben würde, wußte die Mutter genau. Das vertrug sich nicht mit seinen unerschütterlichen Ehrbegriffen.

      *

      Mit Frau Ottilie war eine Wandlung vorgegangen, die ihre Angehörigen zuerst kaum fassen konnten. Zwar war sie auch jetzt noch nicht lebhaft, aber doch nicht mehr so still und gottergeben wie früher.

      »Muttchen, wie du jetzt bist, könntest du mir wieder so gut gefallen wie einst im Mai«, gestand der Gatte schmunzelnd, als man an einem Abend beisammensaß. »Ordentlich jung bist du geworden.«

      »Jetzt bin ich auch wieder gesund«, entgegnete sie froh. »Der Arzt meint, die Krankheit hätte schon lange in mir gesteckt. Es ist ein Segen für mich, daß sie endlich ausbrach und mit dem hohen Fieber der Körper alles Krankhafte ausstieß. Die Kur hat noch ein übriges getan – na, und dann wollen wir meinen ›Jungquell‹ nicht vergessen!« nickte