als diese dagegen protestierte, daß nun die Schwägerin »ihre« Silje jetzt so ausgiebig mit Beschlag belegte.
Darüber amüsierten sich die beiden Herren. Thea war erbittert, daß jetzt auch die Mama so ein Aufhebens von dem »fremden Mädchen« machte, und Ilona hielt sich nervös die Ohren zu.
»Laßt doch den Streit um dieses dumme Ding!« verlangte sie ungehalten. »Nehmt gefälligst Rücksicht auf mich, ihr wißt doch, daß ich mich nicht aufregen darf!«
Man unterließ die Frage, warum sie sich eigentlich aufrege, eben weil man Rücksicht auf sie nahm. Viel zu sehr sogar. Und als Ilona erst merkte, wie geduldig man ihr gegenüber war, kam sie sich als Hauptperson vor und maßte sich auch die Rechte einer solchen an. Verlangte, daß sich in diesem Haus alles um sie drehte. Sofern ihr etwas nicht paßte, verfiel sie in Weinkrämpfe, bei denen man leider niemals feststellen konnte, ob sie echt waren oder nicht.
Man atmete jedesmal befreit auf, wenn Eike sie nach oben trug und sie dort der Pflegerin übergab, die sehr gut mit ihrem Pflegling fertig wurde, weil an ihrer unerschütterlichen Ruhe jede Hysterie wirkungslos abprallte.
Die geplagten Menschen fragten sich immer wieder, wie das einmal enden sollte. Lange, das wußten sie, würden sie diese Tyrannei der Kranken nicht mehr aushalten.
Hauptsächlich Eike nicht, der immer müder und blasser wurde. Er hatte ja auch am ärgsten unter der Herrschsucht und Niedertracht seiner Frau zu leiden. Den Rat des Arztes zu befolgen und sie in eine Klinik zu geben, wagte er nicht. Vielleicht war sie doch kränker, als man annahm, und es könnte ihren Tod bedeuten, wenn sie trotz ihres heftigen Sträubens aus dem Hause gebracht würde; und dann müßte er sich sein Leben lang mit Vorwürfen plagen. Und da seine Angehörigen die gleiche Befürchtung hegten, blieb alles so, wie es war.
So herrschte Ilona denn auch wieder einmal an einem Sonnabendnachmittag wie ein böser Geist in der geplagten Familie. Draußen lachte die Sonne; denn es war mittlerweile Frühling geworden. Gern hätte man die Tür, die zur Terrasse führte, geöffnet, doch damit war Ilona nicht einverstanden. Sie führte gehässige Reden, daß es dem Herrn Gemahl wohl so passen würde, wenn sie sich in der Zugluft den Tod holte – dann wäre er endlich frei für eine andere, die schon lange die Angel nach ihm auswürfe.
Dabei sah sie Silje so höhnisch an, daß diese bis in die Lippen erblaßte, und genauso blaß wurde das rassige Männerantlitz. Doch damit brachte Ilona das Maß ihrer Niedertracht zum Überlaufen. Das Gesicht des Seniors lief rot an, die Adern lagen dick auf der Stirn, die Augen blitzten unter den buschigen Brauen hervor. Doch ehe das Gewitter noch losbrechen konnte, hatte Ilona schon ein neues Opfer gefunden, an dem sie ihre Wut auslassen konnte. Und zwar Anka, die neben Ute auf dem Teppich saß, unglückseligerweise in Reichweite von Ilona. Es war gewiß nicht böse gemeint, als die Kleine dem Bäschen das Bilderbuch aus den Händen nahm; im Gegenteil, sie wollte Ute etwas erklären. Doch ehe sie dazu kommen konnte, hatte Ilona sie bei den Haaren gefaßt, zu sich herangezogen und schlug mit der Faust in das zarte Gesicht.
»Ich werde es dir schon abgewöhnen, mein Kind zu tyrannisieren, du unleidliches Gör!« kreischte sie dabei wie eine Furie.
Sekundenlang saßen alle wie erstarrt da, selbst Anka vergaß vor Schreck zu schreien. Sie flüchtete zur Mutter, während Ute, der Silje am nächsten saß, bei dieser Schutz suchte. Flink kletterte sie auf ihren Schoß, umklammerte ihren Hals und sah aus schreckgeweiteten Augen zur Mutter hin, die jetzt außer sich vor Wut schrie: »Sofort lassen Sie mein Kind los – Sie – Sie…«
Weiter kam sie nicht, weil sich eine feste Männerhand auf ihren Mund legte. Eike ließ auch nicht los, als die wie rasend gewordene Frau hineinbiß und mit den Armen um sich schlug.
Doch das half ihr alles nichts. Ehe sie sich versah, hatte der Gatte sie schon gepackt und hielt sie dabei so fest, daß sie sich nicht rühren konnte. Allerdings hatte sie jetzt den Mund wieder frei, den sie aufriß, um ihren Mann zu beschimpfen, während er sie hinaustrug.
Blaß bis in die Lippen, starrten die Zurückbleibenden ihnen nach. Selbst Philchen, die doch nicht so leicht zu erschüttern war, zitterte an allen Gliedern. Sie war die erste, die sprechen konnte; allerdings wollte ihr die Stimme dabei kaum gehorchen.
»Das mache ich nicht mehr länger mit – und Silje auch nicht Die Frau wird ja direkt gemeingefährlich! Am besten ist, Eike bringt sie ins Irrenhaus.«
»Wohin sie auch gehört«, knurrte ihr Bruder verbissen. »Ich muß dem Jungen beispringen, der mit der Furie allein bestimmt nicht fertig wird.«
Damit eilte er davon, und Thea weinte auf. Und diesmal zu Recht, denn das Gesichtchen ihrer Tochter sah böse aus. Das eine Auge war dick angeschwollen.
»Mein armes Kind, wie siehst du nur aus! Man müßte die tobsüchtige Person wegen Kindesmißhandlung anzeigen. Aber das sage ich, wenn sie nicht bald aus dem Hause kommt, dann gehe ich! Man ist ja hier seines Lebens nicht mehr sicher.«
Das jammerte sie auch Vater und Bruder vor, als diese bald darauf wieder eintraten. Sie sahen beide blaß aus, und quer auf der Wange Eikes klebte ein Leukoplaststreifen. Seine Haltung hatte etwas Müdes, Verzweiflungsvolles, als er sich in den Sessel sinken ließ. Seine Hand, mit der er das Feuerzeug gegen die Zigarette hielt, zitterte heftig.
»Junge, deine Hand blutet ja!« bemerkte die Mutter leise, doch er winkte müde ab.
»Das ist nicht so schlimm – das passiert mir nicht zum ersten Mal«, entgegnete bitter. »Hör auf zu jammern, Thea. Ich kann das jetzt nicht ertragen …«
»Ach so, aber ich soll es vertragen können, wenn man mein Kind halbtot schlägt …«
»Laß das jetzt!« fuhr der Vater sie an, was sie denn auch tiefgekränkt tat. »Ich habe Dr. Tolk angerufen und ihn gebeten, noch heute herzukommen, was er auch versprach. Ich fürchte nur, daß der Nervenarzt mit Ilona nichts wird anfangen können, weil diese Art von Krankheit nicht in sein Ressort fällt. Er kann wohl Nerven heilen, aber keine chronische Niedertracht.«
Und tatsächlich bestätigte der Arzt, der schon wenige Stunden später eingetroffen war und Ilona gründlich untersucht hatte, für diesen Fall nicht inkompetent zu sein. Er würde den Angehörigen den guten Rat geben, diese unbeherrschte und launenhafte Dame nicht im Hause zu behalten, sondern sie von einer Kapazität an Ort und Stelle behandeln zu lassen. Ob sie schon etwas von Professor Lutz gehört hätten?
»Selbstverständlich«, entgegnete Eike. »Es ist mir jedoch trotz aller Bemühungen nicht gelungen, den berühmten Arzt zu konsultieren.«
»Nun, das ist bei dem Vielbeschäftigten auch nicht so einfach«, gab Tolk zu bedenken. »Aber da er ein Freund von mir ist, wird er mir wohl den Gefallen tun und sich die Kranke hier ansehen. Und wenn er sie in seiner Klinik aufnehmen will, können wir froh sein, denn dann ist die Garantie für eine Heilung gegeben.«
»Ich fürchte nur, daß meine Frau nicht zu bewegen sein wird, von zu Hause fortzugehen«, meinte Eike.
Aber der andere lachte.
»Wenn das Ihre ganze Sorge ist, kann ich Sie davon befreien. Professor Lutz wird auch mit den widerspenstigen Patienten fertig, er behandelt sie ganz individuell. Zwar könnte ich Ihnen jetzt schon sagen, Herr Hadebrecht, wozu er Ihnen nach der Heilung Ihrer Gattin raten wird, aber ich will ihm nicht vorgreifen«, setzte er schmuzelnd hinzu. Dann verabschiedete er sich eilig, weil seine Zeit knapp bemessen war.
Und tatsächlich erschien am nächsten Tag Professor Lutz im Hadebrecht-Haus und flößte den bangenden Menschen dort schon durch sein bloßes Erscheinen Vertrauen ein. Er war von unscheinbarer Gestalt, hatte jedoch ein kluges Gesicht und gütige Augen, die aber zu gegebener Zeit scharf – und streng blicken konnten.
Er ließ sich von Eike den Hergang und Verlauf der Krankheit schildern, hörte auch die letzte Begebenheit mit an und sagte dann ruhig: »Das scheint hier ein Fall von ganz besonderer Unbeherrschtheit und Launenhaftigkeit zu sein. Sie und Ihre Angehörigen sind wahrscheinlich zu ängstlich, um dem energisch entgegenzutreten. Sie lassen sich lieber tyrannisieren und peinigen bis aufs Blut. Nun, ich will mir diese verwöhnte Dame einmal ansehen, und wenn